ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Leonore Ansorg, Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR: Die Strafvollzugsanstalt Brandenburg (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Bd. 15), Metropol Verlag, Berlin 2005, 411 S., kart., 21,00 €.

,,Niemand weiß, unter welcher Regierung er lebt, solange er nicht einmal in ihren Gefängnissen gesessen hat." Dass dieser Aphorismus von Leo Tolstoi seine Gültigkeit bewahrt hat, vergegenwärtigt die vorliegende Studie über die Strafvollzugsanstalt Brandenburg. In der Weimarer Republik von der sozialdemokratischen Regierung Preußens als eine der modernsten und größten Einrichtungen Deutschlands geplant, wurde ihre Festigstellung erst 1935 unter nationalsozialistischer Herrschaft realisiert. Der spätere SED-Chef Erich Honecker, der sieben Jahre dort drangsaliert wurde, beschrieb das abseits der Stadt ,,auf dem Görden" gelegene Zuchthaus in seiner Biografie ,,Aus meinem Leben" (Berlin 1980, S. 95) folgendermaßen: ,,Mit hohen Mauern von der Außenwelt abgeschlossen, wirkte es wie ein modernes Verließ, darauf angelegt, die Gefangenen einzuschüchtern und niederzudrücken. So war dort auch die Atmosphäre. Der Strafvollzug hatte zum Ziel, vor allem die politischen Gefangenen - etwa 2200 von insgesamt 3000 Häftlingen - zu demoralisieren und zu vernichten. Nicht wenige der Aufseher behandelten die politischen Gefangenen äußerst brutal. Hinsichtlich Verpflegung, Hygiene und Gesundheit bestanden zum Teil katastrophale Zustände. Der Hunger war in all den Jahren unser ständiger Begleiter. Zahlreiche Genossen sind an Tuberkulose und anderen Krankheiten zugrunde gegangen." Darüber hinaus wurden dort bis 1945 an mehr als 2.000 politischen Gefangenen Todesurteile des ,Volksgerichtshofs' vollstreckt, so dass Brandenburg-Görden als überaus berüchtigte NS-Strafanstalt galt.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus dauerte es bis 1948/49, ehe der Komplex wieder als Strafvollzugsanstalt genutzt wurde. Der weiteren Geschichte dieses düsteren Ortes unter dem SED-Regime geht die Monografie von Leonore Ansorg nach, die sich eng an die einschlägigen Forschungen von Karl Wilhelm Fricke anlehnt, der selbst in Brandenburg und ,,Bautzen II" eingesessen hat. Die Materialgrundlage bildeten Akten des brandenburgischen Justizministeriums, des DDR-Innenministeriums, der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Potsdam und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die durch Interviews mit ehemaligen Insassen ergänzt werden. Dabei konzentriert sich die Autorin - ausgehend von einem weit gefassten Verfolgungsbegriff - auf die politischen Häftlinge. Der rund 40 Jahre umfassende Untersuchungszeitraum wird in drei Phasen gegliedert, die gleichzeitig die Hauptkapitel des Werkes darstellen.

Das erste Hauptkapitel trägt die Überschrift ,,Mit äußerster Härte" und behandelt den Zeitraum der 1950er Jahre. Nachdem man zunächst an Reformkonzepte der Weimarer Republik anknüpfte und eine gewisse Aufbruchstimmung herrschte, setzte 1950 die Übertragung der Verantwortung vom DDR-Justizministerium zum Innenministerium eine Zäsur. Fortan wurden die sichere Verwahrung, militärische Disziplin und Ordnung als oberste Prinzipien gepflegt. Im Gegensatz zu einer humanitär ausgerichteten Behandlung sollte der Strafvollzug bewusst von Härte geprägt sein, was in der Realität durch eine dramatische Überbelegung der Zellen, Personalmangel und gewaltsame Übergriffe noch gesteigert wurde. Durch Entwürdigung, Willkür und rigorose Disziplinierung sollte der Willen der Gefangenen gebrochen und ihr Selbstbewusstsein zerstört werden, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Rasch lebte so der gefürchtete Ruf wieder auf, den die Einrichtung in der NS-Zeit besessen hatte.

Für die 1950er Jahre lassen sich laut Ansorg fünf Gruppen von politischen Häftlingen unterscheiden, die zunächst gegenüber ihren kriminellen Schicksalsgenossen in der Mehrheit waren. Genannt werden erstens die Verurteilten der Sowjetischen Militärtribunale (SMT), die nach Brandenburg überführt worden waren. Eigentlich gegen Kriegsverbrecher und verantwortliche NS-Funktionäre eingesetzt, ,,dienten die Militärtribunale vor allem als Verfolgungsinstrument von Andersdenkenden, die sich nicht kritiklos dem neuen System unterwerfen wollten" (S. 61). Als zweite Gruppe finden die ,,Schwerkriegsverbrecher" Erwähnung, also verurteilte ehemalige Kriegsgefangene, die Mitte der 1950er Jahre aus der Sowjetunion in die DDR bzw. BRD zur weiteren Strafverbüßung überstellt wurden. Da bei den Verfahren keine rechtsstaatlichen Prinzipien zur Anwendung gekommen seien, hätte sich die sowjetische Strafverfolgung - trotz ihrer prinzipiellen Berechtigung zur Ahndung von NS-Verbrechen - delegitimiert. Die dritte Gruppe von politischen Häftlingen resultierte aus Entnazifizierungsprozessen, die deutsche Strafkammern auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 201 vom August 1947 durchgeführt hatten. Mit der Gründung der DDR, so die Einschätzung Ansorgs, seien diese Verfahren deutlich zurückgegangen und von der SED zunehmend zur Ausschaltung von politischen Gegnern genutzt worden. Hinzu kämen viertens die so genannten Waldheim-Verurteilten, ebenfalls auf Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 201 inkriminierte mutmaßliche NS-Straftäter, deren Verfahren teilweise von der SED-Führung gesteuert waren. Als ein scharfes Instrument zur Verfolgung Oppositioneller sei bei einer fünften Gruppe Artikel 6 der DDR-Verfassung genutzt worden, der sich u.a. auf ,,Boykotthetze", ,,Mordhetze" und ,,Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militärische Propaganda" sowie ,,Kriegshetze" erstreckte. Da der ,,Justizterror" blind gewütet habe, seien die Häftlingszahlen seit dem II. Quartal 1952 stark angestiegen (S. 83).

Angesichts der schwierigen Quellenlage, bei der die Schuldfrage nicht immer eindeutig zu klären ist, muss fraglich bleiben, ob tatsächlich alle Häftlinge der genannten Gruppen als politisch Verfolgte gelten können. Anhand von Einzelschicksalen verdeutlicht Ansorg, dass vielfach leichtsinnige, arbeitslose junge Menschen aus der ,,Ostzone" von antikommunistischen Organisationen der Bundesrepublik angeworben worden waren, um in der DDR Flugblätter zu verteilen, Stimmungsberichte abzuliefern, Informationen für den West-Berliner ,,RIAS" zu sammeln oder Angaben über Urantransporte in die Sowjetunion zu übermitteln. Die ostdeutsche Justiz reagierte darauf im Kalten Krieg mit extrem harten Urteilen, um die westdeutschen Drahtzieher zu treffen und zu diskreditieren. Diese Auftraggeber waren u.a. die ,,Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" (KgU), der ,,Bund Deutscher Jugend" (BDJ) und der Bundesnachrichtendienst (BND).

Von den Ereignissen des 17. Juni 1953 war die Strafvollzugseinrichtung Brandenburg indirekt betroffen. Während Aufständische die städtische Untersuchungshaftanstalt stürmten, 42 Gefangene befreiten und den zuständigen Richter verprügelten, verhinderten sowjetische Panzer ein Übergreifen der Rebellion auf das stark gesicherte Zuchthaus auf dem Görden. Entstalinisierung und ,Tauwetter' brachten 1956 gewisse Lockerungen im Strafvollzug, die jedoch bald wieder von Verschärfungen verdrängt wurden. Dass sich an der menschenverachtenden Gefangenenbehandlung nichts Grundsätzliches änderte, garantierte der Anstaltsleiter, Volkspolizei-Major Fritz Ackermann, dessen Kredo von humanitärem Strafvollzug lautete: ,,Der humanitäre Gehalt liegt gerade darin, dass der Strafvollzug als Klasseninstrument der Arbeiterklasse deren Willen vollstreckt, den Widerstand der Feinde des Volkes mit aller Konsequenz bricht, mit den Mitteln des staatlichen Zwangs die sich im Verbrechen widerspiegelnden Erscheinungen der Zersetzung, der Fäulnis und des Parasitentums als Ausdruck der kapitalistischen Unmoral bekämpft" (S. 133f.).

Das zweite Hauptkapitel mit dem Titel ,,Erziehen statt Ausschließen" handelt den Zeitraum von Anfang der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre relativ knapp ab. Thematisiert werden wiederum die Haftbedingungen, Disziplinarmaßnahmen und diverse Einzelschicksale. Wie die Autorin betont, fand ein Strategiewechsel im Strafvollzug statt, der nicht mehr allein auf Buße und Abschreckung setzte, sondern auf die ,,Umerziehung" der Delinquenten. Kernstück des Erziehungsprozesses wurde die Gefangenenarbeit, die durch hohe Arbeitsnormen, Schichtdienst sowie geringe Vergütung ausbeuterische Züge annahm und sich zu einem immer bedeutenderen Wirtschaftsfaktor entwickelte. Gleichzeitig fand ein Wandel der Gefangenenstruktur statt, da politische Häftlinge gegenüber kriminellen Straftätern in die Minderheit gerieten, was ihre Situation erschwerte. Insgesamt ist für die 1960er Jahre von einem unsteten Bild des Strafvollzugs auszugehen: ,,Auf Erleichterungen erfolgten Verschärfungen, Regelungen waren widersprüchlich, es gab keine Verlässlichkeit. Allerdings hatte sich das allgemeine Niveau der Haftbedingungen gegenüber den fünfziger Jahren gehoben. An den Prämissen eines grundsätzlich harten Strafvollzuges, der von Unterdrückung der Persönlichkeit geprägt war, hatte sich jedoch nichts geändert" (S. 171).

Die letzte Phase von Mitte der 1970er Jahre bis zur Wende, die im dritten Hauptkapitel ,,Von der Willkür zur scheinbaren Gesetzlichkeit" erörtert wird, ist vorrangig durch eine zunehmende Verrechtlichung des Strafvollzugs gekennzeichnet. Sie spiegelt das Bemühen der DDR wider, internationale Anerkennung zu erlangen, da insbesondere Amnesty International wiederholt auf die inakzeptable Situation politischer Gefangener im sozialistischen Staat hingewiesen hatte. Wie erschütternde Biografien belegen, konnte es selbst unbescholtenen Bürgern passieren, dass sie in die Fänge des MfS gerieten und jahrelang hinter Gitter verschwanden. Im ,,Schwerverbrecherknast" Brandenburg spielten die politischen Häftlinge jetzt gegenüber den Intensivtätern eine untergeordnete Rolle. ,,Republikflucht" firmierte als häufigstes Delikt, und der Häftlingsfreikauf durch die Bundesrepublik nahm an Bedeutung zu. Amnestien einerseits und Verhaftungswellen andererseits sorgten für einen Wechsel von Leerung und Überbelegung der Anstalt. Die Verpflegung blieb minderwertig, das Recht auf eine Freistunde wurde meist respektiert, die staatsbürgerlicher Erziehung im Sinne von Indoktrination durchgeführt, ferner wurden Briefverkehr, Paketlieferungen und Besuchsregelung erleichtert sowie kulturelle Angebote (Zeitschriften, Filme, Bibliothek) in bescheidenem Umfang erlaubt. Die medizinische Versorgung scheint ausreichend gewesen zu sein.

Das Recht der Gefangenen auf Eingaben an übergeordnete Stellen war zwar gesetzlich garantiert, zeitigte in der Praxis jedoch wenig positive Resultate. Der Widerstand der Häftlinge nahm unterschiedliche Ausdrucksformen an, z.B. Arbeitsverweigerung, Anfertigung von Flugblättern und Hungerstreik. Die Disziplinarstrafen waren von dem Ausspruch einer Missbilligung über den Entzug von Vergünstigungen bis zum ,,unmittelbarem Zwang" (Schlagstockeinsatz, Fesseln) gestaffelt. Von der Dienstaufsicht wurde insbesondere die ausufernde Verhängung der Arreststrafe wiederholt moniert, ohne dass diese Sanktionsmaßnahme entscheidend begrenzt worden wäre. Wie Selbstmorde in der Anstalt erkennen lassen, wurden die Haftbedingungen immer noch als sehr hart und psychisch belastend empfunden, zumal eine Operativgruppe des MfS hinter den Gefängnismauern ihr Unwesen trieb.

Die Umbruchsituation des Herbstes 1989 führte schließlich zu einer Amnestie für politische Gefangene, so dass rund 470 Häftlinge vorzeitig entlassen wurden. Das Anstaltspersonal wurde jedoch weitgehend übernommen, und eine kritische Aufarbeitung der Anstaltsgeschichte unterblieb. Ansorg moniert in diesem Zusammenhang die ,,Fehleinschätzungen" und die ,,geringe Sensibilität von Polizei und Staatsanwaltschaft" (S. 383), da von den insgesamt 975 Ermittlungsverfahren gegen Bedienstete der Strafanstalt nur 18 Anklagen zu Verurteilungen geführt hätten, davon lediglich zwei zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass zahlreiche Fälle bereits länger zurücklagen und die Beweisführung sich als ausgesprochen schwierig erwies.

In der engagierten Untersuchung bleibt die Bestimmung der drei Hauptphasen des ,,politischen" Strafvollzugs etwas unscharf. Nähere Aufschlüsse müssten ferner darüber gewonnen werden, in welchem Umfang sich die Behandlung der politischen und der kriminellen Gefangenen in der Einrichtung unterschied. Inwieweit die Resultate an der einen oder anderen Stelle zu präzisieren sind, wäre anhand entsprechender Vergleichsstudien eingehender zu prüfen. Insgesamt liegt mit dem Werk ein solider Überblick über die Anstalt Brandenburg unter sozialistischer Herrschaft vor, der durch zahlreiche Fotos, Skizzen, Dokumente und Fallbeispiele ein anschauliches Bild des politischen Strafvollzugs vermittelt, auch wenn leider ein Quellenverzeichnis fehlt. Dass gerade von kommunistischer Seite ein repressives Haftregime in der DDR installiert wurde, obwohl viele SED-Funktionäre am eigenen Leib die menschenverachtenden Zustände in den NS-Gefängnissen und KZ erfahren hatten, erscheint aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar.

Matthias Willing, Marburg


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