ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Klaus Gietinger, Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere, Edition Nautilus, Hamburg 2009, 535 S., geb., 39,90 €.

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - davon zeugen die alljährlich stattfindenden Prozessionen - sind noch immer mythische Größen. Auch Klaus Gietinger, seines Zeichens Filmemacher und Sozialwissenschaftler, kann und will sich diesem Mythos nicht entziehen. Die Liquidierung der beiden Revolutionäre wird von ihm als der ,,folgenreichste politische Doppelmord der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts" (S. 13) qualifiziert - wobei zu fragen wäre, ob nicht ein anderer Doppelmord, begangen am 28. Juni 1914, für die deutsche Geschichte nicht erheblich folgenreicher gewesen ist. Um dieser Tat auf die Spur zu kommen, ist Gietinger dem Lebensweg des Täters, des Hauptmanns Waldemar Pabst, in einer flüssig zu lesenden und urteilsfreudigen Studie nachgegangen. In launischem Kolportagestil mit oftmals derber Pointierung arbeitet Gietinger sich vor allem an dem ,,Bündnis" zwischen Mehrheitssozialdemokratie und Offizierkorps ab und schleudert altbekannte Invektiven derart wüst um sich herum, dass er dem wissenschaftlichen Wert seiner zweifellos bemerkenswerten Rechercheleistung einen Bärendienst erweist: Die SPD, ,,völkisch" bis ins Mark, hätte durch ihr Bündnis mit den Militärs in Deutschland einen ,,faschistischen Zustand" (S. 159) geschaffen und ,,dem Nationalsozialismus Bahn gebrochen" (S. 164); von der ,,Ermordung der Revolution" und einem ,,Marsch über Leichen" (S. 167) ist die Rede und das mit einer Vehemenz, die an die offiziösen Geschichtsdeutungen des Zentralkomitees der SED erinnert. Buhmann Nr. 1 ist natürlich der ,,Bluthund" Noske, hinter dem allerdings - in Gietingers Lesart - als Komplize Friedrich Ebert stand. Karl Heinz Roth fordert in einem, mit ulkigen Stilblüten durchsetzten Vorwort - so ist etwa von der ,,Befreiung des deutschen Faschismus durch die Truppen der Antihitlerkoalition" (S. 11) zu lesen - sogar die Umbenennung nicht etwa der Rosa-Luxemburg-, nein: der Friedrich-Ebert-Stiftung. Neben derartigen ideologisch bestimmten Werturteilen, über deren etwas sorgfältigere Dosierung sich der kritische Leser gefreut hätte, liefert Gietinger aber durchaus Aufschlussreiches über jenen Mann, der als 1. Stabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) den Mordbefehl gegeben hat und über dessen Herkommen, vor allem aber weiteren politisch-paramilitärischen Weg bislang wenig bekannt gewesen ist.

Waldemar Pabst war in mancherlei Hinsicht ein typischer Vertreter seiner Zeit und seines Standes, wenn er auch, 1880 in ein musisch veranlagtes Berliner Elternhaus hineingeboren, durchaus zu (selbst-)kritischem Denken imstande war. Kein bornierter ,Kommisskopf' tritt uns hier entgegen, sondern, wie Gietinger herausarbeitet, ein zielstrebiger und energischer Taktiker, ein brillanter Netzwerker und Organisator, der in der Umbruchphase 1918/20 tatsächlich zu einer Schlüsselfigur der deutschen Innenpolitik avancierte. Nach einer glänzenden militärischen Karriere wurde der 33-jährige Pabst im April 1914 zum Hauptmann befördert, machte sich im Ersten Weltkrieg an der Westfront verdient und übernahm 1918 das Kommando über die GKSD, eine Elite-Angriffsformation, die im deutschen Bürgerkrieg noch von sich reden machen sollte. Die Revolution lehnte er wie die meisten seiner Standesgenossen ab, quittierte aber aus dem heraus, was er als Verantwortung vor dem Staat empfand, nicht den Dienst und sah ab Januar 1919 in seinem Dienstherrn, dem Volksbeauftragten und künftigen Reichswehrminister Gustav Noske, jenen Ordnungspolitiker, der sich den Notwendigkeiten nicht verweigerte und mit dem sich arbeiten ließe. (Dass er nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages gegen denselben Noske putschte, steht auf einem anderen Blatt.) Die GKSD bildete tatsächlich das Rückgrat der regierungsloyalen Truppen im revolutionären Berlin, und die Niederschlagung des Spartakus-Aufstands im Januar 1919 wurde von Pabst erbarmungslos ins Werk gesetzt. Als ihm am 15. Januar die Rädelsführer Luxemburg und Liebknecht in die Hände fielen, hielt er Rücksprache mit Noske, der ihn dahingehend beschied, er müsse ,,selbst verantworten, was zu tun sei". Daraufhin befahl er deren Tötung. Diese sei, wie er in einem von Gietinger abgedruckten Brief von 1969 schrieb, zwar nicht ,,so erfolgt, wie es sein sollte. Aber sie ist erfolgt, und dafür sollten diese deutschen Idioten Noske und mir auf den Knien danken, uns Denkmäler setzen und nach uns Straßen und Plätze benannt haben" (S. 394). Von der Überzeugung, mit dieser Tat den Bürgerkrieg beendet und entscheidend zur Stabilisierung des Staates beigetragen zu haben, ist Waldemar Pabst zeit seines Lebens nicht abgerückt.

Für Gietinger freilich ist die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts die Initialzündung all dessen, was nach 1933 kommen sollte. Hier wäre der Terror in die deutsche Innenpolitik eingeführt worden; Noske und Pabst hätten den Faschismus quasi vorexerziert. Dabei lässt er wohlweislich außer acht, dass es Luxemburg und Liebknecht gewesen waren, die zum Sturz einer Regierung aufgerufen hatten, deren Hauptaufgabe es war, eine verfassunggebende Nationalversammlung auf den Weg zu bringen, um so der Willensbildung des ganzen Volkes (und nicht etwa nur der Arbeiterklasse) einen institutionellen Rahmen zu geben. Die Machtfrage wurde von links gestellt, und Gietingers Gegenüberstellung von ,,demokratischer Revolution" (sprich: Spartakusbund) und ,,sozialdemokratischer Oligarchie" (sprich: Rat der Volksbeauftragten) ist schlichtweg eine Verdrehung der historischen Tatsachen: Hier stand Demokratie gegen Revolution. Die Gefahr für die Regierung und damit auch für das zu schaffende Parlament war real (und kein ,,Popanz", wie Gietinger meint) und der ,,Pakt" zwischen MSPD und Militärs eben deshalb alternativlos. Luxemburg und Liebknecht standen an der Spitze einer radikalen Minderheit. Schon ein Blick auf die Ergebnisse der Wahlen zur Nationalversammlung zeigt, wo die von Gietinger so gern bemühten ,,Massen" standen. Dass die MSPD, die - laut Gietinger - soeben ihre Basis hatte ,,ermorden" lassen, als stärkste Fraktion aus ihnen hervorging, sollte zumindest stutzig machen. Mit solchen Kleinigkeiten hält sich Gietinger indes nicht auf und bleibt den alten Deutungsmustern und Feindbildern treu. Anderslautenden Meinungen - vor allem der Ebert-Biograph Walter Mühlhausen ist ihm verhasst - spricht er rundheraus jede Seriosität ab. Ganz merkwürdig wird es, wenn Gietinger schreibt, dass es der Entente zu danken gewesen wäre, dass die Weimarer Republik nicht schon 1919 ,,in einen faschistischen Staat abdriftete" (S. 186), ohne jedoch einen Gedanken daran zu verschwenden, wie die alliierten Sieger- und Gläubigerstaaten wohl auf eine kommunistische Revolution reagiert hätten: Der Einmarsch der alliierten Truppen wäre die logische Folge gewesen. Dass die sozialdemokratisch geführte provisorische Regierung den Aufstandsversuchen stand- und an ihrem Ziel einer verfassunggebenden Nationalversammlung unbeirrt festgehalten hat, ist ihr großes Verdienst. Und man muss keiner der von Gietinger so verachteten ,,SPD-Historiker" sein, um dieses Verdienst anerkennen und würdigen zu können.

Nachdem Gietinger etwa zwei Drittel seines Buches mit der Beschimpfung der SPD zugebracht hat, befleißigt er sich im weiteren Fortgang der Pabstschen Lebensbeschreibung eines etwas sachlicheren Tons. Tatsächlich entbehrt Pabsts weiterer und weiterhin abenteuerlicher Weg nicht einer gewissen Spannung. Beim Kapp-Putsch hatte er, der eigentlich die militärisch-taktische Führung übernehmen sollte, sich in realistischer Einschätzung der Erfolgsaussichten merklich zurückgehalten. Nach dem Scheitern des Putschversuchs floh er nach Österreich, wo er 1922 die Stabsleitung der Heimatwehren übernahm. Die inneren Diskussionen und Zwistigkeiten, vor allem auch die Vorbehalte gegenüber dem ,,Piefke" Pabst werden von Gietinger anschaulich geschildert, auch wenn er Pabsts Rolle als Zentralfigur der österreichischen Rechten mitunter krass überzeichnet. Interessant und neu ist Pabsts Wirksamkeit als Erpresser in eigener Sache. Mitte der 1920er Jahre verfasste er - aus dem österreichischen Exil - mehrere Briefe an prominente Politiker im Reich, unter anderem an den DNVP-Vorsitzenden Graf Westarp und an Außenminister Stresemann, in denen er mit Aufdeckung ihrer, zumindest widersprüchlichen, Haltung zum Kapp-Putsch drohte - eine Drohung, die Stresemann tatsächlich zur Durchsetzung der den Putschisten damals in Aussicht gestellten Amnestie bewegte. Frisch amnestiert, kehrte Pabst nach Deutschland zurück, wandte sich dem Wirtschaftsleben, vor allem dem Waffengeschäft zu und trat politisch kaum mehr in Erscheinung. Der ,,Blutnacht" des 30. Juni 1934 ist er nur knapp entronnen. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er als umtriebiger Geschäftemacher in der Schweiz. Pabst kehrte - ähnlich wie Otto Strasser, mit dem er in Kontakt stand - erst 1955 in die Bundesrepublik zurück, wo er - Gietinger sieht überall nur alte Nazis am Werk und verweist mit erhobenem Zeigefinger auf einen von den DDR-Behörden ausgestellten Haftbefehl - strafrechtlich nicht mehr belangt wurde. Auch Pabsts Beziehungen zu Widerstandskreisen, insbesondere zu Hans Oster, helfen in Gietingers Augen nicht. Für ihn ist Waldemar Pabst das Verhängnis schlechthin, der Mann, der ,,Karl und Rosa" ermordet und damit die Hoffnung auf eine ,,wirkliche Demokratie" - was immer das auch heißen mag - vernichtet habe. Dabei schießt Gietinger, vorsichtig ausgedrückt, deutlich über das Ziel hinaus: Der Vorwurf des Antisemitismus an die Adresse der MSPD ist schlicht absurd, wenn man bedenkt, dass in ihrer Führungsriege nicht weniger Juden saßen als in derjenigen ihrer linken Konkurrenz. Und solche Absurdität wird zur Geschmacklosigkeit, wenn Gietinger etwa den jüdischen und von den Nationalsozialisten nach jahrelanger KZ-Haft ermordeten Sozialdemokraten Ernst Heilmann, langjährigen Fraktionsvorsitzenden in Preußen, gar als Präfaschisten schmäht. Die Liste derartiger gedanklicher wie geschmacklicher Verirrungen ließe sich nach Belieben fortsetzen. Spannend wie ein Krimi, selbstgerecht wie eine Enzyklika - Gietingers Buch ist mit Vorsicht zu lesen. Mit Vorsicht aber ist es zu lesen.

Max Bloch, Berlin


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