ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Alexander Christov, ,,Wir sind die junge Garde des Proletariats!" Arbeiterjugendbewegung im Kölner Raum 1904-1919 (Ortstermine. Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz, Bd. XVIII), Rheinlandia Verlag, Siegburg 2007, 188 S., kart., 18,00 €.

Die frühe Geschichte der Arbeiterjugendbewegung ist zwar in ihren Grundzügen gut dargestellt, aber kulturgeschichtliche oder regionale Studien versprechen noch genauere Kenntnisse über Zusammensetzung, ideengeschichtlichen Einflüsse oder soziale Praktiken. Dabei zielte insbesondere die ältere Literatur auf die paternalistische Umgangsweise von Gewerkschaften und SPD mit den ersten Jugendvereinen sowie auf die Spaltung der Arbeiterjugendbewegung während des Ersten Weltkriegs und die daraus resultierende Entwicklung der beiden Arbeiterparteien. (1) Kulturhistorisch standen vor allem die bildungsambitionierten Praktiken der organisierten Arbeiterjugendbewegung im Mittelpunkt des Interesses. (2)

Eine lokale Geschichte der Arbeiterjugendbewegung verspricht, die großen Linien dieser Entwicklung historisch präziser auszuleuchten. Aber dieser Weg ist durch die zumeist mehr als dürftige Quellenlage zumeist holprig. Dies betrifft auch die von Alexander Christov vorgelegte Geschichte der Arbeiterjugendbewegung im Kölner Raum. Die wesentliche Quellengrundlage der Arbeit sind die reichsweiten Zeitungen ,,Arbeitende Jugend" (1904-1908) und ,,Arbeiter-Jugend", die seit 1909 von der Zentralstelle für die arbeitende Jugend Deutschlands herausgegeben wurde. Diese wurde auf regionale Berichte und Artikel geprüft. Darüber hinaus sammelte Christov Hinweise aus der Literatur, Erinnerungsschriften und aus Quellen der regionalen Archive. Die meisten dieser - letztlich wenigen - Quellen sind in einem 60-seitigen Dokumententeil dem Band beigefügt, darunter Fotos, Kassenberichte und Abschriften von Artikeln aus der ,,Arbeiter-Jugend".

Christov verfolgt eine organisationsgeschichtliche Fragestellung. Er geht davon aus, dass die von ihm untersuchten Jahre vor allem ein Prozess von Selbstfindung der Arbeiterjugend waren, mit Diskussionen über die Eigenständigkeit oder organisatorische Einordnung in Gewerkschaften und Partei, sowie eine Auseinandersetzung mit der Ausgrenzung aus der wilhelminischen Gesellschaft, im Kölner Raum insbesondere mit der katholischen Kirche und den polizeilichen Kontrollorganen. Entsprechend geht er vielleicht etwas vorschnell davon aus, dass mit der Gründung der Weimarer Republik die Integration und Akzeptanz der organisierten Arbeiterjugend abgeschlossen gewesen sei.

Da die Zielgruppe der Schrift wohl in lokalgeschichtlich Interessierten im Kölner Raum gesehen wird, entfaltet Christov auch die allgemeine Entwicklung der Arbeiterjugend, um die Tendenzen dann anhand seiner Quellen für die Kölner Gruppen zu überprüfen.

Die Kölner Gruppe wurde unter dem Namen ,,Freie Jugendorganisation" erst im Mai 1907 gegründet, drei Jahre nach den ersten Lehrlingsvereinen in Berlin und Mannheim. Sie umfasste bald rund 80 Mitglieder, angesichts von rund 5.000 Mitgliedern der katholischen Jugendvereine ein bescheidener Anfang. 1913 wurden knapp 1.800 Abonnenten der ,,Arbeiter-Jugend" im Kölner Raum gezählt. Zur Verwirrung trägt bei, dass die ,,Freie Jugendorganisation" zwar noch 1911 vom Kölner Polizeipräsidenten verboten wurde, allerdings vermutlich schon 1908 die Gruppen von der Vereins- auf eine Netzwerkstruktur ausgerichtet wurden. Zählkriterium für die Mitgliedschaft waren infolgedessen allein die Abonnenten der ,,Arbeiter-Jugend", so dass für den Kölner Raum ein größerer Einfluss angenommen werden kann.

Christov stellt die Geschichte der Kölner Arbeiterjugendbewegung in vier Abschnitten dar. Zuerst Aufbau und Wirken vor 1914, dann die Spannungen während des Ersten Weltkriegs und schließlich während der Revolution 1918/19. Diesen überwiegend konventionellen Darstellungen folgt ein vierter Abschnitt über spezifische Aktivitäten der Gruppen. Dazu gehören Gruppenfahrten und Wanderungen - das Titelbild ziert das Foto eines Besuchs in der belgischen Festung Dinant 1910 durch die Gruppe - sowie inhaltliche Forderungen. Christov verschenkt aber die Chance, kulturgeschichtlich interessante Aspekte über eine reine Darstellung weiter zu vertiefen. Dazu kommt eine zu geringe Distanz zu den Quellentexten, wenn er zum Beispiel schreibt, dass sich ,,die werktätigen Jugendlichen - wahrscheinlich moralisch desillusioniert durch den Krieg - an der kapitalistischen Vergnügungsindustrie beteiligten" (S. 58). Solche zeitgenössischen Formulierungen tauchen häufiger auf, ohne dass sie analysiert oder kontextualisiert werden. Der Einsatz der organisierten Arbeiterjugendlichen gegen Tabak- und Alkoholkonsum und für Bildung ist ja möglicherweise auch gegen Teile der Mitgliedschaft geführt worden, ebenso, wenn gegen jugendgefährdende Schriften (wie Karl May) agitiert wurde. Der bildungsambitionierte und auch asketische Lebensstil der organisierten Arbeiterjugendlichen hat gewiss immer nur einen Teil erreicht. Die Quellenlage ist vermutlich zu gering, um hier Konflikte auch innerhalb der Organisation selbst zu profilieren. Immerhin war es eine Kölner Besonderheit, dass sich die organisierte Arbeiterjugend auch gegen den Kölner Karneval wandte und ,,Fastnachtswanderungen" organisierte, die das jugendliche Proletariat von dem närrischen Treiben fernhalten sollten.

Aus der Kölner Arbeiterjugendbewegung gingen mit Wilhelm Sollmann ein sozialdemokratischer, mit Walter Stoecker und Franz Dahlem zwei kommunistische Politiker hervor, die bekannter wurden. Christov zitiert auch aus ihren Erinnerungsschriften und einigen anderen Quellen. Eine kurze biografische Skizze oder der Konflikt um die Erinnerungen an die Zeit der Arbeiterjugend, der bereits in der Weimarer Republik einsetzte, hätten die Arbeit um spannende Aspekte bereichert. Methodische Reflektionen über die Quellen fehlen. Diese wären aber angesichts der Zeitungsquellen hilfreich gewesen, da sie überwiegend von Funktionären stammen und daher von einer entsprechend positiven Zeichnung des Organisationslebens geprägt sind.

Die Arbeit, vermutlich als Magisterarbeit in Köln entstanden, bietet insgesamt einen eher konventionellen lokalgeschichtlichen Überblick mit zumeist bekannten Quellen, die der Forschung zur organisierten Arbeiterjugendbewegung keine neuen Impulse gibt. Das Material hätte jedoch trotz der geringen Quellenbasis mehr hergegeben.

Dennoch bietet die Arbeit Anregungen, insbesondere die kulturgeschichtlichen Aspekte der Arbeiterjugendbewegung in einer größeren Darstellung zu vertiefen.

Knud Andresen, Hamburg

Fußnoten:


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 23. November 2009