ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Fabian Klose, Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945-1962 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 66), Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2009, XII, 346 S., geb., 39,80 €.

Fabian Kloses Buch ist ein gewichtiger Beitrag zu zwei bislang wenig erforschten Bereichen der Geschichte der Dekolonisierung: zur Rolle des Menschenrechtsdiskurses und zur Entgrenzung der Gewalt in den Kriegen gegen koloniale Protest- und Unabhängigkeitsbewegungen. Die beiden Themenfelder werden nicht durchweg eng miteinander verflochten, sondern erscheinen als verschiedene Facetten des Dekolonisierungsgeschehens, die Klose punktuell aufeinander zu beziehen versucht. Zudem ist die Untersuchung komparativ angelegt, wobei der Autor in der vergleichenden Analyse von Menschenrechtsproblematik und Kriegsgewalt in der französischen Kolonie Algerien und im britisch beherrschten Kenia vor allem Gemeinsamkeiten und Parallelen herausarbeitet.

Im Eingangskapitel analysiert der Verfasser die Rolle, die Menschenrechten bei der Entstehung einer neuen internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg zukam (Kapitel II). Klose legt durchaus überzeugend dar, dass der Menschenrechtsgedanke seit den frühen 1940er Jahren als ein ideologischer Gegenentwurf zur totalitären Gewaltpolitik aufgegriffen wurde. Dennoch scheint die Bedeutung dieses Gedankens überbetont, wenn man den Zweiten Weltkrieg als einen ,,Kampf für Menschenrechte" (S. 28) auffasst, welche in den alliierten Zukunftsvisionen vielmehr nur einen, zudem eher untergeordneten Aspekt darstellten. Ebenso erscheint es fraglich, ob sich Menschenrechte, wie es Klose andeutet, zu einer zentralen antikolonialen Argumentationsstrategie entwickelten. Zwar zeichnet der Verfasser präzise nach, dass die Atlantic Charter von 1941 in der kolonialen Welt breit aufgegriffen wurde, doch verwandte sie den Menschenrechtsbegriff eben nicht. Was die Charta in den afrikanischen und asiatischen Ländern so attraktiv erscheinen ließ, war vielmehr das Versprechen der Selbstbestimmung. Damit reaktivierte sie ein am Ende des Ersten Weltkriegs erstmals öffentlichkeitswirksam formuliertes Prinzip, das erst in den 1950er Jahren - punktuell - als Menschenrecht definiert werden sollte. Dass wiederum die internationalen Menschenrechtsnormen, wie sie in den Vereinten Nationen und im Europarat nach 1945 kodifiziert wurden, die Kolonialmächte England und Frankreich in eine prekäre Position brachten, vermag Klose plausibel zu zeigen. Beide Länder bekannten sich einerseits zu menschenrechtlichen Idealen, waren andererseits aber bemüht, wirksame Schutzmechanismen zu verhindern, da sie negative Rückwirkungen für die eigene Kolonialherrschaft befürchteten.

Die folgenden Kapitel (III bis V) bieten eine detaillierte und analytisch überzeugende Darstellung der kolonialen Gewalt in Algerien und Kenia. Dabei macht der Verfasser deutlich, dass Großbritannien und Frankreich in ihren Kolonialkriegen jegliche Menschenrechtsstandards und die Grundsätze des humanitären Völkerrechts außer Kraft setzten und bewusst asymmetrische Kriege ,,ohne Regeln" führten, in denen sich ein Höchstmaß an Gewalt entlud.

Als Schlüssel dafür interpretiert Klose das Instrument des Notstands, mit dem die Kolonialregierungen einen rechtsfreien Raum schufen, in welchem sich die Kriegführung praktisch ungehindert radikalisieren konnte. Der Guerillataktik der Algerier beziehungsweise Kenianer begegneten die europäischen Militärs mit einer Strategie des antisubversiven Kriegs, die darauf abzielte, die Rebellen von der Zivilbevölkerung zu isolieren und letztere mit einer Mischung von Propaganda und Zwang von der effektiven Unterstützung des antikolonialen Widerstands abzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedienten sich beide Kolonialmächte erstaunlich ähnlicher Formen von Gewalt, die die militärischen Konflikte zu verheerenden Zerstörungskriegen machten. Klose schildert eindrücklich, dass die Kolonialherrn auf Kollektivstrafen und summarische Exekutionen zurückgriffen, gewaltige Zwangsumsiedlungen durchführten - sie betrafen in Kenia rund eine Million, in Algerien rund 2,3 Millionen Menschen - und in großem Maßstab folterten, um vermeintlich wichtige Informationen zu gewinnen (aber auch, was sich stärker betonen ließe, um Abschreckung zu erzeugen). Diese Art der Kriegführung wurde von den metropolitanen Regierungen gedeckt, das Wissen um die Methoden war in den Kolonialverwaltungen vor Ort weit verbreitet. Vor diesem Hintergrund bewertet Klose die Bemühungen des Internationalen Roten Kreuzes, das sich in beiden Kriegen in unterschiedlichem Ausmaß engagierte, als weitgehend gescheitert.

Das letzte Kapitel zum internationalen Menschenrechtsdiskurs während der beiden Kriege bindet die beiden Themenfelder des Buches schließlich zusammen (VI). In einer aufschlussreichen vergleichenden Analyse stellt Klose heraus, dass es der kenianischen Widerstandsbewegung nicht gelang, nennenswerte internationale Aufmerksamkeit zu erregen. Das führt der Autor auf ihre eigene organisatorische Schwäche zurück, aber auch auf die Stärke der britischen Propagandaanstrengungen, welche die Mau-Mau-Bewegung als illegitimen Aufstand von barbarischer Grausamkeit brandmarkte. In scharfem Gegensatz dazu vermochte der algerische FLN, dank organisatorischem Geschick und logistischer Unterstützung aus den arabischen Staaten, Frankreich auf der internationalen Bühne zu diskreditieren, wobei er vor allem die Vereinten Nationen als Forum nutzte. In diesem Zusammenhang wäre eine präzisere Bewertung der Rolle, die der Menschenrechtsrhetorik in der politischen Strategie des FLN zukam, wünschenswert gewesen. Zudem stellt sich die Frage, warum die britische Gegenpropaganda erfolgreich sein konnte, wenn die französische, wie Klose zeigt, offenbar ebenso elaboriert und wohl noch massiver war. Das verweist darauf, dass bei der Erklärung der Dynamik von Menschenrechtskampagnen mitzubedenken wäre, für welche Anliegen und aus welchen Gründen sich nationale Gesellschaften und internationale Akteure mobilisieren lassen.

Abschließend zeichnet Klose nach, wie Menschenrechte in den Vereinten Nationen seit Mitte der 1950er Jahre, im Zuge des Beitritts zahlreicher afrikanischer und asiatischer Nationen, zu einer ,,antikolonialen Waffe" wurden. Auf die Ambivalenzen dieser neuen Dominanz geht er allerdings nicht ein, die unter anderem darin bestanden, dass Israel und Südafrika jahrzehntelang als einzige Menschenrechtsverletzer angeprangert wurden, während Diskussionen über staatlichen Terror in Afrika und Asien in den Gremien der Vereinten Nationen nicht zur Sprache kamen. In einem überzeugenden Ausblick weist Klose darauf hin, dass Frankreich und Großbritannien erst nach der Auflösung ihrer Kolonialreiche eine neue Haltung zur internationalen Menschenrechtspolitik gewannen.

Auch wenn einige Aspekte in den letzten Jahren bereits zum Gegenstand historischer Untersuchungen geworden sind (1), erschließt Fabian Kloses Buch überwiegend Neuland. Auf der Grundlage umfangreichen Quellenmaterials, das mehrere bislang ungenutzte archivalische Bestände umfasst, ist es ihm gelungen, die Erforschung der Gewalt- und der Menschenrechtsgeschichte der Dekolonisierung ein gutes Stück voranzutreiben. Zukünftige Arbeiten werden von den soliden Befunden profitieren und sie produktiv diskutieren können.

Jan Eckel, Freiburg

Fußnoten: