ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Brenda Deen Schildgen, Heritage or Heresy. Preservation and Destruction of Religious Art and Architecture in Europe, Palgrave Macmillan, New York/Houndmills 2008, 266 S., geb., $ 49,00.

Die Geschichte der abendländischen Bilderstürmerei und der Denkmalpflege ging Hand in Hand, ja, sie wechselte im Jahresrhythmus, wenn Zeiten der Kriege oder der Revolution durch Zeiten der Bewahrung und des Aufräumens abgelöst wurden. Diese Einsicht als eine der langen Dauer zu vermitteln, ist das Verdienst der Studie Schildgens. Sie handelt über mehr als eintausend Jahre christlicher Erbe-Bewahrung zwischen 600 und dem frühen 20. Jahrhundert, wobei sowohl die kirchlichen Baudenkmäler als auch ihre skulpturale Ausstattung ins Blickfeld rücken. Papst Gregor I. war demnach zu Beginn des 7. Jahrhunderts jener erste Denkmalpfleger, welcher im christlichen Auftrag die Schaffung von Ikonografien für Schriftunkundige an den Wänden der Kirchenschiffe nicht nur ermunterte, sondern der auch zu deren langfristiger Bewahrung aufrief. Nach Schildgens Definition von publikumsorientierter Denkmalpflege schufen die Inspiratoren der christlichen Kirchenausstattung, die Bischöfe der Kathedralkirchen, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt den Beginn einer Symbiose von Kunst und Funktion als eines Selbstzwecks.

Diese Symbiose alltagsweltlicher Sinndeutungen, welche Kirchen auch ohne Buchstaben als ein Buch vielfältiger Geschichten lesen ließen, bewahrte das kulturelle Erbe des Abendlandes. Und dies geschah schließlich unabhängig von dem dominierenden kultischen Auftrag der Amtskirche, der die Kunst zur Dienerin der Glaubenspraxis geadelt hatte, so dass Bau-Kunst auf Dauer zu einem Bestandteil eines lang andauernden kulturellen Gedächtnisses avancierte.

Diese im mainstream gegenwärtiger kulturwissenschaftlicher Meistererzählungen angesiedelte Kunst- und Kirchengeschichte des westlichen Abendlandes bedient sich des langen Atems mehr als des genauen Hinschauens in die Restaurierungspraxis vor Ort und anhand einzelner Baudenkmale. So kommt diese Universalgeschichte der kirchlichen Denkmalwahrung auch eher einer Diskursgeschichte ihrer zentralen Protagonisten nahe als einer Sozial- und Kulturgeschichte des Weiterbauens am Bestand.

Das ist dann gerechtfertigt, wenn man, wie Schildgen es zweifelsohne tun muss, davon ausgeht, dass mehr als eintausend Jahre lang, in den Zeitaltern vor der Säkularisierung, die kultische Bedeutung des sakralen Raumes die dominierende Motivation für die Traditionswahrung von Architektur und Innenausstattung vorgab. Das widerspricht nicht Schildgens Hauptthese über die Suche nach der Eigengesetzlichkeit von kirchlicher Denkmalpflege, da sie deren institutionelle Geburtsstunde in das Jahr 1793 verlegt, als Abbe´ Gregoire das Kirchliche im Frankreich der Revolution per Revolutionsdekret erstmals als ein nationales baukulturelles Erbe reklamierte, - und damit weltweit die erste Denkmalschutzkonvention zugunsten des nationalen Erbes durchsetzte.

Aber auch Gregoire kämpfte gegen ein umfassendes Scheitern an. Denn sein Dekret verhinderte nicht, dass nur wenige Jahre darauf, in der Napoleon-Ära, die bilderstürmerischen Horden der Bandes noires bedenkenlos mittelalterliches Mauerwerk als Baumaterial ,,verwerteten". Sie leiteten damit die dritte großer Zerstörungswelle nach den Hugenottenkriegen von 1562 und der Hochphase der Revolutionszerstörungen zwischen 1790 und 1793 ein (S. 223).

Insgesamt erscheint mit dieser wenig überraschenden Wendung, also der Säkularisierung der Denkmalpflege hin zu ihrer Nationalisierung, die Hauptaussage des Buches trotz aller darauf hindeutenden Stringenz doch zu stark an das Paradigma vom westeuropäischen nation building angelehnt, zumal die Autorin dieses auch nur an den Fallbeispielen England und Frankreich exemplifiziert. Mithin befinden wir uns im geschlossenen Rahmen einer dezidiert ,,westlich" ausgerichteten Geschichtsschreibung, die die Grenzlinie zum übrigen Europa nur einmal, und zwar im Falle Spaniens der Reconquista, überschreitet. Gab es keine Gegentendenzen, die das Pan-Europäische stärker pointieren, als es die Autorin tut?

Vor allem in dieser geographischen Grenzlinie, welche nur die wenigen Kernländer des westlichen Sonderwegs integriert, liegt eine zu starke Blickverengung mit der Gefahr einer bloßen Weiterschreibung hergebrachter Interpretationslinien der ,,westlichen" Normal-Nationalisierung aus dem Geist und dem Erbe des römischen Christentums. Anzumerken hierbei ist, dass Konstantin von Schildgen schlichtweg als ,,in the west" (S. 15) tituliert wird, obwohl es meines Wissens doch dieser Kaiser war, der die Hauptstadt des Reiches per Stadtgründung weit nach Osten verlegte, die dann ihrerseits eine große Karriere als Ost-Rom machte und dezidiert nicht westlichen Ursprungs sein wollte. Und im Übrigen finden wir genau hier das berühmteste aller umgenutzten christlichen Baudenkmäler, die Hagia Sophia, deren Geschichte die Autorin aber nicht einmal im Register streift. Sie wäre aber ein schönes Komplementärbeispiel zur christlichen Umnutzung der Mezquita, der Zentral-Moschee Cordobas, durch die Reconquista im 13. Jahrhundert gewesen (S. 90-97) und damit gleichsam auch der Gegenbeweis zur These von einem westlichen Weg zur Denkmalschutzbewegung in Europa.

Schon die Kapitelfolge der Autorin gibt diesen auf wenige Schwerpunktbeispiele verengten Horizont vor: Neben den bereits genannten Themenfeldern liegt der Schwerpunkt des Buches auf dem England der Henry VIII- 'Reformationszeit' bis ins 17. Jahrhundert und dem Frankreich des 19. Jahrhunderts, womit ein insgesamt zu enges Vergleichsspektrum abgegangen wird. Es ist zwar außergewöhnlich erhellend, die Rettungsgeschichte des Münsters von York zu lesen, die nach der langen Zeit der Zerstörungen an kirchlichem Kulturgut zwischen 1546 und 1660 einsetzte. Dieses auch deshalb, weil es sich um eine Ausnahme am Ende eines bilderstürmerischen Jahrhunderts handelte, die ihrerseits einen neuen Traditionsstrang begründete. Denn aus der Rettung der Kathedrale von York resultierte die Geburt der ,,englischen Gotik" der Lokalgeschichtsschreibung und der Reisführerliteratur der englischen Aufklärung. Es handelte sich immerhin um den ersten historistischen Stil. Er wurde im Laufe des späten 18. Jahrhunderts fälschlicherweise als ein nordenglischer Regionalstil identifiziert, weil das Münster von York eine stilbildende Relevanz in lokalgeschichtlichen Ausdeutungen gefunden hatte.

So schrieb Thomas Gent in seinem Traktat über ,,The antient and modern history of the famous city of York" von 1730 eine dreifache Begründung für seine denkmalpflegerischen Bemühungen, die aufhorchen lässt: Erstens ging es ihm um die Schönheit des Gebäudes selbst, also um den Eigenwert einer historischen Ästhetik von Architektur, zweitens beschrieb er diesen, um den Besuchern von York, die als Gäste die Kathedrale besichtigten, das Wesentliche darin zu erklären, weil er, drittens, vermutete, sie würden es sonst nicht verstehen können (S. 108). Das war in der Tat ein welthistorischer Perspektivwechsel über die Wahrnehmung der schönen Altertümer, der den modernen Tourismus als eine lange Zeiterfahrung beweist, - noch vor Goethes Italien-Reise zu den antiken Monumenten seines geliebten Roms.

Anzumerken ist aber auch hier, dass diese Bestimmung von Kulturdenkmalen ihre spätere wissenschaftliche Entsprechung in Dehios Kunstverständnis vom Bewahrenswerten aus der vorletzten Jahrhundertwende hatte. Aber auch Ludwig Dehio taucht weder im Literaturverzeichnis, noch im Register auf. Gilt er zu Unrecht als der Begründer der modernen Denkmalpflege?

Komplementär zeichnet Schildgen die Geburt des Denkmalschutzes in Frankreich als eine Begleiterscheinung der Entdeckung des ,,französischen gotischen Stils" durch Gregoire, Mallarme´ und Viollet le Duc im frühen 19. Jahrhundert nach. Und genau an dieser Stelle fehlt dann erneut der vergleichende Blick nach Deutschland, da hier, wie die Autorin selbstkritisch einräumt, Gothe bereits sechzig Jahre zuvor, nämlich 1771 am Beispiel des Straßburger Münsters, seinerseits die Gotik als den ,,deutschen Stil" deklariert hatte. Goethe war dann als Inspirator von Sulpiz Boisseree´ in den 1820er Jahren auch noch maßgeblich mit der baulichen Translozierung der Neugotik nach Kern-Europa befasst, indem er half, die Kölner Dom-Bewegung ins Leben zu rufen, die dann die ästhetische Wahrnehmung des Mittelalters in Kontinentaleuropa revolutionierte. Ein besseres Beispiel einer Nationalisierung von Denkmalschutz und Restaurierung gibt es schlechterdings nicht, - aber es fehlt in Schildgens Darstellung komplett.

So bleibt auch ihre ansonsten detailreich recherchierte Geschichte der Säkularisierung der frühen Denkmalschutzbewegung in Frankreich Stückwerk, da ihr die europäische Perspektive generell fehlt. Gerade das Frankreich dieser ersten Jahrhunderthälfte erhielt seine maßgebliche Inspiration aber vor allem durch die deutsche Romantik. Deren Einflüsse auf Victor Hugo und seine Mitstreiter werden aber nicht aufgearbeitet. Und die deutsche Romantik war immer schon eine Art Denkmalschutzbewegung gewesen, wenn auch im engen Rahmen ihrer ästhetisierten Wahrnehmung ,,romantischer" Burgen und Kirchenanlagen. Koryphäen wie Schinkel in Berlin bauten nicht nur neu, sondern setzten sich auch für die Pflege der Denkmäler ein. Er beispielsweise lehrte an der Berliner Bauakademie auch das Konservieren. So setzte sich zu dieser Zeit als einer der ersten professionellen Denkmalpfleger auch Joseph von Eichendorff per Denkschrift erfolgreich für die Rettung und die Restaurierung der westpreußischen Marienburg ein, die als Ordensburg auch ein kirchliches Baudenkmal war. Kontrafaktisch zu Schildgens Leitthese muss allerdings bei diesem Beispiel angemerkt werden, dass die polnischen Bischöfe und Könige bereits seit mehreren Jahrhunderten immer wieder in dieses Bauwerk und auch in andere Hinterlassenschaften der Ordenszeit investiert hatten, obwohl diese Baudenkmale kaum zum polnischen nation building beigetragen hatten. Gab es also ein paneuropäisches Bewusstsein des Bewahrenswerten außerhalb enger Loyalitätsgrenzen, das sich lange vor der Aufklärung auch außerhalb christlicher Traditionsbestandteile hatte durchsetzen konnte?

Solche Fragen werden in diesem Buch nicht gestellt. Es zeigt, wie sich das Ästhetische schließlich als Eigenwert gegenüber dem immer vorhandenen und dann immer wieder einmal plötzlich umstrittenen Kultischen durchsetzte. Das schöne alte Baudenkmal, die Kathedralkirche, wurde dann als Ferment des Nationalen zugeschrieben, obwohl der faktische Ertrag solcher Denkmalschutzaktivitäten sich tatsächlich auf ganz wenige, besonders berühmte Baudenkmale beschränkte und in allen Ländern Europas zeitgleich ähnliche Anstrengungen zu beobachten waren.

Erst im 20. Jahrhundert beginnt das eigentliche Säkulum von Bewahrung, Restaurierung und - in der zweiten Jahrhunderthälfte - sogar vom massenhaften Neubau des durch gigantische Zerstörungswellen im Verlauf des Zweiten Weltkrieges Verschwundenen. Diese Geschichte ist bereits in den beiden wegweisenden Studien von Rudy Koshar über die Denkmalpflege in Deutschland diskursanalytisch aufgearbeitet worden. Als eine Zusammenschau gemeinsamer, pan-europäischer Kulturtraditionen der Gedächtnis-Wiederherstellung liegt sie jetzt zum Greifen nahe. Sie kann im Anschluss an solche Basisstudien über die Diskursgeschichte des westeuropäischen Denkmalschutzes, wie sie Schildgen vorgelegt hat, nun auf einer erweiterten Grundlage angegangen werden.

Von Heritage and Heresy können wichtige Grundlageninformationen über die Entwicklungsstadien des Denkmalschutzes konzeptionell übernommen werden. Dazu gehört auch, den nationalgeschichtlichen Blickwinkel zu überschreiten, um aussagekräftige Urteile gerade über die jeweiligen nationalen und regionalen Besonderheiten fällen zu können. Das führt Schildgen in diesem Grundlagenwerk über die internationale Geschichte der Bilderstürmerei und ihrer Gegenreaktionen methodisch eindrucksvoll und außergewöhnlich kenntnisreich vor.

Georg Wagner-Kyora, Hannover


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