Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Joachim Schröder, Internationalismus nach dem Krieg. Die Beziehungen zwischen deutschen und französischen Kommunisten 1918-1923, Klartext Verlag, Essen 2008, 456 S., brosch., 32,00 €.
Schon 1892 hatte Wilhelm Liebknecht auf dem 10. Parteitag der Parti Ouvrier Français über den Blutstrom gesprochen, der zwischen Deutschen und Franzosen fließen würde, und darüber, dass es die Aufgabe der Proletarier sei, zu zeigen, dass diese beiden Nationen verbrüdert sind und im Namen des Sozialismus für die Revolution gemeinsam kämpfen werden. 1919, als sich Vertreter der deutschen und der französischen Sozialisten erstmals wieder seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs offiziell gegenüberstanden, war der Blutstrom und mit ihm die Kluft, die es im Namen des Internationalismus zu überbrücken galt, größer geworden.
In seiner 2006 an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf eingereichten und 2008 publizierten Dissertation nimmt sich Joachim Schröder dieser schwierigen Problematik der Nachkriegsbeziehungen zwischen deutschen und französischen Kommunisten an. Er untersucht in seiner Arbeit den bislang in der Forschung wenig beachteten Zeitraum zwischen 1918, dem Ende des Ersten Weltkriegs, und 1923, als der ,,deutsche Oktober" scheiterte. Es ist, wie Schröder in seiner Einleitung argumentiert, eine zwar kurze, aber äußert spannungsreiche Zeitspanne, in der sich nicht nur die Beziehungen zwischen deutschen und französischen Sozialisten neu positionierten, sondern auch der ,,revolutionäre Internationalismus" sich neu definierte, vor allem durch den Aufstieg des Kommunismus und der Kommunistischen Internationale (Komintern).
Das Buch ist in fünf Hauptkapitel unterteilt, die jeweils für eine eigene Fragestellung und einen besonderen Aspekt der deutsch-französischen Beziehungen stehen: Das erste Kapitel betrachtet die Sozialisten im Ersten Weltkrieg, vom Burgfrieden über die Konferenzen von Zimmerwald (1915) und Kienthal (1916) bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale. Das zweite Kapitel nimmt die zahlreichen Konferenzen und Kongresse zwischen 1919 und 1923 als Orte der Begegnung für deutsche und französische Sozialisten bzw. Kommunisten ins Visier. Das dritte Kapitel befasst sich mit der internationalistischen Politik, den Reaktionen auf das Ende der alten Internationale, der Schaffung der Komintern und mit den Reaktionen auf deutscher und französischer Seite bezüglich des Versailler Vertrags. Andere Begegnungsorte als Parteitage bilden das Thema des vierten Kapitels: Es geht um ,,institutionalisierten Internationalismus", wie ihn die Komintern vertrat, und um Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten, die innerhalb dieses Apparats möglich waren bzw. ermöglicht wurden. In diesem Kapitel präsentiert Schröder auch einige Kurzbiographien wichtiger Funktionäre sowie einen Vergleich zwischen deutscher und französischer Berichterstattung über das jeweils andere Land. Das fünfte und letzte Kapitel widmet sich schließlich der Ruhrbesetzung und dem ,,deutschen Oktober" und analysiert den Widerstand der deutschen und französischen kommunistischen Parteien, deren Reaktionen und deren Handlungsmöglichkeiten sowie das Scheitern des Internationalismus.
Die fünf Kapitel bauen aufeinander auf und sind hauptsächlich politikgeschichtlich orientiert - deswegen auch die thematische und zeitliche Chronologie. In der Einleitung erkennt man den Anspruch des Autors, auch kulturgeschichtliche Aspekte thematisieren zu wollen - dies geschieht jedoch hauptsächlich anhand der Begegnungsorte, die als Tummelplätze des Internationalismus fungierten, der in der persönlichen Begegnung erlebbar wurde. Auch streift Schröder die Konsequenzen solcher Begegnungen für das Handeln politischer Akteure auf deutscher und französischer Seite. Was hier fehlt, ist ein grundlegender Methodenteil - denn die Identifizierung von ,,Begegnungsorten" ist zwar etwas Löbliches und für die doch recht verstaubt geglaubte Geschichte des Sozialismus ein guter kulturgeschichtlicher ,,Kick", als methodische Herangehensweise jedoch nicht genügend. Der Begegnungsort ist eher eine Analysekategorie als eine Methode. Hier hätten beispielsweise noch Netzwerktheorien, Kommunikationstheorien und Theorien sozialer Bewegungen gewinnbringend integriert werden können, wie anhand der Veröffentlichungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung der letzten Jahre deutlich wird.
Trotz des eher schwachen methodischen Ansatzes wird Schröder seiner Aufgabe gerecht, die belasteten Beziehungen zwischen deutschen und französischen Kommunisten anhand von sehr umfangreichem Quellenmaterial zu beschreiben und zu analysieren. Seine Leitfrage nach der Art und Weise, wie die handelnden Akteure unter den Bedingungen der Nachkriegszeit das Postulat des Internationalismus in die Praxis umsetzten, bleibt der rote Faden des gesamten Buchs, der durch die einzelnen Kapitel und Unterkapitel hindurchführt. Die Probleme zwischen deutschen und französischen Sozialisten entsprangen nämlich nicht nur der misslichen europäischen Lage, sondern auch, wie der Autor zeigt, den innerparteilichen und gesamtsozialistischen Kämpfen. Hier war das Eintreten in die Komintern Lösung und Problem zugleich, denn einerseits wurden dadurch interne Auseinandersetzungen ausgeblendet und die Handlungsmöglichkeiten erweitert. Andererseits hatte man einen gewissen Grad an Autonomie verloren und hing von der Organisation als Gesamtorganismus ab. Durch die neue Form des Internationalismus wurden auch die Kontakte zwischen Deutschen und Franzosen häufiger als in der Vorkriegszeit. Es gab zwar schon vor 1914 eine Tradition des gegenseitigen Besuchs und des Austauschs, diese nahm allerdings nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem, wie Schröder darlegt, nach 1921 deutlich zu. Die Art und Weise, wie die jeweils ,Anderen' gesehen wurden, hing nicht nur von tradierten Stereotypen ab, sondern auch - wie immer - vom menschlichen Faktor, das heißt mit den verschiedenen Vertretern und Funktionären zusammen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten waren nicht nur im Parteiprogramm und den ungleichen Mentalitäten verankert, sondern auch innerhalb persönlicher Verbindungen zu finden. Diese wiederum prägten die zahlreichen Facetten der sozialistisch-kommunistischen Beziehungen zwischen Franzosen und Deutschen, die den Gegenstand von Schröders Buch bilden.
Laura Polexe, Basel