ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Ruth Rosenberger, Experten für Humankapital. Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 26), Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2008, 482 S., 19 s/w Abb. u. 10 Tab., 64,80 €.

Wie entstand in bundesrepublikanischen Unternehmen zwischen den 1950er und 1970er Jahren ein Betätigungsfeld für Human- und Personalexperten? Wie öffneten sich neue Kanäle der Verwissenschaftlichung? Wie bildete sich letztlich eine Rationalität heraus, die nicht mehr um die Errichtung einer hierarchischen Ordnung im Betrieb zentriert war, sondern ,,Handlungsspielräume und ,Entwicklungsmöglichkeiten' jedes einzelnen Beschäftigten" (S. 11) in den Blick nahm und damit nicht zuletzt zur Etablierung nach wie vor aktueller, verschiedentlich als ,neoliberal' etikettierter Regierungstechniken und Subjektivierungspraktiken beitrug? Es ist dieses Fragenbündel, dem sich Ruth Rosenberger in ihrer Trierer Dissertation widmet. Rosenberger projektiert eine ,,sozio-ideell" erweiterte Unternehmensgeschichte, der daran gelegen ist, die Ausbildung und Stabilisierung der Sozialordnung von Unternehmen zu analysieren. ,,Dazu wird der Untersuchungsgegenstand als analytischer Ort konstruiert, zu dem erstens potenziell alle Akteure Zugang hatten, die bisher nur von jeweils einer bestimmten Forschungsrichtung untersucht wurden (Unternehmer, Gewerkschaften), und der zweitens sowohl im außerbetrieblichen Raum wie auch innerhalb von Unternehmen angesiedelt ist." (S. 26f.)

Ruth Rosenberger rekonstruiert zunächst die Voraussetzungen für die Entstehung des Felds betrieblicher Human- und Personalpolitik seit den 1920er Jahren, die bis in die unmittelbare Nachkriegszeit hinein relativ stabil blieben - vor allem in ihrer Wirkung als Begrenzungsmechanismus. Die Rekonstruktion dieser Voraussetzungen soll verständlich machen, warum es bis zur Mitte der 1950er Jahre nicht zur Ausbildung eines humanwissenschaftlich fundierten Personalmanagements in den Unternehmen kam. Die nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Neuausrichtung betrieblicher Sozialpolitik bedeutete gegenüber der Vorkriegszeit zwar einen wesentlichen Einschnitt, aber keinen effektiven Schritt in Richtung verwissenschaftlichter Personalpolitik. Weder bürgerliche Sozialreformer noch Psychologen oder Betriebswissenschaftler konnten sich in dieser Phase als anerkannte Experten für ,Soziales' in den Unternehmen etablieren. Vielmehr gelang es technisch orientierten Rationalisierungsingenieuren, eine maßgebliche Stellung zu erobern. ,,Der technische Denkstil der Rationalisierungsingenieure war daher der zentrale Faktor für das, was an Verwissenschaftlichung im Bereich betrieblicher Personal- und Sozialpolitik möglich war." ,,Zentral für die Schwäche und das geringe Durchsetzungsvermögen der Humanexperten war, dass es ihnen im Gegensatz zu den Ingenieuren nicht gelang, eine eigenständige Expertenkultur zu etablieren, die inner- wie außerbetrieblich institutionalisiert war und über eine strukturelle Anbindung an (mindestens) eine wissenschaftliche und akademisch anerkannte Disziplin verfügte." (S. 61 u. 68) Forderungen nach ,sozialer' und ,humaner' Rationalisierung wurden in der Weimarer Republik und während der Zeit des Nationalsozialismus zwar immer wieder erhoben, sie schlugen jedoch kaum auf innerbetriebliche Expertenfelder durch. Die entscheidende Veränderungsdynamik kam erst seit Mitte der 1950er Jahre merklich in Gang.

Im Zentrum der Arbeit betrieblicher Humanexperten stand in der Nachkriegszeit das Bemühen, jenseits der großen ordnungspolitischen Debatten ,,Maßnahmen zur Entspannung betrieblicher Sozialbeziehungen vor Ort" zu entwickeln. Hier rangen Ingenieure und eine kleine Gruppe von Praktikern aus den nach wie vor rudimentären Sozial- und Personalabteilungen um die Vorrangstellung bei der Gestaltung des betrieblichen Sozialraums. Als Initialzündung für die Etablierung eines personalpolitischen Expertenfelds, das sich von demjenigen technisch orientierter Rationalisierungsingenieure unterschied, wirkte das Konzept sozialer Betriebsgestaltung, gekennzeichnet durch dreierlei: erstens ein Verständnis des Unternehmens als ,,sozialer Ort, an dem Menschen zu einem wirtschaftlichen Zweck zusammen arbeiten" (S. 119); zweitens einen gegenüber dem kollektivistischen Bias der betrieblichen Sozialpolitik früherer Jahrzehnte individualistischeren Integrationsansatz; drittens die konstitutive Einbindung (human-)wissenschaftlichen Wissens. Das personalpolitische Feld etablierte sich ausgehend von und zentriert um die ,,Forderung, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen". Damit war ein ,,Gemeinplatz" gefunden, der ,,von da an als Teil des westdeutschen demokratischen Grundkonsens' [diente]. Die Genese dieses Gemeinplatzes war mit der Entstehung des personalpolitischen Felds untrennbar verknüpft." (S. 127) Unter diesen Voraussetzungen zeichnete sich die Strukturierung eines personalpolitischen Felds ab, dass einerseits durch faktischen Ausschluss von Soziologen und andererseits eine nur noch untergeordnete Stellung des technischen Denkstils charakterisiert war. Im Mittelpunkt standen nun Versuche, eine ,,Ordnung des Betriebes vom Mensch her durch die ,organische Eingliederung der Einzelpersönlichkeit in das ideelle Ganze des betrieblichen Geschehens'" (S. 139) zu errichten; Versuche, die ganzheitlich geprägt waren, sich Selbstverpflichtungen dem ,einzelnen Menschen' gegenüber auferlegten (ohne eine grundlegende Gemeinschaftsorientierung sofort aufzugeben) und einem wissenschaftsgestützten, ,therapeutischen' und erzieherischen Ansatz folgten. In diesen Versuchen zeigte sich ein Bestreben, mittels ,,Übertragung medizinischer Deutungsmuster und Vorgehensweisen auf den gesellschaftlichen und politischen Raum auszugreifen". (S. 144)

Parallel zu den Expertendiskussionen waren auch Unternehmer inzwischen auf die neuen Humanexperten und ihre Ziele aufmerksam geworden. Unternehmer schöpften aus dem argumentativen Pool der Humanexperten vor allem zwecks Reformulierung unternehmerischer Selbstdeutungen und Außendarstellungen. Unter Einbeziehung sozialintegrativer Aspekte in das unternehmerische Selbstverständnis entwickelte sich, ausgehend vom Begriff der Partnerschaft, die Konzeption des ,,sozial verantwortlichen Unternehmers". Das zielte nicht mehr allgemein auf die ,,Lösung der sozialen Frage", sondern eine ,,Bestgestaltung" der sozialen Verhältnisse im Betrieb. Sozial- und personalpolitischen Maßnahmen, die der Unternehmer aus eigener Initiative ergriff, wurden freilich nach wie vor gesellschaftspolitisch integrative Funktionen zugeschrieben.

Seit Mitte der 1960er Jahre etablierten sich in den Unternehmen endgültig Personalabteilungen und damit ein stabiles Betätigungsfeld für Humanexperten. Sie wurden in den betrieblichen Sozialraum integriert. Zugleich verschob sich ihre Funktion: von einer verwaltenden zu einer gestaltenden Tätigkeit. Das führte letztlich - deutlich und verbindlich erst in den 1970er Jahren - zu einer ,konsensliberalen' Re-Interpretation des Partnerschaftskonzepts und einer nachhaltigen Zurückdrängung der Ganzheitlichkeits- und Gemeinschaftsbezüge. Der von Ruth Rosenberger für das Feld unternehmerischer Personalpolitik rekonstruierte ,,Wandel vom kollektiven Sozialen zum individualisierenden Personalen" (S. 381) trägt viel zum Verständnis der in jüngerer Zeit intensiv diskutierten ,neoliberalen' Regierungstechniken und Subjektivierungspraktiken bei, die verschiedentlich als Strukturmerkmal postmoderner Gesellschaften herausgearbeitet wurden. Wer Voraussetzungen und Herausbildung des ,,neuen Geistes des Kapitalismus" und des ,,unternehmerischen Kreativsubjekts", des Subjekts als Unternehmer seiner selbst, verstehen will (1), kann von Ruth Rosenbergers Buch nur profitieren.

Ruth Rosenberger hat eine Arbeit vorgelegt, die mit Blick auf Herausbildung, Etablierung und Verschiebungen einer spezifischen Wissensformation exemplarischen Charakter für sich beanspruchen kann. Analytisch präzise gelingt es ihr, die soziale Formation eines Wissensbestands und seiner Realisierung in verschiedenen Wirkungskontexten zu rekonstruieren. Allerdings: In ihrer Arbeit kommen auch die Grenzen eines feldsoziologischen Ansatzes im Anschluss an Pierre Bourdieu zum Vorschein. Nicht zu leugnen ist die fast schon verdinglichende Tendenz, die dieser Ansatz in der konkreten Analyse von Sozialformationen und Ideenkonstellationen in Gang setzt. Die Kohärenz der analysierten Gegenstände wird durch eine Konzentration auf Expertenfelder und Professionalisierungsbemühungen, wie Rosenberger sie vornimmt, vornehmlich institutionell und personell erzeugt. Das erweist sich vor allem dann als problematisch, wenn Ideen, Topoi und Diskurse in ihren Verkettungen und ihrer Dynamik in die Analyse integriert werden sollen. Rosenberger widmet dem immerhin große Teile ihrer Arbeit. Die Konzentration auf ein institutionelles und personelles Setting läuft gerade hier Gefahr, den Gegenstand der Analyse zu isolieren. Verbindungen zu übergreifenden, auch hinsichtlich ihrer Periodisierung anders als eine Professionalisierungsgeschichte konturierten Diskursen werden tendenziell gekappt. Wählt man Bezugspunkte jenseits betrieblicher Expertenfelder, dann wird deutlich, dass z.B. die Rede vom ,Menschen im Mittelpunkt' spätestens seit den 1930er Jahren wirkmächtig etabliert ist und auf eine Reihe gesellschaftlicher Bereiche ausgreift. In der Problematisierung des Industriebetriebs, aber auch der Architektur usw., geht es bereits in der Zwischenkriegszeit um den ,ganzen Menschen', der explizit in seiner ,sozialen Umwelt' thematisiert wird. Hier ließe sich schon die Frage stellen, was es für innerbetriebliche Expertenfelder bedeutet, wenn sich in ihrem Umfeld die Konturen der Diskursivierung und Problematisierung des Industriebetriebs entscheidend und machtvoll verschieben. Zur Beantwortung dieser Frage bedürfte es der Analyse des ,Betriebs' als Gegenstand der Wissensproduktion, nicht ausschließlich als Schauplatz potentieller Verwissenschaftlichung und Professionalisierung. Damit ist kein Einwand gegen die in mehrerer Hinsicht überzeugende, spannende und lesenswerte Arbeit von Ruth Rosenberger formuliert, sondern auf eine mögliche Perspektive hingewiesen. Es ist nicht zuletzt die Lektüre von ,,Experten für Humankapital", die es erlaubt, solche Überlegungen zu präzisieren. Damit kommt Ruth Rosenberger ein Verdienst zu, das darüber hinaus geht, eine Analyse des Personalmanagements vorgelegt zu haben, die zu diesem Thema eigentlich keine Fragen mehr offen lässt.

Timo Luks, Oldenburg

Fußnote:


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