ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christina Späti, Die schweizerische Linke und Israel. Israelbegeisterung, Antizionismus und Antisemitismus zwischen 1967 und 1991, Klartext Verlag, Essen 2006, 360 S., kart., 18,80 €.

Christina Späti hat eine akribische, fleißige, sehr gut recherchierte und angenehm lesbare Gesamtschau zur Haltung der schweizerischen Linken gegenüber dem Staat Israel vorgelegt, die sicherlich Grundlage für weitere Forschungen in diesem Themenbereich sein wird. Der Fokus liegt dabei auf der sogenannten Neuen Linken und den Neuen Sozialen Bewegungen. Dazu gehörten unter anderem die Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH), der Partito Socialista Autonomo (PSA) sowie die Revolutionäre Marxistische Liga (RML); um einige der Kaderparteien und Gruppierungen zu nennen, mit denen sich die Studie von Späti befasst. Zum Vergleich zeigt sie auch Erkenntnisse über die Haltung der traditionellen Linken, also der SPS (Sozialdemokratische Partei der Schweiz) und dem SGB (Schweizerische Gewerkschaftsbund) auf, wobei dies in verkürzter Form geschieht. Eine genauere Untersuchung der Motive und Positionen der traditionellen Linken hätte den Rahmen der Untersuchung sicherlich gesprengt. Daneben ist auch die kommunistische ,,Partei der Arbeit" Gegenstand der Analyse.

Die Studie beginnt mit einem umfassenden Überblick über die bisherige Forschung zu den Themenbereichen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik, wobei sich Späti hier besonders an den Forschungen des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin um Wolfgang Benz orientiert. Aus der aktuellen Literatur arbeitet Späti Definitionen der drei Begriffe heraus, anhand derer sie im Folgenden die geäußerten Positionen der schweizerischen Linken analysiert und bewertet, wie sie in Interviews, Verbandsorganen, Zeitschriften der 68er-Bewegung und Schriften von Einzelpersonen und Autorengruppen dargelegt sind.

Vier große Leitlinien lassen sich dabei ihrer Meinung nach aus der Debatte herauskristallisieren: die antizionistische Position, die in den meisten Fällen mit einer Negation des Existenzrechts des Staates Israels verbunden gewesen sei; die dualistische Einstellung, die zwar mit einem gewissen Verständnis für Israel, aber eben auch für die palästinensische Situation einherging und frühzeitig die Gründung eines palästinensischen Staats forderte; die pro-israelische Haltung besonders der klassischen Linken und zuletzt eindeutig antisemitische Positionen. Diese vier Tendenzen untersucht sie von 1967 bis 1991 in ihrer chronologischen Entwicklung.

Der Antizionismus vieler Gruppierungen der Neuen Linken war dabei - vergleichbar mit den deutschen Bewegungen - auf der Grundlage von ,,antiimperialistischen Theorien" motiviert. In ihrem Fazit schließt Späti, dass für ,,manche Teile der Neuen Linken [...] dabei die Haltung gegenüber Israel zum eigentlichen Prüfstein echter linker Gesinnung [wurde]: nur ein Antizionist galt es echter Antiimperialist" (S.325). Diese strikte Haltung wurde besonders von der POCH vertreten sowie dann in den 1980er Jahren von den Autonomen und den Antifaschisten. Die zweite Position, nach welcher der antiimperialistische Konsens nicht unbedingt in einer Negation des Existenzrechts des Staates Israel münden müsse, sondern vielmehr auch Grundlage der Forderung nach einer heute sogenannten ,,Zwei-Staaten-Lösung" sein könne, wurde bereits in den 1970er Jahren von verschiedenen Protagonisten der Neuen Linken geäußert. Diese Einstellung sei, so Späti, dann im nächsten Jahrzehnt zum Grundkonsens in der Neuen Linken und deren Nachfolgeorganisationen in den Neuen Sozialen Bewegungen geworden. Im Laufe der 1990er Jahre habe sich diese dualistische Position zunehmend durchgesetzt. Das Existenzrecht der Staates Israel sei kaum noch in Zweifel gezogen worden; auf der anderen Seite sei auch die traditionelle Linke - nach den Erfahrungen aus dem Libanonkrieg 1982 und der daraus resultierenden veränderten Sichtweise auf den Staat Israel - zu einer Verfechterin dieser Meinung geworden. Damit existierte in den 1990er Jahren innerhalb der linken Bewegungen ein übergreifender Konsens, wie er in dieser Form auch in Deutschland seinen Niederschlag gefunden hat (und in der Politik der rot-grünen Regierung letztlich seinen Ausdruck fand). Diesem Positionswandel war allerdings eine ,,fast schwärmerische" uneingeschränkt pro-israelische Position der traditionellen Linken vorausgegangen. Auch dies entspricht den Bekundungen der ,,uneingeschränkten Solidarität mit dem Staat Israel" der deutschen Gewerkschaften und Sozialdemokratie in dieser Phase.

Fazit weiterer Betrachtungen zur Vererbung antisemitischer Stereotype in der Debatte sowie zur öffentlichen Diskussion über derartige Äußerungen ist nach Späti eine feststellbare ,,Kontinuität der linken Indifferenz gegenüber Antisemitismus". Diese Indifferenz sei auch ein Phänomen in der diskutierenden Öffentlichkeit gewesen und habe vor allem zwei Ursachen: zum einen die falsche Annahme, dass Linke per se nicht antisemitisch denken und handeln, dass also linke Kritik an Israel, den Juden und dem Zionismus nicht judenfeindlich motiviert sein könne und zum zweiten die in der Bevölkerung und Gesellschaft verbreitete Meinung, dass es sich beim Antisemitismus um ein deutsches Phänomen handele, von dem die Politik der Schweiz nicht tangiert sei. An vielen Beispielen illustriert Späti, dass aus diesen beiden Fehlannahmen ein unkritischer, unsensibler Umgang mit antisemitischen Grundhaltungen und Stereotypen sowie mit dem Diskussionsgegenstand der israelischen Politik im Nahen Osten resultierte. Sie führt auf, wie wenig differenziert Zuschreibungen wie ,,Zionist" gehandhabt wurden und werden. So sei nach Meinung einiger Gruppen und Personen die israelische Politik ein Ergebnis der ,,politischen Gesinnung" und grundlegenden ,,Macht" der Zionisten, wobei davon ausgegangen werde, dass alle Juden auch automatisch Zionisten seien. Die palästinensische ,,Befreiungsbewegung" wurde im Gegenzug als revolutionäre Bewegung gegen den amerikanischen Imperialismus gefeiert. Dass dabei aber des Öfteren vom palästinensischen ,,Volk" gesprochen worden sei, ist nach Späti folgerichtig ein weiterer Belegpunkt ihrer These, dass nationalistisches Vokabular unreflektiert in die Debatte eingeflossen ist.

Späti verpackt ihre Erkenntnisse akkurat und übersichtlich. Dennoch hätte man sich im Fazit der Untersuchung vielleicht ein wenig mehr Mut gewünscht. So steht der immerhin 60 Seiten umfassende theoretische Unterbau bisweilen im Verlauf der deskriptiven Analyse etwas im leeren Raum. Späti hätte ihre Erkenntnisse dazu nutzen können, die Debatte um die Definition des Wesens von Antizionismus und Antisemitismus weiterzuführen und die Frage zu stellen, warum eigentlich die Diskussion um Israel und ,,die Juden" bis heute in der schweizerischen und deutschen Linken (und nicht nur dort) so exzessive, ja fast pathologische Züge angenommen hat.

Sonja Profittlich, Bonn


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