ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Thomas Biskup/Marc Schalenberg (Hrsg.), Selling Berlin. Imagebildung und Stadtmarketing von der preußischen Residenz bis zur Bundeshauptstadt (Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung, Bd. 6), Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, 388 S., 71 s/w- + 17 Farbabb., geb., 62,00 €.

Auch dieser Tagungsband zeigt, dass die Stadtgeschichte eine Klammer zwischen heterogenen interdisziplinären Anforderungen sein kann, wobei sie immer stärker auch zur Referenz für Gegenwartsanalysen wird. Als jüngere Historiker haben die beiden Herausgeber Fachkollegen aller benachbarten Stadtwissenschaften und auch Exponenten der Stadtverwaltung wie Volker Hassemer und der Stararchitekten wie Thomas Albrecht (Beisheim-Center) unter dem Dach der Frage nach den Mechanismen einer historisch verankerten Berlin-Eigenwerbung versammelt. Entstanden ist so ein spannungsreicher Sammelband, welcher aus der Perspektive der Wirkungsanalysen die analytischen Grenzen zur Alltagspraxis der Selbstimaginierung eines uns allen geläufigen Labels zieht: des Labels Berlin.

Dass dieses keine Erfindung der letztvergangenen Jahrzehnte war, sondern die Stadt schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts begleitete, dass Images direkt auf ihr permanentes Größen- und Bedeutungswachstum einwirkten und dass diese Bewegung bis in die frühen Jahre des Kalten Krieges anhielt und selbst danach noch eine schnelle Wiedergeburt erlebte, diese Erkenntnis ist die wichtigste des diachron angelegten Werkes. Allein deshalb dürfte es seinen festen Platz in der modernen Stadtgeschichtsforschung einnehmen. Waren Jerusalem und Rom immer schon Pilgerzentren mit einem mehr als zweitausendjährigen Hang zum Individual- und Massentourismus, zeichnete diese Realität des Massenreisens an den wichtigen Ort des gesellschaftlich vermittelten Stadt-Images die moderne Berlin-Geschichte insgesamt aus.

Bildungsbürgerliche Imagewirkungen wurden schon seit den aufklärerischen Stadtbeschreibungen, etwa in jenen eines Friedrich Nicolai oder eines, dem Leser bis dahin noch ganz unbekannten Friedrich Gedike, gezielt initiiert, wie Mitherausgeber Thomas Biskup in seinem Beitrag zu Beginn eindrucksvoll zeigt. Gedike schrieb als Berliner Gymnasialdirektor in den Jahren 1783 und 1785 spätfriderizianische Betrachtungen über das damals moderne Berlin. In der Druckgrafik wurden diese Images mittels Veduten ungeheuer erfolgreich popularisiert. Ansichten der immer gleichen Baudenkmale zwischen Schloss und Opernhaus schufen feste Imagewirkungen. Marc Schalenberg, der andere Mitherausgeber, spannt diesen Bogen in den Vormärz und spricht mit Recht von ,,Imagekampagnen", die auch kommerziell, in Stadt-Dioramen und -Panoramen, verwertet wurden.

Ausgehend von diesen Erfahrungen, so schließt der Marketingdirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Tilmann von Stockhausen an, sei es schon im frühen 19. Jahrhundert zur Fixierung einer ,,Dachmarke" (S. 111) in der Berliner Museumslandschaft gekommen, die sich auf die Ausgestaltung der ,,Museumsinsel" als eines Jahrhundertprogramms richtete und die sich fortan um die ,,Nutzbarmachung" des Museumsbestandes kümmerte. Allerdings wurde der bildungsbürgerliche Horizont damit nicht überschritten. Damit ist indirekt bereits Vieles über die klassengesellschaftliche Zuordnung von Berlin-Images für das 18. und 19. Jahrhundert gesagt worden.

Insgesamt ist der Band sowohl diachron als auch thematisch organisiert, wobei diese Zuordnungen einerseits zusätzliche Schwerpunkte in der Wilhelminischen Gesellschaft, den 1920er und 1930er Jahren, sowie in der Zeit des beginnenden Kalten Krieges und der Jahre nach 1990 erlauben und andererseits drei Analyseebenen (S. 15) erschließen: 1. diejenige der offiziellen, stark politisch eingefärbten Eigenwerbung mit starken Weiterungen auf die nationale Selbstdarstellung, 2. die Ebene des bürgerschaftlichen und des widerständigen Bürgerhandelns und -engagements und 3., darauf aufbauend, diejenige der kritischen Auseinandersetzung mit der Obrigkeit. Katja Zelljadt präsentiert einen besonders bemerkenswerten Aufsatz über das ,,Alt-Berlin"-Image der vorletzten Jahrhundertwende. Auf der Berliner Gewerbeausstellung von 1896 wurde dieses Leitbild inszeniert in Gestalt von fünf monumentalen Nachbauten Berliner Wahrzeichen, die als begehbares Architektur-Event die Ausstellung attraktiver machten. Durch Ansichtspostkarten wurde dieses Altstadt-Image massenhaft popularisiert. ,,Alt-Berlin" war so etwas wie die utopische Kleinstadt-Idylle einer guten alten Zeit, das an historistische Wiedererkennungsmerkmale von stadträumlich teilweise sogar noch vorhandener Denkmal-Architektur (Gerichtslaube) anknüpfte. Das moderne Kaiserreich war in der Lage, auf der lokalen Ebene der Hauptstadt Preußen-Deutschlands ganz neue Identitätsanker zu erschließen, die jenseits des nationalistisch-imperialistischen Trompetens der Alldeutschen lagen, weil ganz im Gegensatz dazu die lokale Ebene auf ein rasantes Stadtwachstum ausgerichtet war. Es erforderte Antworten in den Sinndeutungen von Stadt, welche die Herausforderungen einer industriellen Konsensgesellschaft konterten.

In dieser innovativen Themenwahl geht es weiter, so dass viele Selbstverständlichkeiten über die Wahrnehmung auch des professionellen Blickwinkels auf Berlin durch profunde medien- und rezeptionsgeschichtliche Analysen unmittelbar in Frage gestellt und revidiert sowie neuen Erklärungsangeboten zugeordnet werden können. Beispiele dafür sind insbesondere die Aufsätze von Peter Fritzsche über die mass culture des Massentourismus, der bereits 1906 eine Million Übernachtungen pro Jahr verzeichnete (S. 135), - genau so viele wie in Paris. Berlin wurde schon damals ,,as a place of spectatorial pleasure" inszeniert. Dazu gehörte auch, dass Berlin bereits im Kaiserreich die eigene Geschichte beständig neu erfand. Sie wurde fortlaufend neu inszeniert, indem selbst die städtische Repräsentations-Baukultur, zuallererst Unter den Linden, genau darauf ausgerichtet wurde.

Sehr luzide wird diese Geschichtspraxis dargestellt am Beispiel der ,,Lindenrolle", eines ausrollbaren Meter-Panoramas, welches dieses Selbstinszenierungspotenzial paradigmatisch vorführte. Bis heute hat diese Straße allerdings diese Fähigkeit zur Neubestimmung des Gewesenen in bemerkenswerter Kontinuität von representative practises beibehalten. Das kann auch Daniel Kiecol in seinem Aufsatz über die Fremdenverkehrs-Politik zwecks gezielter Imageproduktion in den 1920er Jahren in hervorragender Weise belegen, wobei er betont, das es im ersten Jahrhundertdrittel ,,einen regelrechten Kulturkampf" um die Neugestaltung der Linden gegeben hatte (S. 161). Orientiert an Paris sollte nicht nur dort ein harmonisches Ganzes von Urbanität, Internationalität und Modernität entstehen. Letztlich waren aber vor allem die Großausstellungen erfolgreich, die allesamt in den 1920er Jahren initiiert worden waren und teilweise bis heute jährlich am Messedamm stattfinden wie beispielsweise die, wie die Grüne Woche und die Funkausstellung.

Weiterführend ist auch der Aufsatz von Christian Saehrendt über den Polit-Tourismus der Zwischenkriegszeit, welcher in schneller Folge rechtsnational-faschistische Studenten und das Reichsbanner an dieser Prachtmeile zu Massenkundgebungen versammelte. Zum Verfassungstag 1929 hinterließ das Reichsbanner am Pariser Platz eine monumentale Großplastik als Denkmal für die Toten von Revolutionen und Kriegen, das einen starken Gegenentwurf zu den reaktionären Tendenzen der Rechten bildete. Robert Grafs Aufsatz über die Reichshauptstadt-Architekturplanungen der Nazis fällt demgegenüber im Neuigkeitswert stark ab.

Ganz neu sieht man die Berliner West-Ost-Interferenzen der 1950er und 1960er Jahre nach der Lektüre des Beitrages von Stephanie Warnke über den Baedeker-Tourismus, der sowohl nach Ost- wie nach West-Berlin ausgerichtet blieb. Westliche Reiseführer berichteten selbst nach dem Mauerbau noch ,,neutral bis positiv über Ost-Berliner Neubauten" (S. 221), während bereits der erste, alleinige Ost-Berliner Reiseführer von 1963 ausschließlich historisch ausgerichtet war, allerdings mit der bekannten perspektivischen Blickverengung auf die SED-Historisierung. Das ,,Wiederaufbau"-Narrativ, die Begegnung mit dem Verschwundenen und seinem baulichen Ersatz, war dermaßen erfolgreich, dass der Berlin-Tourismus schon in den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten eine enorme Bedeutung für das wirtschaftliche Überleben der Stadt gewann. Es wurde konsequenterweise nach 1990 als ,,Baustellentourismus" reaktiviert (S. 225).

In kongenialer Ergänzung schließt Alexander Sedlmaier mit einer luziden Analyse der gegenseitigen Lerneffekte in der touristischen Selbstvermarktung des Schaufensterbummels an. So erreichte die Ost-Berliner Bereisungswelle in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre einen jährlichen Touristenzustrom von 7 Millionen Besuchen am Ku'damm. Solche Massenbewegungen veränderten das Selbstverständnis der gesamten DDR entscheidend. Sedlmaier kann hier auf die Forschungen von David Crew aufbauen, der bereits 2003 den nachhaltigen Erfolg der Vermarktung des westdeutschen ,,Wiederaufbau"-Images als einer gelenkten politischen Propaganda-Strategie analysiert hat. So waren sich die Ost-Berliner Architekten nicht zu schade, dem 1971 am Alexanderplatz eröffneten Centrum-Warenhaus eine Aluminium-Fassade vorzuhängen, die ein qualitativ hochwertigeres Remake der westdeutschen, ubiquitär verbreiteten Horten-Innenstadt-Architektur darstellte. Man wollte einfach immer besser sein als der trügerisch glitzernde Westen und das ging dann auch so weit, dass man ihn in der ästhetischen Wahrnehmung getreu kopierte.

Die Aufsätze von Hendrik Tieben zu den Berlin-Bildern des Stadtjubiläums 1987 und von Angela Borgwardt zu jenen der DDR-Hauptstadt, welche die umstrittensten überhaupt waren, weil sie indirekt zum Erstarken der Berliner Dissidenten- und Oppositionellenbewegung beitrugen, betonen noch einmal den politisierten Charakter der Image-Werbung.

Alexa Färber analysiert die Imageproduktion der West-Ost-Stadt im vereinigten Stadtgebiet. Trotz der vollmundigen Internationalität drängte dieses Image gleichzeitig die Wahrnehmung der russischen und polnischen Migranten-Populationen weitgehend ins Abseits. Sie erhielten lediglich durch die lebhafte Alternativ-Kultur Auftrieb, durch Wladimir Kaminer und Yuri Gurzki von der Russendisko, die eine transkulturelle Alltagskultur im Vergnügungssektor des Ostens stimulierten. Hervorragend ist auch der Beitrag von Sybille Frank über die ,,Mythenmaschine" Potsdamer Platz. Dessen Image wurde durch die kritiklose Adaption unternehmerischer Werbestrategien entleert, so dass sich der Platz ,,heute als ahistorischer und tendenziell entmythologisierter Ort" präsentieren muss.

Insgesamt zeigt die Fülle der aus den Beiträgen resultierenden neuen Einsichten über die Kontinuität politisch gewollter Neuerfindungs-Images von Berlin, wie stark ,gewollt' und ,gemacht' solche öffentlichen Selbstverständigungen als Wahrnehmungen des Leitbildes einer Stadt sind und welchen ökonomischen Zwängen sie gehorchen. Es ist das Verdienst der Herausgeber, diese medien- und gesellschaftsgeschichtliche Realität unserer Metropole in eingängig ausformulierten und kongenial illustrierten Beiträgen pointiert als ein kulturpolitisches Akteurshandeln präsentiert zu haben. Von hier aus sind neue Ansätze zu einer Gesellschaftsgeschichte der Images lokaler Begegnungsräume denkbar, welche unsere Wahrnehmung der doch ganz vitalen Europäischen Stadt neu akzentuieren werden.

Georg Wagner-Kyora, Hannover


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