ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Yulia Mikhailova/M. William Steele (Hrsg.), Japan and Russia. Three Centuries of Mutual Images, Global Oriental Publisher, Folkestone 2008, 237 S., geb., £ 45,00.

Fremdbilder oder nationale Stereotypen gehören nicht zu den neusten Themen der Forschung, sie besitzen aber anscheinend eine über alle historiographische Moden andauernde Popularität. Das liegt sicher nicht nur an der Zugänglichkeit und Vielfalt der untersuchten Quellen, die meist nicht aus Archiven, sondern aus dem Spektrum veröffentlichter Schriften, Bilder oder anderer massenmedialer Erzeugnisse stammen. Der Boom der Nationalismusforschung hat solchen Quellen ebenso zu einer neuen Aufmerksamkeit verholfen wie der Vorwurf, nicht nur die ,,westliche" Öffentlichkeit, sondern auch die vorgeblich unparteiische Wissenschaft sei in einem ausweglosen ,,Orientalismus" verfangen. Jenen Fremdbildern, die sie mit gelehrtem Eifer untersucht, verhelfe sie erst zu Dauerhaftigkeit. An dieser produktiven Provokation in der Nachfolge Edward Saids stimmt zumindest die Beobachtung nachdenklich, dass Fremdbilder gern eurozentristisch untersucht werden: Wie wurde der ,,Westen" in anderen (,,nicht-westlichen", ,,außereuropäischen") Kulturen wahrgenommen und welche Vorstellungen von der Fremde und von den Fremden setzten sich in Westeuropa und Nordamerika fest? Jenseits dieser Sichtweise, die aus der frühneuzeitlichen Expansion, dem Erkenntnisdrang, aber auch der Eitelkeit Europas verständlich ist, lassen sich auch andere Fragen stellen. Dies zeigt der zu besprechende Sammelband mit Bausteinen für eine Geschichte der Deutungen, mit denen sich die beiden Nachbarn Russland und Japan wahrnahmen - zwei Länder, die jeweils in Westeuropa in ,,orientalisierender" Manier als unwandelbar fremd und unzugänglich wahrgenommen wurden - und werden - und die im 20 Jahrhundert zwei Kriege gegeneinander führten. Als Herausgeber fungieren zwei Spezialisten für russisch-japanische Kulturgeschichte; Mikhailova und Steele sind als Professoren für internationale Beziehungen an japanischen Universitäten tätig und haben in den letzten Jahren zur Visualisierung von russischen und japanischen Fremd- und Feindbildern geforscht.

Entsprechende Darstellungen - Porträts, politische Karikaturen, Manga, Filme und andere Bilder - finden dann auch in allen Aufsätzen eine besondere Beachtung. Der Band ist gleichwohl mehr als eine Zwischenbilanz für die Forschungen der beiden Herausgeber, resümieren die Beiträge doch die Ergebnisse einer ganzen Reihe von Konferenzen und Arbeitstreffen der beteiligten Autoren. Infolgedessen zeichnet die Aufsatzsammlung eine überdurchschnittliche Kohärenz und Verzahnung der einzelnen Kapitel aus. Die Gliederung ist chronologisch - beginnend mit frühneuzeitlichen Repräsentationen auf der Grundlage etwa von Reise- und diplomatischen Berichten und schließend mit einer Analyse der Darstellung japanischer Politiker auf russischen Internetseiten zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt liegt auf den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg; immer schärfer wird der Fokus auf Einzelphänomene der Zeitgeschichte gerichtet, während die ersten Aufsätze für die Zeit etwa vor 1940 einen stärkeren Überblickscharakter besitzen. Für das 20. Jahrhundert hätten die Herausgeber durch Leitfragen an manchen Stellen auf eine stärkere Kontextualisierung hinwirken können. So steht die Analyse der geschickten japanischen Pressepolitik während des ersten Krieges gegen Russland etwas unvermittelt neben den Verarbeitungsstrategien japanischer Kriegsgefangener aus dem zweiten Weltkrieg oder die Analyse des japonisme im vorrevolutionären Russland neben einem Porträt postsowjetischer Manga-Leser. Gleichwohl bietet der Band mehr als einen Katalog von komplementären Fremdbildern. Wenn auch jeder Autor eigene Fragen stellt bzw. Schwerpunkte setzt, so unterzieht er sein Material einer gründlichen Quellenkritik. Beispielsweise analysiert der Beitrag von Irina Melnikova über sowjetisch-japanische Spielfilmproduktionen nicht einfach die Inhalte dieser Filme. Deren Hauptdarsteller bewegten sich gleichsam auf einer Projektionsfläche von Deutungen und Wunschvorstellungen über den Zustand des sowjetisch-japanischen Verhältnisses. Wie Melnikova anhand von Archivdokumenten zeigt, war schon die Wahl der Filmtitels und erst recht die Ausgestaltung der Charaktere und des Handlungsablaufs ein zähes Ringen um die Symbolkraft bewegter Bilder. Nicht zufällig waren solche Gemeinschaftsprojekte nur in einem schmalen Zeitfenster zu verwirklichen: zwischen der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Tokio und Moskau im Jahr 1956 und ihrer erneuten Verschlechterung in der Mitte des 1970er-Jahre.

Insgesamt können die Beiträge die noch ausstehende histoire croisé der russisch-japanischen (Kultur)geschichte nicht ersetzen; zu einem geschlossenen Bild soll sich die Vielfalt des analysierten visuellen Materials auch gar nicht fügen. Aber eine Bilanz der Herausgeber hätte den schmalen Band komplettieren und Kontinuitäten bzw. Brüche zusammenfassend herausarbeiten und erklären können - etwa die Folgen des ökonomischen Aufstiegs Japans oder die ungebrochene und durchaus ,,orientalisierende" Beliebtheit exotischer Japanmotive in Russland.

Andreas Renner, Köln/Sapporo


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©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 14. Juli 2009