ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Günter Könke, Arbeitsbeziehungen in der hamburgischen Metallindustrie 1918-1974 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 78), Duncker & Humblot, Berlin 2004, 652 S., kart., 98,00 €.

In den Mittelpunkt der Untersuchung stellt Günter Könke die kollektiven verbandlichen Beziehungen zwischen den Arbeitgeberorganisationen, den Gewerkschaften und den staatlichen Institutionen in der hamburgischen Metallindustrie sowie in den Metallhandwerken. Er grenzt sich damit von der traditionellen Gewerkschafts-, Verbands- beziehungsweise Firmengeschichtsschreibung ab, die in erster Linie Aspekte des Innenlebens in den Milieus, Organisationen und Betrieben beleuchtet. Von einer modernen Arbeiter- und Arbeiterbewegungsgeschichtsschreibung oder Forschungen zur Unternehmensgeschichte unterscheidet sich dieser Ansatz indes weniger deutlich, denn auch in diese Arbeiten fließen Ergebnisse der Organisationssoziologie ein. Gewerkschaften etwa werden im Spannungsfeld gesellschaftlicher Interessen und in ihren Beziehungen zu den Arbeitgebern und deren Organisationen beschrieben.

Die Entwicklung der Arbeitsbeziehungen auf der überbetrieblichen Ebene mit ihren Brüchen und Kontinuitäten zeigt Könkes Längsschnittstudie deutlich auf. Er umreißt zunächst die Anfänge der Kooperation der Arbeitgeber- und Arbeiterorganisationen im späten Kaiserreich, um dann die detailliertere Darstellung mit der Weimarer Republik beginnen zu lassen. Erst ab 1918/19 kann man von formalen Tarifbeziehungen auf den hamburgischen Werften und in den Metallbetrieben sprechen. In diesem ersten großen Kapitel stellt Könke zunächst die Akteure der organisierten Tarifbeziehungen vor. Er beschreibt die Organisationsprobleme des Deutschen Metallarbeiter-Verbands wie den relativ geringen Organisationsgrad auf den Werften, den er mit der Personalfluktuation und der Belegschaftsstruktur erklärt. Dieser schwache Organisationsgrad der Hamburger Metallarbeitnehmer sollte bis zum Ende des Betrachtungszeitraums die Position der Metallgewerkschaften negativ beeinflussen. Auf die innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen SPD-Anhängern und Linksradikalen, die ebenfalls zur Schwächung der Freien Gewerkschaften beitrugen, geht der Autor nur beiläufig ein. Auf der Seite der Arbeitgeberverbände werden der Einfluss der Werftarbeitgeber und die Rolle der Familie Blohm erkennbar. Aber auch weniger bekannte tariffähige Interessenverbände der Landbetriebe, der Flussschiffswerften oder des Handwerks finden Erwähnung.

In der Schilderung der Tarifbeziehungen weist Könke auch auf Konflikte im Arbeitgeberlager hin, zum Beispiel bei der Frage der Arbeitszeit in den Landbetrieben. Die Arbeiterschaft erwies sich hingegen mit Blick auf die diskutierte Abschaffung der Akkordarbeit als gespalten. Die materiellen Ergebnisse der Tarifauseinandersetzungen um Einkommen und Arbeitszeit werden detailliert geschildert, ebenso die tarifliche Benachteiligung der Arbeitnehmerinnen, die sich in abgeschwächter Form auch nach 1945 fortsetzte. Im regionalen Vergleich gehörten die Hamburger Metallarbeiter zu den Bestbezahltesten ihrer Branche. Insgesamt stagnierte das Lohnniveau in Hamburg jedoch im wirtschaftlichen Auf und Ab der Weimarer Jahre. Für viele Probleme bei der Regulierung der Arbeitsbeziehungen macht Könke die Entmündigung der Tarifpartner im Rahmen des Schlichtungssystems verantwortlich. Die sozialpolitische Intention der Gesetzgeber und Beispiele für sozial abgewogenes Verhalten der Schlichter hätten allerdings stärker hervorgehoben werden können. Wirtschaftliche und politische Krisenlagen dürften die gemeinsame Lohnfindung mehr erschwert haben als das Weimarer Tarifrecht.

Im Kapitel über die Arbeitsbedingungen und Löhne unter der Regie der Reichstreuhänder der Arbeit während des ,Dritten Reichs' werden die Auswirkungen des oktroyierten tariflichen Lohnstopps und der nationalsozialistischen Sozialpolitik auf die materielle Lage der Werft- und Metallarbeiter wie auch auf die relativ besser gestellten Flugzeugbauer in der Hansestadt Hamburg nachgezeichnet. Der Tariflohn verlor zusehends an Bedeutung. Nur durch Mehrarbeit und Zuschläge sind die Realeinkommenszuwächse in der hamburgischen Metallindustrie zu erklären. Die Ersetzung der herkömmlichen ausbildungsbezogenen durch eine tätigkeitsbezogene Lohngruppeneinteilung bewertet Könke als eine Reform, die der Anforderungsvielfalt in der modernen industriellen Arbeitswelt gerecht wird. Dem kann man entgegenhalten, dass das Leistungsprinzip, dem durch die größere Lohndifferenzierung vermeintlich genüge getan wird, mehr Ideologie als Maßstab in der betriebswirtschaftlichen Realität ist. Dass die Tarifpartner, wenn auch gegen anfänglichen Widerstand aus den Reihen der alten Gewerkschaftselite, die in der NS-Zeit begonnene Reform des Lohnsystems in der Bundesrepublik wieder aufgriffen und seit den 1960er Jahren die tätigkeitsorientierten Lohn- und Gehaltssysteme weiter ausgestalten, kann man allerdings auch als Beleg für ihre Realitätstauglichkeit ansehen.

Im Abschnitt, der sich mit den institutionellen Arbeitsbeziehungen von 1945 bis zur Ölpreiskrise von 1973/74 beschäftigt, wird verdeutlicht, wie das gewerkschaftliche Beharren auf alten Traditionen, ob auf dem Festhalten an der Hauskassierung oder auf der organisationspolitischen Ausgrenzung der Angestellten, die Hamburger IG Metall bis in die 1970er Jahre finanziell und organisatorisch schwächte. Die Vereinheitlichung im Arbeitgeberlager und der Abschluss gemeinsamer Tarifverträge für die Arbeiter und Angestellten der Schiffbau- und Landbetriebe scheinen beiden Tarifparteien genutzt zu haben. Wenn Könke von einem seit den 1950er Jahren beschleunigten tarifpolitischen Fortschrittsprozess spricht, der 1918/19 begann und - zwar von Stagnationsphasen unterbrochen - danach andauerte, kann dem im Wesentlichen zugestimmt werden.

Für die gründliche Darstellung der tarifpolitischen Rahmenbedingungen, der kollektiven Beziehungen und der tariflichen wie auch der davon nicht selten stark abweichenden tatsächlichen Arbeitsbedingungen wurde umfangreiches staatliches und verbandliches Quellenmaterial ausgewertet. Auch wenn man den Interpretationen des Autors an einzelnen Punkten nicht ohne weiteres beipflichten mag, ist die Lektüre der schlüssig strukturierten und sehr informativen Studie zweifellos lohnend. Sie bietet nicht allein dem an der Sozialgeschichte Norddeutschlands Interessierten reiches Material, sondern kann auch zu weiteren Arbeiten im Rahmen des bisher noch unterrepräsentierten Forschungsansatzes der industriellen Arbeitsbeziehungen anregen. Dazu gehören Studien über einzelne Betriebe und deren Belegschaften, die Beschreibung von Stimmungen und Verhalten einzelner Gruppen, um die Arbeitsbeziehungen auf der betrieblichen Mikroebene auf Basis von schriftlichen Quellen und mündlichen Befragungen näher zu beleuchten.

Friedrich Stamp, Hamburg/Itzehoe


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