ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Peter-Michael Steinsiek, Forst- und Holzforschung im ,,Dritten Reich" (Freiburger Schriften zur Forst- und Umweltpolitik, Bd. 18), Verlag Kessel, Remagen 2008, 382 S., brosch., 19,90 €.

Glaubt man der wirtschafts- und sozialhistorischen Literatur, spielte die Forst- und Holzwirtschaft für die mitteleuropäischen Volkswirtschaften der letzten beiden Jahrhunderte nur eine untergeordnete Rolle. Holz hat demnach gegenüber Kohle und Stahl, Öl und Gas ein eher langweiliges Image. In einschlägigen Darstellungen findet man nur wenige und vor allem widersprüchliche Produktionszahlen, kaum Angaben zur Entwicklung von Beschäftigtenzahl oder Sozialstruktur und auch in Handbüchern zur Verwaltungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts fehlen weitgehend Hinweise auf die Organisation der Forst- und Holzwirtschaft.

Dabei war Holz in vormodernen Zeiten, und zum Teil noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, unverzichtbarer Bestandteil ländlichen und städtischen Lebens, die Forstwirtschaft noch im 19. Jahrhundert eine der wichtigsten Einnahmequellen der deutschen Staaten. Auch der Prozess der Industrialisierung wäre ohne Holz kaum möglich gewesen, ein Umstand, der bisher kaum beachtet worden ist: ohne Holz kein Kohle- und Erzabbau, da Grubenholz für den Stollenbau fehlen würde; ohne Holz keine Eisenbahn, da es dann für Schwellen und den Waggonbau fehlte; ohne Holz kein Hoch- und Tiefbau, da dann ein wichtiges Konstruktions- und Hilfsmittel fehlte. Eine Liste, die sich fortsetzen ließe.

Vor allem aber kam dem Holz in der Zeit des Nationalsozialismus eine große und mit der Zeit sogar noch wachsende ökonomische Bedeutung zu. Im Rahmen der Autarkiewirtschaft hatte der Rohstoff nämlich drei enorme Vorteile gegenüber anderen Ressourcen: Erstens besaß Deutschland relativ große Mengen davon, zweitens wuchs es nach, und drittens war es wesentlich vielseitiger einsetzbar als Kohle oder Stahl. Holz war gegen Ende des Krieges nicht nur mannigfaltiges Brenn- und Baumaterial, sondern kam als Treibstoff in Kraftfahrzeugen zum Einsatz, diente als Rohstoff zur Herstellung von Alkohol und Textilstoffen und wurde während des Krieges auch im Flugzeugbau verwendet. Holz war damit zu einem unmittelbar kriegswichtigen Rohstoff geworden und der emigrierte Forstexperte Egon Glesinger glaubte noch nach dem Krieg an ein ,,Coming Age of Wood".

Dies alles hatte zur Folge, dass die forst- und holzwirtschaftliche Verwaltung in Deutschland, die sowohl vor 1933 als auch nach 1945 Sache der Länder war, in der NS-Zeit nach und nach zentralisiert wurde. Ein eigenes Ministerium, das Reichsforstamt, wurde gegründet und ein umfassendes Reichsforstgesetz entworfen (das aber letztlich nicht mehr erlassen wurde). Außerdem kam es zu einem großzügigen Ausbau forstwissenschaftlicher Forschungseinrichtungen und zur massiven Förderung der noch jungen Holzforschung.

Mittlerweile liegen einige Veröffentlichungen zu den Themenbereichen Wald, Forst und Holz im ,,Dritten Reich" vor. Doch diese beschäftigen sich vor allem mit politischen und ideologischen Aspekten des Themas. Dessen wirtschafts- und wissenschaftshistorische Seiten sind hingegen noch kaum bekannt, was letztlich auch deren weitgehende Ausklammerung in einschlägigen Überblickswerken und Handbüchern erklärt.

Peter-Michael Steinsiek stößt daher mit seinem Buch in historiografisches Neuland vor. Wer jedoch dem Titel entsprechend einen erschöpfenden Überblick über die Entwicklung einschlägiger Forschungsarbeiten und -einrichtungen sowie deren Einordnung in den oben skizzierten Kontext erwartet, wird leider enttäuscht. Vorwiegendes Ziel der Studie ist nämlich lediglich, die in einem nach 1945 an das Archiv der Göttinger Professur für Forstpolitik gelangten Restbestand der Reichsforstamtsakten ,,enthaltenen Informationen in Auszügen wiederzugeben und teilweise zu kommentieren". Einige Themen, so Steinsiek weiter, sollen anschließend näher dargestellt werden, ,,um das vorhandene fachliche Wissen zu ergänzen und Anregungen für vertiefende Untersuchungen zu geben". Auf ,,umfassende Analysen" und eine ,,erschöpfende" Darstellung des Forschungsstandes, so betont der Autor, habe er jedoch verzichten müssen, ohne allerdings einen Grund dafür zu nennen (S. 3).

Über seitenlange Aufzählungen einschlägiger Forschungsinstitute, Wissenschaftler samt deren Arbeitsgebieten sowie der wichtigsten Studien kommt der Autor dementsprechend im ersten, immerhin acht Kapitel und fast 200 Seiten umfassenden Teil des Buches auch kaum hinaus. Selbst die oben skizzierte Entwicklung, die den Aufschwung der Forst- und Holzforschung maßgeblich mit ermöglichte, wird von ihm nur gestreift und weitgehend als bekannt vorausgesetzt.

Auffallend ist, dass sich Steinsiek, zugegebener Maßen seinem Ziel entsprechend, vor allem auf das Göttinger Aktenmaterial stützt, während er andere Quellen nur gelegentlich heranzieht. Die Konzentration auf die Göttinger Akten scheint zudem insofern gerechtfertigt, als sie den Amtsgeschäften Heinrich Eberts entstammen, einem der einflussreichsten Forstpolitiker jener Jahre und die wichtigste Person der forst- und holzwissenschaftlichen Forschungsförderung. Der Nachteil daran ist jedoch, dass Entwicklungen, die sich offenbar nicht in den Göttinger Unterlagen widerspiegeln, auch nicht thematisiert werden. So erfährt der Leser z.B. kaum etwas über die Förderung einschlägiger Studien außerhalb der DFG. Überhaupt nicht erwähnt wird die Einführung eines holzwirtschaftlichen Studienganges 1941 an der Forstlichen Hochschule Eberswalde, der nach dem Krieg in Hamburg weitergeführt wurde. Nicht einmal genannt werden die in jenen Jahren erschienenen, international bis heute als Standardwerke anerkannten Überblickswerke zur Holzforschung. Wenn der Autor sich schon weitgehend auf eine Aufzählung von Institutionen, Personen und Arbeitsthemen beschränkt, dann sollte diese doch auch so weit wie möglich vollständig sein.

Unverständlich ist auch, warum die herausragende Bedeutung Franz Kollmanns für die noch junge Holzforschung nicht wenigstens angesprochen wird, obwohl sein Name in unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder auftaucht und Steinsiek ausdrücklich die Frage danach stellt, ,,welche Akteure [...] sich besonders" hervortaten (S. 3). Kollmann machte als exzellenter Wissenschaftler und überzeugter Nationalsozialist eine steile Karriere in Wissenschaft und Verwaltung und prägte die Holzforschung bis weit in die Nachkriegszeit hinein sowie über die Grenzen Deutschlands hinaus. Am ersten Teil der Arbeit ist zudem zu bemängeln, dass dem Leser nur selten erklärt wird, was denn nun wichtig ist und was nicht. Es handelt sich vielmehr weitgehend um eine lexikalische, sich teilweise auch aus nicht ersichtlichen Gründen wiederholende Faktenzusammenstellung, mit der ein Einstieg in das Themengebiet kaum gefunden werden kann.

Das ist sehr schade, weist Steinsiek doch ab und zu auf interessante Zusammenhänge seines Themas mit allgemeineren Fragen der NS-Geschichte hin, die einer Vertiefung wert gewesen wären, bei ihm aber oftmals nur in Fußnoten vorkommen. Außerdem beweist der Autor im zweiten, sechs Kapitel umfassenden Teil seiner Arbeit, wie spannend eine eingehende Beschäftigung mit der Geschichte der Forst- und Holzwirtschaft im ,,Dritten Reich" sein kann, auch wenn dieser Teil kaum mehr etwas mit dem Titel des Bandes zu tun hat.

Diese sechs Kapitel geben einen Einblick in die Forstpolitik jener Jahre sowie in ideengeschichtliche Auseinandersetzungen um den ,,richtigen Wald". Im Mittelpunkt steht dabei der Streit um die Einführung des ,,naturgemäßen Waldbaus" unter dem Schlagwort ,,Dauerwald", die letztlich sowohl am energischen Widerstand vieler Forstleute als auch an den Anforderungen scheiterte, die die Autarkiewirtschaft an den Wald stellte. In diesem Zusammenhang befasst sich Steinsiek auch mit der von vielen Zeitgenossen befürchteten ,,Übernutzung" der Wälder Deutschlands, die das Nachhaltigkeitsprinzip, mithin das wichtigste Paradigma deutscher Forstwirtschaft, bedrohten. Aufschlussreich und anregend ist seine Auseinandersetzung mit ,,philosophischen Problemen der Forstwirtschaft", insbesondere zeitgenössischen Debatten über das ,,Wesen des Waldes" und damit zusammenhängenden Fragen der Geschichte ,ganzheitlichen Denkens'. Ebenfalls interessant sind Steinsieks Erkenntnisse zur ,,forstlichen Ostforschung und -planung" sowie zu den Vorbereitungen für die Wiederaufnahme kolonialer Forstwirtschaft. Nicht zuletzt diskutiert der Autor auch Entwicklungen auf dem Gebiet des Naturschutzes, der ab Mitte der 1930er Jahre dem ,,Reichsforstmeister" Hermann Göring unterstand und dem ab 1935, als erster ihrer Art in Deutschland, eine Dozentur an der Forstlichen Hochschule in Tharandt gewidmet war.

Zusammenfassend lässt sich bedauernd festhalten, dass sich Steinsiek mit seiner oben genannten Zielstellung die Latte viel zu niedrig gelegt oder, andersherum, seinem Buch den falschen Titel gegeben hat. Nicht nur, dass der Leser im ersten Teil des Bandes mit einer Vielzahl von Fakten weitgehend allein gelassen wird; Steinsieks Betrachtungen bleiben oftmals auch merkwürdig in der Luft hängen, ohne dass eine Anbindung an übergeordnete politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen jener Zeit gesucht wird. Beispielsweise hätte eine stärkere Berücksichtigung der mittlerweile doch sehr umfangreichen und ausdifferenzierten Literatur zur Wissenschaftsgeschichte des ,,Dritten Reiches" erlaubt, die geschilderten Entwicklungen in einen breiteren Kontext einzuordnen. Auch ein Anschluss an wirtschaftshistorische Studien wäre angesichts der eingangs skizzierten Zusammenhänge wohl recht ertragreich gewesen, worauf Steinsiek im letzten Satz seiner Arbeit auch selbst hinweist. Insofern kann zumindest der erste Teil der Arbeit nur jenen nützlich sein, die sich bereits näher mit dem Thema beschäftigt haben und Informationen über Personen und Institutionen suchen.

Der anregende zweite Teil des Buches hingegen sollte, wie auch andere, bereits veröffentlichte Studien des Autors (1), zum Ausgangspunkt weiterer eingehender Arbeiten werden. An interessanten Themen, Material und Forschungsbedarf jedenfalls, das beweist nicht zuletzt der vorliegende Band, fehlt es nicht.

Martin Bemmann, Freiburg

Fußnote:


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