ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Sabine Haustein, Vom Mangel zum Massenkonsum. Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Vergleich 1945-1970 (Campus Forschung, Bd. 910), Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2007, 230 S., kart., 34,90 €.

Die Zeiten, in denen ein Kühlschrank so viel Ansehen genoss, dass französische Arbeiter ihn in die gute Stube stellten und lieber auf einen Sessel verzichteten, sind vorbei, allerdings noch nicht lange: Mit dem Übergang vom ,,Mangel zum Massenkonsum" in den Jahren 1945 bis 1970 beschäftigt sich in vergleichender Perspektive die Historikerin Sabine Haustein. In ihrer Berliner Dissertation fokussiert sie die unterschiedliche Verbreitung von Konsumgütern und -mustern in Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland. Die beiden zuletzt genannten sieht Haustein als Länder des nachholenden Konsums, wohingegen die Auswahl auf Großbritannien als ,,einem klassischen Land der Konsummoderne" (S. 7) fiel. Trotz unterschiedlicher Ausgangssituationen haben nach Haustein alle drei in der Zeit von 1955 bis 1957 eine ,,konsumhistorische Wende" vollzogen, die die ,,karge Nachkriegszeit mit einem großzügigeren Lebenszuschnitt in Europa" verzahnte (ebd.). Durch die zunehmend für alle Gesellschaftsschichten finanzierbaren Konsumgüter haben sich nachhaltig die Konsumbedürfnisse geändert, was Haustein als Hauptindikator für eine in den 1960er Jahren einsetzende Modernisierung der Lebensführung postuliert (ebd.). Diese Entwicklungen in ihren unterschiedlichen nationalen Geschwindigkeiten näher zu untersuchen, steht im Zentrum der Studie. Dabei geht Haustein von der in der Konsumforschung verbreiteten These aus, dass sich die europäischen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der 1960er Jahre in ihrer Sozialstruktur zunehmend annäherten. Konkret fragt die Autorin danach, inwieweit Faktoren wie Herkunft, Geschlecht und Alter den Besitz und Gebrauch von Konsumgütern beeinflussten. Die Arbeit siedelt sich somit in der vergleichenden, europäischen Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts an.

Zwar gibt Haustein vor, auch andere Zugriffe, wie die Kulturgeschichte, zu bedenken, dieses Versprechen kann das Buch allerdings nicht einlösen. Vielmehr stellt Haustein gestützt auf Meinungsumfragen und staatliche Statistiken sowie auf zeitgenössische sozial- und wirtschaftwissenschaftliche Literatur die Entwicklungen dar, hört aber des Öfteren genau dort auf, wo Erklärungen oder weiter führende Überlegungen gerade interessant wären; so bei der Feststellung, dass ,,der Konsum von industrialisierten, haltbar gemachten Nahrungsmitteln und Fertigprodukten" zunahm (S. 79). Warum aber war dies der Fall? Zwar bezieht sich Haustein an dieser Stelle auf die Studie von Michael Wildt zur bundesdeutschen ,,Konsumgesellschaft" (1), kann aber mit dem von ihm gesetzten Standard nicht mithalten. Andererseits hält sie es für notwendig, im gerade einmal 200 Seiten langen Dreiländervergleich das Offensichtliche explizit zu benennen: ,,Durchgesetzt haben sich Kühlschrank und Waschmaschine aus zwei Gründen: Der Kühlschrank ermöglichte längere Haltbarkeitszeiten von frischen Lebensmitteln, während die Waschmaschine die große Wäsche erleichterte." (S. 101) Wobei Haustein sich hier zugleich in einen Widerspruch zu sich selbst verstrickt, betont sie doch an anderer Stelle, dass Waschmaschinen das Leben der Hausfrauen zunächst nicht erleichterten (S. 103), da erste Waschmaschinen vielfach schwer zu bedienen waren und da sich zugleich auch der Anspruch an Sauberkeit erhöhte und häufiger gewaschen wurde. Der Grund für diese und andere Wiederholungen und Unstimmigkeiten sind in der Gliederung ihrer Arbeit zu vermuten: Wieso werden zum Beispiel im ersten Teil ,,Sozialer und wirtschaftlicher Kontext" die Aspekte Arbeit und Zeit einerseits und Freizeit und Hausarbeit andererseits getrennt behandelt, stehen sie doch in engem Zusammenhang? Fraglich auch, warum der zweite Teil ,,Moderne Lebensführung und sozialer Wandel im Vergleich" mit den Ausgaben der Privathaushalte beginnt, sind diese doch eng verbunden mit den im ersten Teil abgehandelten Einkommen und bilden zusammen die Voraussetzungen für die im Folgenden behandelten Konsumbereiche Ernährung, Wohnen, Verkehr etc. Der erste Teil wirft ohnehin zahlreiche Fragen auf und macht es den Lesern nicht einfach: Hier wäre ein differenzierterer Blick auf die verschiedenen Definitionen von statistischen Einheiten innerhalb der einzelnen Nationen zu verschiedenen Zeiten und zwischen den Nationen hilfreich gewesen, wie dies z.B. für Deutschland Alfred Reckendrees getan hat. (2) So bleibt es zu oft den Lesern überlassen, was unter Arbeit, was unter Freizeit zu verstehen ist und auf welche konkreten Erhebungsgrößen sich die Daten beziehen bzw. wie sie vergleichbar sind. Auch ein kritischer Umgang mit den Umfragen von Meinungsforschungsinstituten und deren politischer Ausrichtung wäre hilfreich gewesen (siehe dazu die einschlägige Arbeit von Anja Kruke (3)), so verliert sich Haustein zu oft in Gemeinplätzen (z.B. zur Arbeitsaufteilung in der Familie und der tendenziösen Frage des Allensbacher Instituts, S. 33-34).

Als Ergebnis des ersten Teils hält Haustein fest, dass in allen drei Ländern bis Anfang der 1960er Jahre Herkunft und Geschlecht konstituierend für das Konsumverhalten und den Freizeitzugang waren. Erst am Ende der 1960er Jahre schwächten sich diese Unterschiede ab und individuelle Spielräume nahmen zu (S. 51). Maßgeblich war die sich verringernde Wochen- und Jahresarbeitszeit in allen Ländern und Schichten. Allerdings hält Haustein die Bewertung dieses Phänomens als Übergang von der Arbeits- zur Freizeitgesellschaft für unzutreffend (S. 52), was sie im zweiten Teil der Arbeit belegen will. Dort fragt sie danach, ob es gesellschaftliche Annäherungen im Konsum und dadurch bedingt sozialkulturelle Annäherungen der drei Länder gab.

Die Stärke des Buches liegt in den Kapiteln dieses zweiten Teils zu ,,Ernährung", ,,Wohnen" und ,,Mobilität, Kommunikation und Freizeit" (darunter werden u.a. Autos, Fernseher und Urlaubsreisen behandelt). Hier kommt Haustein zu zahlreichen interessanten Ergebnissen, die allerdings mehr im Detail als in der großen Linie zu finden sind. Positiv hervorzuheben ist, dass Haustein die USA als vierte Vergleichsgröße mitlaufen lässt, wodurch sich europäische Unterschiede und Gemeinsamkeiten stärker zeigen: Beispielsweise besaßen im Jahr 1952 schon 89 Prozent der amerikanischen Haushalte Kühlschränke, wohingegen die Zahlen in Europa zwischen 2 und 6,2 Prozent variierten. 1962 war der amerikanische Markt annähernd gesättigt, der deutsche zu 47 Prozent, der britische und französische allerdings nur zu ca. 30 Prozent (S. 98). Positiv ist zudem zu bewerten, dass Haustein den Blick auch auf die Unterschiede von Stadt und Land innerhalb der drei Untersuchungsländer lenkt und so feststellen kann, dass beispielsweise bäuerliche Schichten eher nach dem Kriterium der Nützlichkeit als dem des Luxus entschieden, wenn sie einen Fernseher anstelle eines Elektroherds oder eines Kühlschranks kauften und lieber weiter auf dem Kohleherd kochten und die Lebensmittel im Keller kühlten (S. 115). Im Hinblick auf das Freizeitverhalten stellt Haustein die europäische Tendenz fest, Freizeit passiv zu verbringen: sich zu entspannen und nicht kulturell zu bilden. Insbesondere der Fernseher trieb diesen Wandel von überwiegend außerhäuslich verbrachter Freizeit (in Pub, Verein etc.) zu häuslich verbrachter Freizeit voran (S. 194) und brachte eine Aufwertung des privaten Raums mit sich.

Alles in allem enthält die Arbeit kaum bahnbrechend neue Erkenntnisse für Konsumhistoriker/innen, auch hört sie oftmals bei der Darstellung auf, wenn sich der Leser/Leserinnen Erklärungen wünschen würde, aber die Arbeit ist durch ihre Detailkenntnisse durchaus gewinnbringend für weitere Untersuchungen.

Kerstin Brückweh, London

Fußnote:


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