ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Hans Pohl (Hrsg.), Deutsche Bankiers des 20. Jahrhunderts, hrsg. im Auftrag des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für bankhistorische Forschung e.V., Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, XII, 488 S., geb., 39,00 €.

Schließt man sich dem Urteil Paul Erkers an, stellen ,,gelungene Unternehmerbiografien, die das personelle Handeln und die unternehmensinterne Entwicklung eng verknüpft darstellen und analysieren", noch immer eine Ausnahme dar. (1) Doch zeigen jüngste Publikationen über Hans Matthöfer, Axel Springer, Friedrich Flick, Walther Rathenau, Herbert Gutmann, Paul Silverberg, Hjalmar Schacht oder Hermann Josef Abs, dass im Zuge des unternehmenshistorischen Booms der letzten 15 Jahre auch ambitionierte biografische Studien zunehmend Konjunktur haben.

Der vom Bonner Wirtschaftshistoriker Hans Pohl herausgegebene und in dieser Form bisher singuläre Sammelband stellt sich vor diesem Hintergrund der Aufgabe, Desideraten in der biografischen Forschung über Bankiers und Bankmanager zu begegnen. Das Ergebnis ist eine Zusammenstellung von insgesamt 30 biografischen Skizzen auf knapp 500 Seiten. Berücksichtigt werden nur bereits verstorbene (und ausschließlich männliche) Vertreter von Aktienbanken (14), Privatbanken (8), Sparkassen/Kreditgenossenschaften (3), der Reichsbank bzw. Bundesbank (3) sowie zwei nicht eindeutig zuzuordnende Bankenpersönlichkeiten, die Geburtsjahrgängen zwischen 1848 und 1934 angehörten und berufliche Karriere im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im NS-Staat und in der Bundesrepublik machten.

Es liegt auf der Hand, dass es sich bei den einbezogenen biografischen Fallstudien lediglich um eine Auswahl handelt, mit der zwar alle Bankenzweige repräsentiert werden, die aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Wie der Herausgeber selbst konzediert, mag sie ,,in gewissem Grade ,willkürlich' erscheinen" (S. X), und auch eine denkbare Erweiterung beispielsweise um Georg Solmssen (Disconto-Gesellschaft/Deutsche Bank), Otto Jeidels (Berliner Handels-Gesellschaft) oder Kurt von Schröder (J. H. Stein) hätte hieran wenig zu ändern vermocht.

Herausgekommen ist kein Sammelband, der wie aus einem Guss wirkt. Es machte vielmehr gerade seinen Reiz aus, dass Autoren mit unterschiedlichem Hintergrund - Historiker, Journalisten und ehemaligen Bankmitarbeiter - mitgewirkt haben. Verschiedenartig sind die Beiträge auch insofern, als einige (u.a. über Hermann Josef Abs, Hjalmar Schacht und Oscar Wassermann) Zusammenfassungen bestehender Forschungserträge darstellen, während mit anderen unternehmerhistorisches Neuland betreten wird. Ein Verdienst ist es jedenfalls, dass auch Bankenvertreter wie Fritz Buschkau, Georg Draheim, Johann Christian Eberle, Paul Lichtenberg oder Otto Schniewind aufgenommen worden sind, deren Namen bisher nur wenigen geläufig gewesen sein dürften und mit denen auch Manager der ,anonymeren' Akteingesellschaften und gerade auch der Sparkassen und Kreditgenossenschaften fokussiert werden.

Das breite Spektrum an Beiträgen und die Vielzahl an Perspektiven und Herangehensweisen erschweren es, Fixpunkte und Kernfragen des Gesamtbandes auszumachen. Allerdings überrascht es nicht, dass das unternehmerische Verhalten während der NS-Diktatur besonderes Augenmerk findet. Ebenso zieht sich die Problematisierung der personellen Kontinuitäten in den Bankenspitzen über die politischen Umbrüche hinweg wie ein roter Faden durch viele Aufsätze. Neben den prominentesten Fällen von Hermann Josef Abs als ,,Mann für alle Jahreszeiten" oder Carl Goetz, der zwischen 1931 und 1965 an der Spitze der Dresdner Bank stand, ist etwa aufschlussreich, wie der erste Bundesbankpräsident Karl Blessing mit seinen vorangegangenen Erfahrungen als Mitglied des Reichsbankdirektoriums und -beirats das Ziel der Preisstabilität und einer neuen Außendarstellung der Bundesbankpolitik verfolgte.

Immer wiederkehrende Hinweise beziehen sich darüber hinaus auf eine Herausforderung für die unternehmergeschichtliche Forschung: Auf den Mangel an Quellen, auf fehlende Nachlässe und nicht vorhandenes autobiografisches Material. Ungeachtet des jahrzehntelangen Wirkens vieler Wirtschaftspersönlichkeiten können sich biografische Darstellungen bisweilen auf kaum mehr als auf Presseausschnitte stützen, so dass manche Aussage im Bereich des Spekulativen bleiben oder von einer eigentlichen Bankiers- auf eine allgemeinere Banken- und Finanzgeschichte ausgewichen werden muss.

Verschiedene Autoren führen vor, wie lehrreich die Orientierung an weitergehenden Fragestellungen sein kann, so bei der Darstellung des Funktionswandels vom Privatbankier zum Manager-Unternehmer am Beispiel Arthur von Gwinners und der unternehmerischen Aufstiegsbedingungen im NS-Staat am Beispiel Karl Rasches. Neben den - zumeist über das Einzelunternehmen hinaus einflussreichen - geschäftlichen Aktivitäten spielen vielfach auch die über rein beratende Tätigkeit hinausgehende Involvierung in politische Fragen und das sozial-kulturelle Engagement eine Rolle. Auffällig ist zudem die häufige Verwendung des Netzwerkbegriffs, der den Einfluss neuerer sozialgeschichtlicher Forschungserträge widerspiegelt, auch wenn hier und da - freilich abhängig von der Quellenlage - den Fragen nach familiären Kontinuitätselementen und der Einbettung von Aufstiegsprozessen und Karriereverläufen in wirtschaftsbürgerliche Homogenitätsstrukturen etwas ausführlicher hätte nachgespürt werden können.

Nicht alle Beiträge des Bandes können sich von einer grundlegenden Problematik der Unternehmerbiografie frei machen. Es liegt in der Natur der Sache, dass zumeist gerade die erfolgreichen Persönlichkeiten und ihre Leistungen in den Mittelpunkt gestellt und gescheiterte Wirtschaftsakteure in der Regel vernachlässigt werden. Umso problematischer erscheint es jedoch, wenn zusätzlich ein Mindestmaß an kritischer Distanz verloren zu gehen droht und der Porträtierte in ein allzu strahlendes Licht gerückt wird. So wird der durch ,,Unabhängigkeit, Mut, Gradlinigkeit und Führungscharisma" gekennzeichnete Alfred Herrhausen gleichsam zum ,,Mythos" stilisiert (S. 213 sowie 211) oder bleibt unerwähnt, dass die erfolgreiche Meisterung der ,,schwierige[n] Zeit" im ,Dritten Reich' für das Bankhaus Merck, Finck & Co. auch auf die NS-Loyalität seines Inhabers August von Finck und die aktive Beteiligung an verschiedenen ,Arisierungen' zurückzuführen war (S. 121). An anderen Stellen fehlt es indes nicht an kritischen Hinweisen, etwa auf die antimodernistische Einstellung des Sparkassenreformers Johann Christian Eberle, die z.T. fatalen finanz- und währungspolitischen Entscheidungen Karl Helfferichs und die desaströsen Zusammenbrüche der Darmstädter und Nationalbank Jakob Goldschmidts 1931 und des Bankhauses I. D. Herstatt 1974.

Insgesamt bietet der Band in gewinnbringender Weise vielfältige Einblicke in Unternehmerkarrieren und abwechslungsreiche Perspektiven der deutschen Bankengeschichte des 20. Jahrhunderts. Mit der Heterogenität seiner methodischen Ansätze meistert er den Spagat zwischen Ausrichtung auf den interessierten Laien und wissenschaftlichem Anspruch; doch zugleich bleibt als Manko die vertane Chance, die Einleitung oder einen zusätzlichen Überblicksartikel zu einer analytischen Abfederung dieser Heterogenität zu nutzen. Wenigsten in Ansätzen hätte man eine Einordnung in unternehmergeschichtliche Forschungstrends vornehmen, Forschungspotenziale und Problematiken von Bankiersbiografien aufzeigen und ihr Verhältnis zur Unternehmensgeschichte thematisieren können - und auch der titelgebende Oberbegriff des ,,Bankiers" hätte nicht nur in Zeiten einer globalen Finanzkrise eine Hinterfragung gelohnt.

Martin Münzel, Bielefeld

Fußnoten:


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