ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Knud Andresen, Widerspruch als Lebensprinzip. Der undogmatische Sozialist Heinz Brandt (1909-1986), Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2007, 375 S., geb., 34,00 €.

Mit seiner Biografie über den „undogmatischen Sozialisten“ Heinz Brandt hat Knud Andresen Mut zur Darstellung der Lebensgeschichte einer nicht leicht zugänglichen Persönlichkeit bewiesen. Der Mut hat sich gelohnt: Entlang des Individuellen, des, wie man in Brandts Fall sicher auch sagen kann, Besonderen einer persönlichen Lebenserzählung, führt Andresen durch die (linke) Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Die biografische Darstellungsform eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, um immer wieder den Blick auf das Übergeordnete zu richten, zum Beispiel, wenn Andresen als eine zentrale Fragestellung seiner Untersuchung zu bedenken gibt, ob eine einzelne Persönlichkeit wie Heinz Brandt, der in seinem Leben Mitglied der KPD, der SED, der SPD und der IG Metall war, nachhaltigen Einfluss auf eine dieser Institutionen der Arbeiterbewegung nehmen konnte und inwiefern sein Wirken exemplarisch für die Möglichkeiten der ideologischen Linken nach 1945 stehen kann. Andresen vollzieht damit den wichtigen Schritt, die Biografie Brandts nicht isoliert stehen zu lassen, sondern vielmehr dessen Leben und Wirken als Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung zu betrachten, in der sich engagiertes Individuum und Gesellschaft stets gegenseitig befruchten.

Der 1909 geborene Heinz Brandt ist nicht auf eine einzige Episode seines Lebens zu beschränken. Eine Sache aber hatte in seinem Leben Kontinuität - Brandt war ein durch und durch politisch denkender und handelnder Mensch. Als Student trat er der Kommunistischen Studentenfraktion (KOSTUFRA) bei, ab 1931 gehörte er zur Gruppe der „Versöhnler“ in der KPD. Nach der Verurteilung und Internierung im ,Dritten Reich' arbeitete er zunächst für die KPD in Berlin und später für die SED. Bereits 1953 aber wurde er wegen einer der Parteilinie zuwiderlaufenden Position im Zuge der Demonstrationen des 17. Juni mit einem einjährigen Funktionärsverbot belegt. In der Folge nahm er Kontakt zum Ostbüro der SPD auf, 1958 erfolgte die Flucht in den Westen. Dort arbeitete er als Redakteur für die IG Metall, bevor er 1961 in die DDR entführt und in einem Gerichtsverfahren zu einer 13-jährigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Eine internationale Kampagne erwirkte 1964 seine Haftentlassung und Brandt kehrte in den Westen zurück, wo er wieder, bis zu seiner Pensionierung 1974, hauptamtlich für die IG Metall tätig war. Danach kokettierte er einige Zeit mit der sozialistischen Linken, um später Mitglied der Sammlungspartei „Die Grünen“ zu werden, bevor er bereits 1980 auch diese wieder verließ.

Brandts Wanderung durch die Institutionen, aber auch durch die ideologischen Flügel der Arbeiterbewegung sowie der sozialistischen Bewegungen wurde von Kritikern als Irrfahrt bezeichnet. In der Tat erscheint seine politische Gesinnung unstet und in gewisser Weise opportunistisch. Andresen aber zeigt in seiner Untersuchung auf, dass nicht das Bekenntnis zu einer Strömung des Sozialismus das kennzeichnende Merkmal im politischen Leben Brandts war, sondern vielmehr die Art und Weise, wie er Politik lebte und wie er in seinem politischen Umfeld agierte. Brandt, so stellt Andresen dar, wollte vor allem Individuum bleiben, unangepasst und kämpferisch im Sinne eines linken Utopismus, einer umfassenden Politik, die auf ethischen Vorstellungen basierte. Indem Brandt stets das übergeordnete Ziel, den „Versuch, die Welt zu retten“, im Auge behielt, konnte er sich ideologische Flexibilität erlauben. Andresen bezeichnet die Gesamtvorstellungen Brandts als „undogmatischen Sozialismus“, der dessen sozialistische Wanderschaft vergeben mache. Und durchaus wirkt Brandts Leben wie ein Spiegel der ideologischen Wandlungen und Selbstvergewisserungen der linken Bewegungen nach 1945, die keinen leichten Weg der Selbstfindung hatten - einerseits durch ihre erzwungene Abgrenzung nach Osten, andererseits aufgrund ihrer idealistischen Ziele, die sich immer an der Realität der Welt abreiben mussten. So ist Brandts ,Irrfahrt' auch Sinnbild dessen, wie schwierig die kohärente Verortung innerhalb der linken Bewegungen vor dem Hintergrund ideologisch-moralischer Maximalforderungen war. So wie Brandt zeitlebens eine bleibende politische Heimat suchte, so rang auch die Linke permanent mit sich selbst.

Brandt selbst war bemüht, dies in seiner Autobiografie zu zeigen. Andresen folgt also gewissermaßen dem historischen Bild, das Brandt für sich als Sinnkonstruktion seines Lebens entwarf, und geht offensiv mit diesem Problem wissenschaftlicher Analyse um, wenn er sagt, dass man der eigenen Darstellung Brandts mit kritischer Distanz folgen und den legitimen Anspruch eines Menschen, am Ende seines Lebens eine geschlossene Geschichte zu erzählen, zur Kenntnis nehmen, aber als Biograf stets reflektieren müsse. Folgt Andresen aber auch dieser seiner eigenen Ermahnung?

In der Tat gelingt es Andresen in den größten Teilen seiner Biografie, nicht dem furor biographicus (Sigmund Freud) zu unterliegen. Er bleibt auf Distanz zu Brandt und positioniert sich kritisch-reflektierend gegenüber den teilweise verbrämten Selbstüberhöhungen in der Sprache Brandts, die oftmals nachgerade messianische Züge annimmt und ins sektiererische abzugleiten droht. Diese Distanz hält er bis zum Ende ein. Einzige Ausnahme bildet lediglich das erste Kapitel zur Kindheit und Jugend Brandts, wobei hier einschränkend zugleich erwähnt sei, dass dies auch der hochproblematischen Quellenlage geschuldet ist. Für die ersten zwei Lebensjahrzehnte Brandts kann Andresen kaum auf andere Quellen zurückgreifen als auf die Autobiografie Brandts und ein Interview mit Brandts jüngerer Schwester Lili. Aus diesen schwierigen Quellen macht Andresen sicher das Beste. Dennoch lässt er die von ihm zitierten Passagen aus Brandts Autobiografie bisweilen völlig unkommentiert im Raum stehen; insbesondere Brandts überhöhte, ja fast mystifizierte Darstellungen seiner persönlichen rites de passage (1) zum „Einzelkämpfer“ (zum Beispiel Traumsequenzen, in denen Brandt ins Weltall zu fliegen meint, was er als eine Verheißung seiner Allmacht als „Weltveränderer“ interpretierte).

Wenn Andresen im Folgenden die für die politische Sozialisation Brandts wesentlichen Wendepunkte aufgreift, die in ihrem Zusammenspiel Brandt auf direktem Weg in den Pazifismus und den Kommunismus geführt hätten, so verfolgt Andresen sicher den richtigen Ansatz. Er konzentriert sich dabei besonders auf die Erlebnisse des Ersten Weltkriegs sowie auf einige eher verschwommene Erfahrungen der Ausgrenzung aufgrund von Brandts Judentum und seiner deutschen Herkunft im polnischen Posen. Diese Auswahl ist stichhaltig, handelt es sich doch bei negativen Erlebnissen, wie Ausgrenzung, Statusverlust und Kriegstraumata, um derartig prägende Ereignisse für Charakter und Weltsicht, dass sie auch zahlreichen wissenschaftlichen Generationentypologien als Demarkationspunkte zugrunde liegen. Hilfreich wäre es aber auch gewesen, wenn der Autor - vor dem Hintergrund der schwachen Quellenlage - eine Gegenüberstellung mit in Sozialisation und typischen generationellen Erfahrungen vergleichbaren Persönlichkeiten gewagt hätte, um aus sich möglicherweise überschneidenden Erfahrungen und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen die eigenen Ergebnisse zu erhärten. Andere kommunistische Jungfunktionäre der Weimarer Republik, spätere KPD- oder SED-Mitglieder, auch Mitglieder von SAP, ISK und Neu Beginnen, hätten sich als Vergleichsgröße angeboten. So zeichnet Andresen an dieser Stelle lediglich nach, ohne quer zu prüfen, und das obwohl ihm das Gleichgewicht zwischen biografischer Darstellung und der Konstruktion des historischen Rahmens ebenso vorzüglich gelingt wie das Aufgreifen von Forschungskontroversen in zeithistorischen Themenkomplexen, welche die Biografie Brandts berühren, wie zum Beispiel das Leben der jüdischen Gemeinschaft in Posen und die Haltung der „Ostjuden“ zum Deutschen Reich. Insofern handelt es sich hierbei auch nur um einen kleinen Wermutstropfen in einer sonst wissenschaftlich ausgesprochen anspruchsvollen Arbeit.

Die Wirkung der Sozialisten, Linksdogmatiker, Utopisten und sonstigen Ideologen und Idealisten am linken Rand des politischen Spektrums nach 1945 war in der Summe betrachtet doch eher gering. Sparsam ist die Würdigung von Brandts Lebensleitung aber nicht - und das zu Recht. Am Ende zeichnet Andresen eine politische Persönlichkeit in allen Facetten auf. Dem undogmatischen Sozialisten, der für eine bessere, gerechtere Welt eintrat und dafür so häufig einen hohen persönlichen Preis bezahlen musste, hat Andresen ein würdiges Andenken gesetzt.

Sonja Profittlich, Bonn

Fußnoten:


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