ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jan Philipp Spannuth, Rückerstattung Ost. Der Umgang der DDR mit dem ,,arisierten" Eigentum der Juden und die Rückerstattung im wiedervereinigten Deutschland, Klartext Verlag, Essen 2007, 255 S., brosch., 27,90 €.

Obwohl die Wiedergutmachung ein zentraler Punkt in der Debatte zu den Folgen des Nationalsozialismus nach 1945 war, widmen sich nur einzelne Studien diesem Thema. Dies mag auch daran liegen, dass die zahlreichen Quellen nicht leicht zugänglich sind. Jan Philipp Spannuth hat für seine Studie zunächst ein Schicksal eines jüdischen Hoteliers auf Rügen dargestellt, dessen Eigentum 1937 ,arisiert' wurde und der sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergeblich um die Restitution in der DDR bemühte. Anschließend schildert Spannuth die Diskussionen um die Wiedergutmachung in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR. Die Diskussion in der SBZ über die grundsätzliche Politik hinsichtlich der Rückerstattung wurde von Seiten der SED unter Betonung des Fürsorgeprinzips und von Seiten der CDU und LDP mit dem Gedanken der Weiterführung des Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes geführt. Unter Ministerpräsidenten Dr. Hermann Brill war im noch amerikanisch besetzten Thüringen ein Gesetz zur Rückgabe jüdischen Eigentums erarbeitet worden. Damit war Thüringen das einzige Land in der DDR, das sich mit dieser Problematik überhaupt legislativ beschäftigte.

Jan Philipp Spannuth widmet sein erstes Kapitel der Biografie eines jüdischen Unternehmers: Adalbert Frank besaß mehrere Hotels in Binz und Sellin auf der Ostseeinsel Rügen. Ab 1937 musste er seine Anteile an den Unternehmen zwangsweise verkaufen. Adalbert Frank floh aus einem Deportationszug und lebte dann illegal in Ungarn. Nach dem Ende des Krieges kehrte er nach Binz zurück und leitete das juristische Procedere ein, um sein Eigentum zurückzuerlangen. Da es keine Gesetzgebung gab, die eine Rückgabe des jüdischen Eigentums vorsah, blieb Frank der zivilrechtliche Weg, in dem er die Wirksamkeit eines Kaufvertrags bestritt, da dieser aufgrund einer unsittlichen Gesetzgebung im Nationalsozialismus zustande gekommen sei. Jedoch konnte sich das Gericht nicht zu einer Entscheidung durchringen, sondern überließ den Beschluss der sowjetischen Besatzungsmacht. Adalbert Frank wurde als Treuhänder über sein ursprünglich eigenes Vermögen eingesetzt. Er betrieb die Hotels, bis er im Februar 1953 in der ,,Aktion Rose", die sich gegen Hotel- und Pensionsbesitzer an der Ostsee in der DDR richtete, von der Polizei verhaftet wurde. Er blieb bis zu seinem Verfahren in Haft und wurde im April 1953 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Sein gesamtes Vermögen zog der Staat ein. Nachdem er nach vier Jahren Haft freigelassen worden war, ging Adalbert Frank mit seiner Frau nach Westberlin.

In einem zweiten Kapitel dokumentiert Spannuth die Diskussion über die Wiedergutmachung nach 1946. Bezogen auf die gesamte DDR kam es zu einer Diskussion, in der sich der Flügel in der SED mit seinem Leitgedanken, nur weil es Juden seien, müsse man kein Privateigentum zurückgeben, durchsetzte. Im Grunde okkupierten diese Leute um Walter Ulbricht das dem Reich zugefallene jüdische Vermögen oder die ,arisierten' Unternehmen und Grundstücke und interpretierten den Vermögensverlust als Ergebnis eines Sozialisierungsvorgangs und nicht als eine widerrechtliche Enteignung. Da sich die SED als Hüterin des Volkseigentums verstand, sah sie keine Legitimation ,,jüdischer Kapitalisten", dem Volk nun wieder sein Eigentum wegzunehmen, in dem man es restituierte. Wenige wie Paul Merker und Leo Zuckermann traten dieser Meinung vehement entgegen. Deswegen wurden sie politisch isoliert und als ,,Agenten des Zionismus" diffamiert und verfolgt. Spannuth beschreibt quellenreich und präzise, wie sich das offizielle Wiedergutmachungsverständnis der DDR - von der Diskussion ab 1945/46 bis zur Doktrin 1952 - entwickelte.

Die DDR hatte alle israelischen Forderungen nach Wiedergutmachungszahlungen bis 1989 abgewiesen. 1952 schrieb das SED-Blatt Neues Deutschland, dass es sich beim Luxemburger Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Israel lediglich um einen Vertrag zwischen Großkapitalisten handelte. Constantin Goschler hat in seiner Untersuchung die Verhandlungen um die Wiedergutmachungszahlungen in der Bundesrepublik überzeugend untersucht. (1) Spannuth zeichnet in seinem Buch auch die Resonanz der DDR auf die westdeutsche Entwicklung nach und führt darin auch das bisher unbekannte Papier einer Arbeitsgruppe der DDR-Außen-, Justiz- und Finanzministerien vom November 1961 auf, das die Folgen ausländischer Wiedergutmachungsansprüche für die DDR untersuchte, welche sich durch den 1959 von der Sowjetunion vorgelegten Friedensvertragsentwurf ergeben könnten. Dieses Papier schlussfolgerte, dass es keine Ansprüche gegen die DDR geben könne und entsprach damit vollständig der ideologischen Linie. In den 1970er und 1980er Jahren gab es verschiedene Versuche der Claims Conference, mit der DDR-Regierung Gespräche über Wiedergutmachungszahlungen zu führen. Zwar fand ein Treffen im Herbst 1988 statt - aber die SED blieb bei ihrer Position.

Mit der friedlichen Revolution, dem Mauerfall am 9. November 1989 und der Entmachtung der alten SED-Kader änderte sich die Haltung der SED: Bereits im Dezember 1989 kündigte der neue Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow (SED), an, mit Israel verhandeln zu wollen. Er traf sich auch mit Vertretern der Claims Conference, die die Diskussionen über die Rückgabe jüdischen Eigentums auf der Seite der jüdischen Verfolgten anführte. Ob sich der Zentralrat der Juden in Deutschland in diesen Fragen gleichfalls engagierte, ist nicht bekannt. Jedenfalls führten die Verhandlungen, bei denen die Bundesrepublik die wichtigste Stimme hatte, zu einer Einbindung des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen in den Einigungsvertrag, wobei es alle Vermögenstransfers seit 1933 bis 1989 auf dem Gebiet der DDR berücksichtigte. Zuvor hatte die Bundesregierung im September 1990 mit den drei westlichen Besatzungsmächten vereinbart, dass die im Überleitungsvertrag definierten Bestimmungen zur Rückerstattung und Entschädigung weiterhin gelten sollten. Damit besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesregierung zur Entschädigung und Restitution jüdischen Vermögens.

Zum Umfang der Verfahren aufgrund des Gesetzes rechnet Jan Philipp Spannuth Durchschnittswerte von Hamburg und Frankfurt am Main so auf Ost-Berlin hoch, dass die Ergebnisse etwas zu gering erscheinen. Dessen ungeachtet sind Spannuths Erklärungen zu den gestellten Anträgen aufschlussreich und vor allem einmal das zusammenfassend, was durch die föderale Struktur in den Anfängen der Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen etwas verloren ging. Die Statistik für das Land Mecklenburg-Vorpommern spiegelt diese Problematik wider - dort wurde erfasst, was die Jewish Claims Conference beantragt hatte, andere Anspruchsteller auf jüdisches Eigentum aber nicht.

Im vorletzten Kapitel seines Buches skizziert Spannuth einige Rückerstattungsfälle der 1990er Jahre , die er aus den Verfahrensakten der Ämter rekonstruiert. Basierend auf den Untersuchungen Jürgen Lillteichers zu Rückerstattungen in Westdeutschland vergleicht Jan Philipp Spannuth diese mit der ostdeutschen Praxis und fragt nach einem Lerneffekt der Rückerstattung West für die Rückerstattung Ost. (2) Zum einen habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung Ost immer wieder auf Gerichtsurteile West Bezug genommen und damit deutlich gemacht, dass die Rechtspraxis aufeinander aufbaue. So ist die Entziehungsvermutung für jedes Rechtsgeschäft, das nach dem 30. Januar 1933 von einem Zugehörigen der Gruppe der jüdischen Kollektivverfolgten abgeschlossen wurde, ein Ergebnis der alliierten Rückerstattungsgesetze, das nun seinen Weg in das Ost-Gesetz gefunden hat. Wie sehr einige Polemiken in der Öffentlichkeit bei spektakulären Rückgaben dies ignorieren, macht deutlich, wie wichtig die Arbeit eines Historikers (und einer Historikerin) auch für die Allgemeinheit sein kann.

Weiterhin ist aus der West-Rechtsprechung der Grundsatz übernommen worden, dass der wirtschaftliche Schaden im Mittelpunkt steht - nicht die Staatsangehörigkeit noch der Wohnsitz des Betroffenen. Gleichsam ein Rückgriff auf West-Recht ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts in Verfahren Ost, wann der Kaufpreis als angemessen zu bewerten ist. Der angemessene Kaufpreis ist nach West-Recht der Verkehrswert. Dies wurde dann auch in die Rechtssprechung Ost übernommen.

In seinem Ausblick macht Jan Philipp Spannuth auf die anderen postkommunistischen Staaten Europas aufmerksam und fragt, wie der Restitutionsprozess wohl dort in Gang kommen wird. Viele Experten teilen seine Auffassung, dass es im europäischen Einigungsprozess wesentlich sei, eine gesetzliche Regelung in diesen Staaten zu erreichen. Die Rückerstattung Ost ist noch nicht abgeschlossen - die Good Will-Verfahren bei der Claims Conference harren ihrer Bearbeitung. Die unschlüssige Diskussion um die Restitution von Kunstgütern hat die gesamtdeutsche Gesellschaft betroffen und wird hoffentlich in einer bindenden Regelung münden, die nicht jeden Tag vom Feuilleton der Tageszeitungen neu definiert werden kann. Jan Philipp Spannuth ist für den aufschlussreichen Blick hinter die Verfahrenskulissen zu danken.

Beate Schreiber, Berlin

Fußnoten:


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