ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Der von Insa Eschebach, Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, herausgegebene Sammelband dokumentiert die im August 2006 eröffnete Dauerausstellung über das ,,Zellenbau" oder ,,Bunker" genannte Lagergefängnis des KZ Ravensbrück. Auf drei längere Beiträge zur Geschichte des Zellenbaus folgen je knappe Darstellungen der 19 heute dort zu sehenden ,,nationalen Gedenkräume". Alle Texte liegen in deutscher und englischer Sprache vor (wobei eine Übersetzung in zumindest eine osteuropäische Sprache sicherlich ebenfalls nützlich gewesen wäre) und werden durch Fotografien, Lagepläne und Zeichnungen illustriert.

Andreas Ehresmann liefert eine bauhistorische Analyse und detaillierte Beschreibung des Zellenbaus, ein Gebäude, das im Dezember 1939, sieben Monate nach Eröffnung des KZ, mit 78 gereihten Einzelzellen fertiggestellt wurde und ganz einem konventionellen Gefängnisbau entsprach. Im Unterschied zu den Lagergefängnissen in anderen Konzentrationslagern war der Zellenbau in Ravensbrück mit Zentralheizung und Wasserklosetts ausgestattet, ohne dass dies freilich etwas über die tatsächlichen Haftbedingungen aussagte. Diese werden im Beitrag von Alyn Beßmann beschrieben. Zwar liegen nur wenig Quellen vor, doch ist davon auszugehen, dass die Gründe für die Verbringung der KZ-Häftlinge in den Zellenbau mehr oder minder willkürlich waren, so dass jede Gefangene - unabhängig von Nationalität oder Status in der Lagerhierarchie - potenziell bedroht war. Die dort durchgeführten ,,Verhöre" bestanden in Folterungen, und der Haftalltag war in hohem Maße von der Willkür der Aufsehrinnen geprägt, wobei den Überlebenden insbesondere Dunkelhaft und der Hunger in Erinnerung geblieben sind. Weder die Gesamtzahl der Inhaftierten (darunter auch einige Männer) ist bekannt, noch die Zahl der Ermordeten. Man weiß jedoch, dass die Gestapo den Zellenbau auch als Sondergefängnis für Mitglieder verschiedener Widerstandsgruppen und auch für SS-Angehörige, die gegen den Kodex der SS verstoßen hatten, nutzte, die dort vergleichsweise privilegierte Bedingungen vorfanden.

Nach Kriegsende wurde der Zellenbau zunächst rund zehn Jahre von der sowjetischen Armee genutzt, dann der neu eingerichteten Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück übergeben. Seit Ende der 1950er Jahre entstanden hier, wie Insa Eschebach nachzeichnet, von den nationalen Verbänden der Überlebenden gestaltete Gedenkräume, die Mitte der 1980er Jahre zum Teil völlig überarbeitet wurden. Ende 2003 beschloss der Internationale Beirat der 1993 gegründeten Stiftung ,,Brandenburgische Gedenkstätten" nach langen und kontroversen Debatten, den Zellenbau nicht mehr zu verändern. Die vorhandenen Gedenkräume wurden damit selbst zum zeithistorischen Gegenstand, ,,zu Manifestationen verschiedener nationaler Gedenkkulturen" (S. 14). Wie unterschiedlich diese sind, wird in den von Alyn Beßmann, Richard Faber, Monika Herzog und Christine Holste verfassten kurzen Skizzen zu den 19 nationalen Gedenkräumen deutlich. Thematisiert wird, wer den Gedenkraum eingerichtet hat und wann dies geschah, welche Gestaltungs- und Gedenkkonzepte dort verfolgt wurden und welche Exponate zu sehen sind.

Der Band liefert also reichhaltiges Anschauungsmaterial über die Formen und Kulturen des nationalen Gedenkens. Für diejenigen, die sich für den Zellenbau als Ort des nationalsozialistischen Terrors interessieren, bietet der Sammelband einige wichtige Informationen, jedoch keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse. Dies ist von einem Ausstellungskatalog auch nicht unbedingt zu erwarten. Bei dem zweiten zu besprechenden Band sind die Erwartungen insofern höher, als hier mit den KZ-Aufseherinnen ein Thema aufgegriffen wird, das als Desiderat der Forschung gelten kann.

Die 25 Beiträge des von Simone Erpel, Kuratorin der Ausstellung über die KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück, herausgegebenen Sammelbands behandeln folgende Themenbereiche: die Aufseherinnen in der NS-Zeit, Prozesse gegen die Aufseherinnen (in den Besatzungszonen sowie vor deutschen Gerichten), visuelle Inszenierungen in Fotosammlungen sowie die Erinnerungen von Überlebenden, von ehemaligen Aufseherinnen und von Fürstenberger Bürgern, die in der Nachbarschaft des Konzentrationslagers lebten. Unterschiedliche Quellengattungen (wie insbesondere Schriftstücke und Fotografien aus der NS-Zeit, protokollierte Aussagen in Prozessen, mündlich mitgeteilte Erinnerungen) werden herangezogen, um sozialstrukturelle Daten über die Aufseherinnen zusammenzutragen, um ihr Handeln im KZ und nach Dienstschluss zu beschreiben, um die Prozesse der Brutalisierung nachzuzeichnen und um die Dominanz der Entlastungs- und Vermeidungsstrategien zu belegen, die nach Kriegsende die Aussagen der Aufseherinnen und ihrer Familienangehörigen sowie der Fürstenberger Bürger präg(t)en.

Eine Fülle von Details wird vor dem Leser ausgebreitet, eine Einordnung oder Typologie jedoch nicht vorgenommen - obwohl sich diese aus dem Dargestellten ableiten ließe. Denn konstatiert wird ja, dass die Gesamtzahl der Aufseherinnen, die zwischen 1938 und 1945 in einem KZ tätig waren, bei rund 4.000 liegt (S. 45) und dass die überwiegende Mehrzahl von ihnen den Dienst jedoch erst im letzten Kriegsjahr antrat (S. 23). Der Grund hierfür lag darin, dass 1943/44 die Gefangenenzahlen erheblich anstiegen und dass erst jetzt in großer Zahl KZ-Außenlager bei Industriebetrieben errichtet wurden. Das Wachpersonal für die im letzten Kriegsjahr errichteten Außenlager mit weiblichen Häftlingen wurde im Wesentlichen auf zwei Wegen rekrutiert: Zum einen forderte die SS die Firmen auf, weibliche Betriebsangehörige zur Bewachung abzustellen, zum zweiten setzen die Arbeitsämter verstärkt das Instrument der Dienstverpflichtung ein - ohne dass bei der Weigerung, Dienst in einem KZ zu tun, Zwangsmaßnahmen durchgeführt wurden wären (S. 86f.).

Im Hinblick auf die Gesamtzahl der Aufseherinnen ergibt sich also eine Differenzierung in die große Gruppe derjenigen Aufseherinnen, die erst im letzten Kriegsjahr Dienst in einem KZ verrichteten, und die kleine Kerngruppe derjenigen, die von Ende der 1930er Jahre bis Kriegsende im KZ tätig waren. Die Lichtenburg, das frühe Frauenlager der SS, und seit 1939 Ravensbrück erwiesen sich für diese Kerngruppe von Aufseherinnen als Zentrum der dienstlichen Sozialisation und als Ausgangspunkt für einen späteren Aufstieg innerhalb der ,,Karriere" der KZ-Aufseherin. So gelangten einige mit der Eröffnung der Frauenaußenlager in den Konzentrationslagern Auschwitz und Majdanek 1942 erstmals in den Rang der Oberaufseherin, andere wirkten in Ravensbrück bei der Ausbildung der im letzten Kriegsjahr erstmals eingesetzten Aufseherinnen mit.

Höchst interessant könnte es erstens sein, die beiden Gruppen zu vergleichen, etwa im Hinblick auf Generation und Sozialstruktur, im Hinblick auf konkrete (Tötungs-)Handlungen und Brutalisierungsprozesse und auf das Ausnutzen der vorhandenen Handlungsspielräume. Andere Vergleichsparameter wie Strafverfolgung und Strafmaß oder das jeweilige Bild in den Erinnerungen der Überlebenden ließen sich anfügen. Aufschlussreich könnte zweitens der Vergleich der Kerngruppe der Aufseherinnen mit dem entsprechenden Pendant in den Männer-Konzentrationslagern sein, denn auch hier existierte ja eine Kerngruppe von SS-Männern, die von den frühen 1930er Jahren bis 1945 in den Konzentrationslagern Dienst taten und eine ,,Berufsidentität" entwickelten. Ließen sich Unterschiede finden, die möglicherweise geschlechtsspezifisch zu erklären wären? Bei allen Vergleichen und Typologisierungsversuchen wäre es sicherlich hilfreich, die Theorieangebote der (Sozial-)Psychologie und der Soziologie zu nutzen, um so zu Erklärungsmodellen für das Handeln der KZ-Aufseher/innen zu kommen. An diesen, so scheint es, fehlt es noch immer.

Karin Orth, Freiburg


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