ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Detlef Bald/Wolfram Wette (Hrsg.), Alternativen zur Wiederbewaffnung. Friedenskonzeptionen in Westdeutschland 1945-1955 (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung, Bd. 11), Klartext Verlag, Essen 2008, 218 S., kart., 22,00 €.

Die in diesem Band gesammelten Aufsätze bieten ein kollektives Gegenstück zu einer Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, die auf Konrad Adenauers Konzept der politischen und militärischen Westbindung basiert. Im Schatten dieser ,Erfolgsgeschichte' stehen jene Alternativen zur Wiederbewaffnungspolitik des ersten deutschen Bundeskanzlers, die hier kritisch abgehandelt werden - die ,,Oppositionsströmungen" des ersten Nachkriegsjahrzehnts, die, wenn sie in der Literatur überhaupt erwähnt werden, allzu leichtfertig als Bestandteile der sogenannten Ohne-mich-Bewegung abgetan werden. Politischer Widerstand gegen die Wiederbewaffnung wurde bisher in der Forschung unterschiedlich bewertet, obgleich ihr Grenzstatus und ihre Erfolglosigkeit immer wieder hervorgehoben wurden. Infolge der vielfältigen, bisweilen widersprüchlichen Motive der Wiederbewaffnungsgegner waren die Aussichten auf eine gemeinsame, strategisch organisierte Widerstandsaktion gering. Warum sollten wir uns also überhaupt mit der Geschichte der bundesdeutschen Widerbewaffnungsgegner beschäftigen? Laut Detlef Bald und Wolfram Wette bietet sie Einsichten in die nicht zustande gekommenen Alternativen im Schatten des Zweiten Weltkriegs, wie zum Beispiel in den Neutralismus, der beim Durchschnittsbürger durchaus Resonanz fand, jedoch von der Adenauer-Regierung eher skeptisch betrachtet wurde. Die Aufsätze in diesem Band nehmen die Problematik der kriegs- und militärkritischen Strömungen jener Zeit auf und erinnern uns daran, welche Alternativen zur regierungsoffiziellen Politik angeboten wurden.

Gröβtenteils besteht der Band aus biografischen Skizzen friedenspolitisch exponierter Persönlichkeiten, einschlieβlich des SPD-Parlamentariers Hermann Louis Brill, des CDU-Politikers Wilhelm Elfes, der Pazifistin Klara Marie Faßbinder und des ehemaligen Wehrmachtoffiziers Fritz Hartnagel, um nur einige aufzuzählen. Hier treten deutliche Lücken hervor. Dem Präsidenten der ,,Internationale der Kriegsdienstgegner" Theodor Michaltscheff hätte ein Aufsatz gewidmet werden müssen, der unter anderem wegen seiner propagandistischen Texte den Beinamen ,,Motor der deutschen Friedensbewegung" (1) trug. Widerstand gegen die Wiederbewaffnung ist kein Randphänomen gewesen, sondern fand in einem breiten Spektrum von öffentlichen Vereinen statt, einschlieβlich Volksparteien, Gewerkschaften, Kirchen, und wurde auch von prominenten Intellektuellen befördert. Die Aufsätze des Bands illustrieren diese Breite alternativer Friedensvorstellungen, die im Kontext des Widerstands gegen die Wiederbewaffnung formuliert wurden. Zudem sprechen sie den allmählich kleiner werdenden Raum an, der solchen Friedensvorstellungen in der bundesdeutschen Gesellschaft letztlich blieb.

Außer ihrer gemeinsamen Politik gegen die Wiederbewaffnung verbindet die in dem Buch vorgestellten Akteure recht wenig. Nur manche zählten im engeren Sinne zu pazifistischen Kreisen. Es war nicht der Frieden an sich, sondern die deutsche Teilung mit der Machtkonstellation des Kalten Krieges, die ihren Widerstand motivierte. Vor diesem Hintergrund haben sich alle trotz ihrer Unterschiedlichkeit für ein vereinigtes und neutrales Deutschland ausgesprochen, das eventuell als Basis eines vereinigten Europa oder zumindest als Bindeglied beziehungsweise Medium der Versöhnung zwischen Ost und West hätte dienen können. Elfes (CDU) trat für vertrauensbildende Gesprächskontakte mit Vertretern des ostdeutschen Staates ein. Empfehlungen wie die seine setzten sich bewusst über die Richtlinien der offiziellen Regierungspolitik hinweg und führten dazu, dass er als kommunistischer Sympathisant verdächtigt wurde. Trotz aller Unterschiede verbindet die in dem Band abgehandelten Protagonisten die Erfahrung der Verunglimpfung und Marginalisierung als Staatsfeinde.

Wie Detlef Bald deutlich macht, verfügte die Adenauer-Regierung über wenig Bewegungsraum zwischen der Szylla und Charybdis der Hegemonialmächte des Kalten Krieges. Dieser war ein ,,Glaubenskrieg", für jeden Gegner ,,ergab sich das Konstrukt einer krisenhaften gesellschaftlichen Abwehr gegen eine gefühlte Bedrohung" (S. 29). Gegen diese starre Konstruktion wendeten sich alternative gesellschaftliche Aktivitäten; hier setzte der bundesdeutsche Widerstand gegen die Wiederbewaffnung an.

Statt sich auf dieses Konstrukt zu konzentrieren, wäre es aber möglicherweise produktiver, den Diskurs unter den verschiedenen Protagonisten tiefer zu analysieren. Ertragreich wäre vor allem eine Analyse der Art und Weise, wie Aufrüstungsgegner schon existierende Infrastrukturen und Organisationen ausnutzten, um miteinander zu kommunizieren und ihre Antiwiederbewaffnungsaktivitäten zu erleichtern. Knud Andresen geht auf dieses Thema in seinem Aufsatz über die widersprüchlichen Potenziale der westdeutschen Gewerkschaften für die Unterstützung des Friedensaktivismus ein. Hier geht es darum, ob Protestbewegungen als autonome Einheiten zu betrachten sind, die sich ausschließlich über diskrete Organisationen konstituieren und deshalb leicht von der allgemeinen Öffentlichkeit abzugrenzen sind, oder ob sie als Teil einer dynamisch integrierten Öffentlichkeit gelten sollten. Noch ein fruchtbarer Ansatzpunkt für die Forschung wären die intellektuellen Einflüsse früherer Opponenten der westdeutschen Wiederaufrüstung auf die sich später entwickelnden außerparlamentarischen Bewegungen, vor allem auf diejenigen, die häufig auf den Begriff ,,1968" gebracht werden. In seinem Beitrag zu den friedenspolitischen Interventionen von Hans Werner Richter und Alfred Andersch behauptet Holger Nehring, dass ihr Nachdenken über den Sozialismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit ,,bedeutende Auswirkungen auf weitere Proteste" hatte. Doch auch wenn spätere Protestierende die Menschenwürde thematisierten, wie auch Richter und Andersch, bleibt noch zu beweisen, inwieweit man aus diesem Zusammenhang gemeinsame Interessen oder gar eine kohärente Ideengeschichte ableiten kann.

Insgesamt erinnert der neueste Band des Arbeitskreises Historische Friedensforschung in überzeugender Weise an die Stimmen, die gegen Adenauers Wiederbewaffnungspolitik im ersten Nachkriegsjahrzehnt erhoben wurden. Zudem weist der Band manchen Weg auf, wie die historische Friedensforschung zu einem produktiven Neudenken der westdeutschen Öffentlichkeit beitragen kann.

Andrew Oppenheimer, South Hadley

Fußnoten:


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