ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Irmela von der Lühe/Axel Schildt/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), ,,Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause". Jüdische Remigration nach 1945 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. 34), Wallstein Verlag, Göttingen 2008, 508 S., geb., 42,00 €.

Mit ihrem Sammelband zur jüdischen Remigration nach Deutschland legen die Autorinnen und Autoren einen Beitrag zu einem bisher eher randständig behandelten Aspekt der Remigrationsforschung vor. (1) Zwar haben sich einige Historikerinnen und Historiker der Thematik z.B. anhand von Einzelschicksalen bereits angenommen, aber ein Gesamtüberblick steht noch aus, auch weil häufig die spezifisch jüdische Remigration in den erweiterten Rahmen der allgemeinen Remigrationsforschung oder der Antisemitismusforschung einbezogen wurde. (2) Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen auf einer Tagung im Jahr 2006 in Hamburg versucht, diese Forschungslücke zu schließen. Der zu besprechende Sammelband stellt das publizierte Ergebnis dieses Kongresses dar, wobei für die Veröffentlichung noch einige Beiträge ergänzt wurden.

Der Anspruch der Tagung war es ursprünglich, Ansätze der Exil- und Remigrationsgeschichte sowie der deutsch-jüdischen Zeitgeschichte zu verbinden. Dies ist den Beiträgerinnen und Beiträgern, wie so oft bei Sammelbänden, nur in unterschiedlichem Maß gelungen. Erörtert wird vielmehr mit ganz ungleichen Ansätzen und Fragestellungen ,,die spezifische Remigrationsproblematik geflüchteter, vertriebener und überlebender Juden" (S. 11), die aus sehr verschiedenen Motiven heraus nach 1945 nach Deutschland zurückkehrten. Indes nehmen sich nicht alle Beiträge tatsächlich der Problematik der Rückkehr an. Vor allem die abschließenden Aufsätze des Bandes setzen sich eher mit der literarisch-künstlerischen Verarbeitung des Themas auseinander. Dabei muss man hinzufügen, dass, wenn im Folgenden von Deutschland die Rede ist, man viel eher Westdeutschland schreiben müsste. Bei aller Vielfalt der Beiträge kommt der Osten Deutschlands eindeutig zu kurz. Annette Leos Aufsatz zur Remigration von Wolfgang Steinitz ist der einzige von insgesamt 22 (neben einzelnen Querverweisen in manchen Beiträgen), der den Fokus explizit auf die Probleme jüdischer Rückkehrer in die SBZ/DDR richtet. Auch auf diesem Feld wären weitere Bemühungen der Forschung sehr wünschenswert.

Da in diesem Rahmen nicht alle Beiträge besprochen werden können, möchte ich verschiedene mir besonders wichtig erscheinende Aspekte herausgreifen. Werner Bergmann kann in einem einleitenden Beitrag zeigen, wie verhalten bis ablehnend die Reaktionen in der deutschen Bevölkerung auf die alles in allem doch sehr kleine Zahl der jüdischen Rückkehrer waren. Oftmals zeigte sich in Befragungen der Siegermächte, dass weit über das Kriegsende und die vermeintliche ,,Stunde Null" hinaus antisemitische Haltungen sehr verbreitet waren. In Frankfurt am Main, wo sich mit Walter Kolb als Oberbürgermeister ein Sozialdemokrat und NS-Verfolgter für die jüdischen Mitbürger besonders einsetzte, ja sogar eine offizielle Einladung zur Rückkehr jüdischer Frankfurter formulierte, erntete dieser teilweise heftigen Widerspruch. In Leserbriefen baten Einwohner der heutigen Mainmetropole darum, dass Kolb doch seinen Worten bitte keine Taten folgen lassen sollte: ,,Es tät mer leid als Frankforder, widder so viele Jidde dort zu sehen!" (Beitrag Monica Kingreen, S. 124). Zusätzlich erinnerte die Rückkehr von einigen ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger viele Deutsche an ihre (Mit-)Schuld an deren Diskriminierung, Vertreibung und letztlich Vernichtung. Diese bittere Wahrheit stand aber dem allgegenwärtigen Bemühen um Verdrängen und Vergessen entgegen. Manchmal war man gar mit der Tatsache konfrontiert, dass viele Deutsche sich sogar noch als den Rückkehrern moralisch überlegen ansahen, hatten sie doch die Leiden des Zweiten Weltkriegs ,,am eigenen Leib" erfahren, die meisten Rückkehrer den Krieg aber in sicheren Ländern vermeintlich unbeschadet überstanden.

Doch nicht nur der latente Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft verhinderte eine Rückkehr jüdischer Deutscher, auch die Restriktionen der alliierten Militärbehörden waren ein teil- und zeitweise nur schwer zu überwindendes Hindernis (Beitrag Ursula Büttner). Ebenso spielten die Selbst- und Fremdwahrnehmungen eine große Rolle bei der Beantwortung der Frage, wie sich Remigrierte in die deutsche Nachkriegsgesellschaft einfinden würden. Selbst wenn man sich gar nicht unbedingt als ,,Jude" definierte, wie im Fall des getauften Protestanten Helmuth Plessner mit einem Vater jüdischer Abstammung (Beitrag Carola Dietze), so machten einen erst die ,,Nürnberger Gesetze" und dann die Wahrnehmung der Zeitgenossen zu einem Juden. Während Plessner eigentlich völlig assimiliert war, ,,nahmen ihn Teile seiner Umwelt in Deutschland [...] als Juden wahr und behandelten ihn entsprechend oder stellten damit einhergehende Erwartungen an ihn" (S. 244). Sowohl diese Ressentiments als auch Erwartungshaltungen gegenüber den Rückkehrern erschwerten ihnen den Aufbau einer neuen Existenz in Deutschland.

Letztlich gab es seit der Gründung des Staates Israel eine für viele Juden nahe liegende Alternative zur Rückkehr nach Deutschland. In zahlreichen Familien herrschte gar Unverständnis, wenn Familienmitglieder ausgerechnet aus Palästina/Israel nach Deutschland zurückkehren wollten. Einige wenige kamen sogar erst Jahrzehnte nach Kriegsende wieder zurück nach Deutschland, zum Teil um ihren Lebensabend hier zu verbringen. Diese Tatsache deutet bereits an, dass eine Rückkehr, wenn sie denn überhaupt erfolgte, aus den unterschiedlichsten Gründen stattfand. Manchmal war es die besondere Verbundenheit zu einer Stadt wie z.B. München (Beitrag von Andrea Sinn) oder Frankfurt am Main (Monica Kingreen), ein andermal war es die Chance zum Neuanfang auch auf der Basis wirtschaftlich-personeller Netzwerke (Beitrag von Martin Münzel zur Rückkehr emigrierter Unternehmer), in wieder anders gelagerten Fällen das persönliche Verständnis von der Berufung als Rabbiner und die damit verbundene Überzeugung, die verbliebenen jüdischen Gemeinden im ,,Land der Täter" nicht im Stich lassen zu können (Beitrag von Andreas Brämer). In einem weiteren Fall war schon die Entscheidung, in den 1930er Jahren ausgerechnet nach Palästina zu gehen, ,,aus der Not geboren" (S. 278), eine Rückkehr nach Deutschland also nie wirklich ausgeschlossen (Beitrag von Stefanie Schüler-Springorum zur Remigration des Ehepaars Margot und Max Fürst). Insbesondere ehemalige politische Flüchtlinge verbanden mit ihrer Rückkehr oft auch die Chance, das ,,neue" Deutschland aktiv mitgestalten zu können. Allen Remigranten gemeinsam waren unterschiedlich geartete emotionale, soziale oder auch ökonomische Bande nach Deutschland. Insgesamt gab es fast immer eine Fülle an rechtlich-bürokratischen und innerfamiliären Hürden zu überwinden.

Im Ganzen stellt der Band einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Remigration wie zur Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945 dar. Wenn auch die Zahl der jüdischen Rückkehrer recht klein war und die jüdischen Gemeinden nach der Shoah an ihr ,,Vorleben" in der Weimarer Republik nicht mehr wirklich anknüpfen konnten, so prägten doch auch zurückgekehrte jüdische Deutsche das öffentliche Leben, wenigstens in der Bundesrepublik, in vielerlei Bereichen. Dabei wird allerdings deutlich, dass es sich bei der jüdischen Remigration im Wesentlichen um ein Elitenphänomen handelte.

Marcus Sonntag, Erfurt

Fußnoten:


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