Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Angela Schwarz (Hrsg.), Der Park in der Metropole. Urbanes Wachstum und städtische Parks im 19. Jahrhundert, transcript Verlag, Bielefeld 2005, 224 S., kart., 23,80 €.
Das Bild auf dem Einband des vorzustellenden Buches zeigt eine festliche Darstellung des New Yorker Central Parks aus der Vogelperspektive, während die steinerne Stadt im Hintergrund verschwimmt. Diese Lithographie von Julius Bien aus dem Jahr 1865 weist auf das Thema der zugehörigen Publikation ,,Der Park in der Metropole" hin: das Verhältnis von Stadt und Grünräumen im 19. Jahrhundert. Auf dem Titelbild scheint der Park das Erlebenswerte in der Stadt zu sein.
Versammelt sind drei Beiträge über Parks in London, Paris sowie in Madrid und Barcelona. Die Autoren legen dar, welche gestalterischen Parkkonzepte entwickelt wurden und wie die beteiligten Politiker, Stadt- und Landschaftsplaner gegen drängende Probleme wie Überbevölkerung, hygienische Missstände und Klassenunterschiede vor dem Hintergrund von Industrialisierung und Urbanisierung angehen wollten. Alle Verfasser nehmen zudem in den Blick, welche Nutzungen die Parks durch die verschiedenen Bevölkerungsschichten erfuhren und wie die Parks von Stadtbesuchern wahrgenommen wurden.
Das Vorwort des Bandes - eine Festschrift für den Historiker Peter Alter, Universität Duisburg-Essen - begründet das Forschungsinteresse an den Parks auch von der Gegenwart her: Heute, da mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten lebt, die mit gravierenden Problemen wie Überbevölkerung und Umweltverschmutzung konfrontiert sind, sei der Blick ins 19. Jahrhundert besonders lohnenswert, da die Ansätze, die Politiker, Planer und Wissenschaftler damals gegenüber der Urbanisierung entwickelt haben, noch heute Orientierung bieten könnten.
Häufig haben Historiker die Erforschung der Landschaft und der urbanen Grünräume den Kunsthistorikern, Denkmalschützern und Landschaftsarchitekten überlassen. In diesen Disziplinen standen jedoch meist ästhetische Aspekte im Vordergrund. In den letzten Jahren finden zunehmend Historiker Interesse an Parks und Landschaften in unterschiedlichen Epochen und untersuchen diese in sozial- und kulturgeschichtlicher Hinsicht. Verholfen haben zu dem Forschungsinteresse der ,,spatial turn" und die disziplinenübergreifende Umweltgeschichte seit den 1990er-Jahren, die die Geschichte der Landschaft und ihrer Funktionen in den Blick nimmt. Gut untersucht ist die Bedeutung der Natur und Landschaft zur Zeit des Nationalsozialismus. Einen inspirierenden Längsschnitt über die Inszenierung der ,,deutschen Landschaft" im 19. und 20. Jahrhundert bietet David Blackbourn mit ,,The Conquest of Nature". Welche Funktionen ein Park und Freizeitkultur in einer Diktatur übernehmen, zeigt Katharina Kucher in ihrer Studie über den Gorki-Park in Moskau. (1)
Mit dem ersten Beitrag im vorzustellenden Band zeigt Lothar Reinermann, wie die aristokratischen Gärten in London, ehemals königliche Jagdreviere, im Laufe des 19. Jahrhunderts schrittweise und in unterschiedlicher Ausprägung für die gesamte Bevölkerung geöffnet wurden. Zunächst kamen die großen Parks wie der Regent's Park, der Hyde Park und die Kensington Gardens vor allem dem bürgerlichen Repräsentationsbedürfnis entgegen. War die Öffnung für die Allgemeinheit um 1800 vor dem Hintergrund der Klassenschranken noch undenkbar gewesen, wollten Reformer Mitte des 19. Jahrhunderts die Parks zu ,,Schaufenstern der guten Manieren" machen: Hier sollten die Arbeiter in der Begegnung mit den bürgerlichen Schichten erzogen werden. ,,Unbotmäßiges Verhalten" wurde durch Parkordnungen reguliert und die Einhaltung durch Parkwächter kontrolliert. Neben den großen traditionellen Parks wurden kleinere in den Arbeiterquartieren geschaffen, und unterschiedliche sportliche Aktivitäten zogen in die Parks ein. Gelungen ist die Einbindung von Zitaten aus literarischen Darstellungen und Stadtführern bei Reinermann: Vielfältige Stimmen von fremden Besuchern stellen den Blick von Außen auf die Stadt London dar.
Eine gänzlich andere Entstehungsgeschichte zeichnet Angela Schwarz für den Central Park in New York nach. Erst in den 1850er Jahren wurde er unter dem Druck hygienischer und sozialer Probleme in der rasend schnell wachsenden Metropole angelegt. Hier wurde ein Idealbild der amerikanischen Natur inszeniert, das die junge demokratische Nation symbolisieren sollte. Gleichzeitig wurden dem Park städtebauliche Funktionen zugesprochen: Als Bollwerk sollte er die ärmeren Neuzuwanderer der nördlichen Stadtteile von den wohlhabenden Schichten im Süden von Manhattan trennen. Ähnlich wie in London sollten sich allerdings im Central Park alle Schichten der Nation treffen und damit die sozialen Probleme eingeebnet werden. Doch diese Idealvorstellung scheiterte, denn die Arbeiter hatten nur am Sonntag Zeit und zogen andere Vergnügungen vor.
Stephanie Kickum widmet sich den Parks in Madrid und Barcelona. Die Ursprünge des heute noch größten Parks in Madrid, Parque del Retiro, liegen im 17. Jahrhundert, er wurde aber erst im 19. Jahrhundert sukzessive für die Bevölkerung geöffnet. Dabei orientierten sich die Verantwortlichen an europäischen Parks in Deutschland, Frankreich und England. Kickum hebt die volkstümlichen Vergnügungsangebote hervor, die den Park zu einem Mittelpunkt Madrids machten.
Im dicht besiedelten Barcelona galt der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffene Parc de la Ciutadella als hygienische Maßnahme im Rahmen der Stadterneuerung. Gleichzeitig symbolisierte die Umgestaltung der kastilischen Zitadelle in einen Park mit Museen, Denkmälern und Vergnügungsangeboten die katalanische Unabhängigkeit. 1888 demonstrierte Barcelona dort mittels einer Weltausstellung sein neues Selbstbewusstsein.
Wie der vorliegende Band überzeugend vorführt, ist die Beschäftigung mit öffentlichen Parks ertragreich, da sie nicht nur Orte der individuellen Erholung und Freizeitkultur waren, sondern auch politische und gesellschaftliche Funktionen übernahmen. Die Verfasser zeigen, welche schichtenspezifischen und -übergreifenden Nutzungen und Aneignungen die Grünräume erfuhren. Dass die Parks auch zu einem Instrument der Stadtplanung wurden und auf den übrigen Stadtraum ausstrahlten, machen die Beiträge ebenfalls deutlich. So richteten sich die Immobilienpreise nach der geographischen Nähe zum Park und führten damit zur sozialen Segregation.
Sicherlich hätten Aufsätze zu anderen europäische Parks wie der Englische Garten in München, die wichtigen Pariser Parks oder der Tivoli in Kopenhagen den Sammelband sinnvoll ergänzen können. Aber auch in den vorliegenden Beiträgen scheinen diese Parks als Vorbilder bei der Planung des Central Park und des Parque del Retiro auf. So wollten die Planer das Repräsentationsbedürfnis der New Yorker Oberschicht nach dem Londoner Vorbild befriedigen.
Der übersichtliche Band bietet hilfreiche Anregungen dafür, mit welchen geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen das städtische Grün untersucht werden kann. Dabei könnten Historiker von Kunsthistorikern den Umgang mit visuellen Quellen lernen. Den Bildern und Plänen hätte eine bessere Druckqualität gut gestanden, um deren Wertigkeit als Quellen zu steigern. Zudem wären einige Abbildungen mehr wünschenswert gewesen.
Ob die Geschichte der Parks des 19. Jahrhundert Lösungsansätze für die aktuellen Probleme bieten kann, ist für Historiker schwer zu beurteilen. Doch zeigen die Aufsätze auf, welche wichtigen Funktionen die Parks für die Identitätsbildung der Städte hatten. Ein weiteres Forschungsfeld wären die Entwicklung und die unterschiedlichen Nutzungen der hier vorgestellten und weiterer neu entstandenen Parks im Laufe des 20. Jahrhunderts.
Kristina Vagt, Hamburg
Fußnote:
1 Ein breites Themenspektrum zur Natur im Nationalsozialismus bieten Joachim Radkau/Frank Uekötter (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/New York 2003. Vgl. darüber hinaus David Blackbourn, The Conquest of Nature. Water, Landscape and the Making of Modern Germany, London 2006; Katharina Kucher, Der Gorki-Park. Freizeitkultur im Stalinismus 1928-1941, Köln/Weimar etc. 2007.