ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Mark Wild, Street Meeting. Multiethnic Neighborhoods in Early Twentieth-Century Los Angeles, University of California Press, Berkeley 2005, 298 S., geb., 38,99 € (kart., 2008, 20,99 €).

Race, ethnicity und community - das Zusammenspiel dieser drei für die amerikanische Geschichte zentralen Kategorien untersucht Mark Wild am Beispiel multiethnischer Stadtviertel in Los Angeles zwischen 1900 und 1940. Wild möchte anhand dieser Lokalstudie zum einen das die Forschung dominierende Bild des amerikanischen Einwandererviertels als ethnisch weitgehend homogenes Viertel korrigieren. Diese Perspektive ignoriert die Existenz einer Vielzahl multiethnischer Arbeiterviertel, in denen im frühen 20. Jahrhundert African-Americans mit mexikanischen, chinesischen, japanischen, jüdischen, italienischen und anderen Einwanderern auf engstem Raum zusammenlebten. Zum anderen geht es Wild darum, die Interaktion zwischen den Einwohnern dieser multiethnischen Stadtteile und den lokalen, von ihm als ,,Anglos" bezeichneten Eliten nachzuspüren. Letztere nahmen gerade ,,inter-ethnoracial" (S. 5) Allianzen, so die These, häufig als Bedrohung wahr und versuchten, dem Überschreiten der ethnoracial community-Grenzen entgegenzuwirken.

Wild gliedert seine Studie in sieben Kapitel, in denen er sich jeweils unterschiedlichen Akteursgruppen widmet. Im ersten Kapitel wird das Setting erläutert und der Leser in die Demographie, Siedlungsmuster und Geschichte der Central Districts von L.A. eingeführt. Im Kern zeigt der Autor hier, dass es kaum monolithische Stadtteile gab und selbst ein amerikanischer Klassiker wie ,,Chinatown" bei weitem nicht nur von Chinesen bewohnt wurde.

Im Kapitel 2 untersucht er die Antwort der ,,Anglos" - zumeist white anglo-saxon protestant (WASP) Reformer und Lokalpolitiker - auf die Entstehung solcher Stadtteile seit dem späten 19. Jahrhundert und gewährt Einblicke in ihre Versuche, die Stadtviertel und ihre Einwohner in eine kontrollierte, ,,amerikanische" landscape zu überführen. Wie sich das im Stadtraum faktisch ausspielte, untersucht er am Beispiel der Stadtplanung, genauer: dem von WASP-Werten geleiteten housing movement und dem vom Industriekapitalismus bestimmten zoning. Letztlich, so Wild, scheiterte dieser auf die Identifikation von ,,Problemvierteln" und deren ,,Besserung" zielende Urbanismus.

Eine reformerische Alternativvision untersucht Wild in Kapitel 3: Die 1918 gegründeten Church of All Nations. Als eines der liberalsten Fürsorgeprogramme der Zeit, von sozialistischem Gedankengut und dem Social Gospel der Progressiven Ära inspiriert, scheiterte das Projekt jedoch an seinem Anspruch, den Einwohnern des multiethnischen Stadtteils einen übergreifenden community spirit zu vermitteln. Hier sollte Annäherung zwischen Kulturen entstehen - aber unter der Schirmherrschaft der WASP-Mittelklassen. Allerdings scheinen damit die Gründe für das Scheitern, anders als vom Autor postuliert, weniger in der Multiethnizität der Central Districts zu liegen, als in der altbekannten Kluft zwischen paternalistischen Reformern und Einwanderern - unabhängig von der Heterogenität des Stadtteils.

Erst in Kapitel 4 und 5 wendet sich Wild dann der alltäglichen Interaktion zwischen den Central City residents zu. Zunächst konzentriert er sich auf die Kinder, die - sei es auf der Straße, dem Spielplatz oder in der Schule - am ehesten ethnische und rassische Grenzen durchbrechende Freundschaften knüpften, aber auch auf die Widerstände trafen, die diese Freundschaften erfuhren, gerade durch die Erwachsenenwelt der eigenen communities.

Im 5. Kapitel untersucht Wild die intimen Beziehungen zwischen Erwachsenen unterschiedlicher Ethnizität und geht der Frage nach interethnischen Ehen nach, die häufig auf starke Ablehnung trafen. Wild arbeitet heraus, dass die meisten inter-ethnoracial sexuellen Kontakte im Bereich der Prostitution stattfanden. Dadurch wurden ethnische Grenzen durchbrechende Partnerschaften häufig mit Prostitution und Illegalität assoziiert. Vor allem Anglos wehrten sich gegen derartige Liebesbeziehungen, aber auch Mexikaner, Chinesen, Japaner und andere Einwanderer bevorzugten Partnerschaften innerhalb der eigenen Gemeinschaft. Letztlich zeigt der Autor hier, dass bei aller Multiethnizität und racial mixture der Stadtteile die Grenzen zwischen den communities doch nicht so leicht unterlaufen werden konnten und nur eine geringe Zahl an ,,Angelenos" dieses Wagnis einging.

Kontakte fanden eher im politischen Bereich statt. Im Zentrum der letzten zwei Kapitel stehen politische Allianzen, die die Differenzen zwischen ethno-racial communities zu überbrücken suchten. Zum einen analysiert Wild die ,,street-speaking culture", die von verschiedenen Organisationen, v.a. der Socialist Party, genutzt wurde, um in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts eine Arbeiterkoalition zu schaffen. Diese radikalen Bewegungen wurden jedoch weitgehend durch das Los Angeles Police Department (LAPD) unterbunden, das bei Straßenprotesten und Demonstrationen hart durchgriff.

Während der Great Depression entzüdete dann die Communist Party of Los Angeles (CPLA) einen regelrechten Kampf um die Straßen der Stadt. Wild interpretiert die CPLA als prägnantesten Ausdruck des politischen Potenzials kulturübergreifender Allianzen in den Central Districts, da die Partei zumindest zeitweise als Sprachrohr für radikale Bewegungen und Interessengruppen aller Art diente und von Einwohnern verschiedenster Herkunft unterstützt wurde. Das Verschwinden der CPLA von den Straßen der Stadt in den 1940er Jahren, so der Autor, sei nur ein Hinweis darauf, dass die schon Jahrzehnte zuvor unternommenen Versuche lokaler Eliten, diese Stadtteile zu kontrollieren, durch den Zweiten Weltkrieg verschärft wurden und Früchte trugen. Vor allem aber die Nachkriegsstadtplanung habe dann der Monoethnisierung und dem white flight Vorschub geleistet, die so typisch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg werden sollte und letztlich den Boden bereitete für die zahllosen gewalttätigen Konflikte im L.A. des späteren 20. Jahrhunderts. Sein Fazit: ,,What had occurred was the transformation of an eclectic collection of integrated neighborhoods into a compartmentalized city with racial and ethnic communities largely cordoned off into separate districts bordered by strips of 'transitional' areas" (S. 205).

,,Street meeting" ist ein ambitioniertes Projekt der kulturhistorisch geprägten urban history, das in den Mikrokosmus der Stadt eintaucht, um Wahrnehmungsweisen, Interaktionen und Aushandlungsprozesse von Macht und Identitäten im Detail zu betrachten. Der Autor betritt insofern Neuland, als die bisherige Forschung (außer der Labor Union History) den Fokus eher auf die Konfrontation zwischen WASP und Non-WASPs richtete, oder aber auf einzelne ethnische Milieus, kaum jedoch auf die Interaktionen untereinander.

Allzu oft jedoch argumentiert Wild gegen sein eigenes Quellenmaterial: Während er immer wieder nahezu beschwörend betont, wie integriert die multiethnischen Stadtteile in L.A. waren, so lässt doch ein Großteil seines Materials eher auf die Wirkmacht von Grenzen, Vorurteilen und Diskriminierungen zwischen den einzelnen communities schließen. Inter-ethnoracial Koalitionen, Allianzen und alltägliche Begegnungen treten in seinem Narrativ zudem häufig hinter die altbekannten Auseinandersetzungen zwischen führenden WASP-Schichten und den Einwanderern und African-Americans zurück, ohne dass überzeugend erörtert wird, inwiefern Anglos gerade auf die Vermischung unterschiedlichster Kulturen reagierten. Wilds Material deutet auch entgegen seiner These von den grenzziehenden Anglos eher darauf hin, dass Reformer häufig gar nicht zwischen Immigranten unterschiedlichster Herkunft unterschieden (S. 44-56) und Kontakte unter diesen tolerierten, etwa in der Schule (S. 109) oder auf dem Spielplatz (S. 101-102). So zeichnet er letztlich ein zu eindimensionales Bild von Grenzen überschreitenden ,,ethnics" und Grenzen errichtenden ,,elites", während doch seine Quellen eine größere Komplexität nahelegen.

Überzeugend ist das Buch daher vor allem dann, wenn Argument und Material einander entsprechen, etwa wenn der Autor die alltäglichen Interaktion der Einwohner innerhalb der Central Districts nachzeichnet, etwa im Kapitel über die Kinder und Jugendlichen oder auch über die Kommunistische Partei. Insgesamt ist ,,Street Meeting" eine gut lesbare Einführung in ein komplexes Thema, die jedoch noch Raum für weitere Forschungen offen lässt.

Nadine Klopfer, München


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