Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
David Landes, Die Macht der Familie. Wirtschaftsdynastien in der Weltgeschichte, W. J. Siedler Verlag, München 2006, 480 S., geb. Ln, 24,95 €.
Unternehmerfamilien sind in den letzten Jahren zu einem populären Sachbuch-Thema geworden, das sich offenbar fast so gut verkaufen lässt wie Hitler oder die Dinosaurier. Auch David Landes, der renommierte amerikanische Wirtschaftshistoriker (,,The Unbound Prometheus"), hat ein solches Werk veröffentlicht, dessen deutschsprachige Version mittlerweile in mehreren Hardcover-Auflagen gedruckt worden ist und auch als Paperback vorliegt. In dem Buch geht es nicht um Familienunternehmen im klassischen Sinne, also um kleinere und mittlere Betriebe, die von ihren Besitzern geleitet und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Landes hat eine glamourösere Untersuchungsgruppe ins Visier genommen. ,,Dynasties" heißt das Buch im Original, ein mehr als deutlicher Anklang an eine amerikanische Fernsehserie der 1980er Jahre (,,Dynasty", zu deutsch ,,Denver Clan"). Im Untertitel der amerikanischen Ausgabe verspricht der Autor (bzw. die Werbeagentur des Verlags), nichts weniger als die Saga, "wie die mächtigsten Familien der Welt die Geschichte veränderten".
Landes stellt in elf Kapiteln insgesamt 13 prominente Unternehmerfamilien vor, geordnet nach Wirtschaftssektoren: Banken (Baring, Rothschild, Morgan), Autos (Ford, Agnelli, Citroen/Peugeot/Renault, Toyoda), Rohstoffe (Rockefeller, Guggenheimer, Schlumberger, De Wendel). Im Wesentlichen handelt es sich um recht konventionelle Porträts der Gründer und ihrer Nachkommen. Landes beschäftigt sich vornehmlich mit ihrem persönlichen Werdegang und ihren unternehmerischen Leistungen und Erfolgen. Wir erfahren, wie der Wechsel von einer Generation zur nächsten vonstattenging und wie es der Gründer und seine Söhne und Enkel schafften, über drei Generationen hinweg die Kontrolle über ihr Unternehmen zu behalten. Landes stützt seine weitgehend deskriptive Darstellung vor allem auf die einschlägigen Unternehmensgeschichten und Biografien. Nur hin und wieder formuliert er allgemeine Aussagen über Praktiken der Unternehmensnachfolge, der Vermögensvererbung oder das Management von Familienunternehmen. Insgesamt fehlt aber über weite Strecken ein systematischer Zugriff. Landes handelt die Geschichte seiner Wirtschaftsdynastien in flappsigem Plauderton ab und lässt dabei keine Anekdote aus. Das ist stellenweise ganz amüsant zu lesen, manchmal sogar anregend.
Vor allem aber ist Landes' Buch eine ergiebige Quelle mehr oder minder unfreiwilliger Komik. Diese Stelle hat mir z. B. gefallen: ,,Die Fords kamen 1832 aus Irland in die Vereinigten Staaten. Sie waren Protestanten aus einem katholischen Teil des Landes, Nachfahren einer frühen britischen Invasion und daher sozusagen Krieger in feindlicher Umgebung. Das härtete sie ab. In der Neuen Welt wanderten sie westwärts, auf der Suche nach Land, das billig zu haben und ihrem Herzen teuer war, und als sie es fanden, gingen sie daran, den Wald zu roden und zu zähmen. Es war Indianerland; zwar waren die meisten Eingeborenen abgezogen aber einige waren geblieben und verbreiteten Unruhe und Unsicherheit." (S. 180) Wen haben wir hier vor uns? Die Vorfahren von Henry Ford oder die von Dagobert Duck? Landes scheut vor keinem Klischee amerikanischer Selbstvergewisserung zurück: ,,Der älteste Sohn der Einwanderer Ford [...] verdingte sich als Zimmermann bei der Eisenbahn. Wer den Willen und die Fähigkeiten hatte, bekam in diesem Land seine Chance" (S. 181). Auch über die Wirtschaftskultur anderer Nationen erfahren wir Wissenswertes: ,,Die Russen in Alaska widmeten sich dem Fang von Fischen und Pelztieren und hielten sich warm, indem sie große Mengen Wodka tranken" (S. 356). Natürlich kommen auch die intimeren Details der Familiengeschichten nicht zu kurz: ,,Die Wahrheit war, dass sich Virginia mit dem zum Unfallzeitpunkt unbehosten Fahrer vergnügt und er am falschen Ort und zum falschen Zeitpunkt die Kontrolle über das Auto verloren hatte" (S. 232). Der Übersetzer hat Landes' kauzig-flappsige Formulierungen in konsequenter Wörtlichkeit in ein ziemlich merkwürdiges und bisweilen unverständliches Deutsch übertragen: ,,Seiner jüdischen und deutschen Anklänge ledig, in der Wolle gefärbt und in Umgangsformen und Rhetorik geschult, hatte Goldman sein Glück in neuen Branchen und traditionell bescheidenen Sektoren wie dem Einzelhandel gemacht" (S. 165).
Merkwürdig mutet es auch an, dass ein gestandener Wirtschaftshistoriker wie David Landes unkommentiert fragwürdige Thesen übernimmt. So heißt es über die britischen Unternehmer (im Rumpeldeutsch des Übersetzers): ,,Statt sich stolz als neuer und überlegener Menschenschlag aufzupflanzen, ließen sie sich den Schneid abkaufen und hatten nichts Eiligeres zu tun, als sich 'an eine elitäre Kultur anzubiedern, eine Mixtur aus vorindustriellen, aristokratischen und religiösen Werten und einem neuzeitlicheren kaufmännischen und bürokratischen Credo, mit der Folge, dass sie in ihrem Streben nach Expansion, Produktivität und Profit nachließen.'" (S. 38) Der zweite Teil des Schachtelsatzes ist ein wörtliches Zitat von Martin Wiener, dessen britische Version der Feudalisierungsthese zumindest als hoch umstritten gelten kann.
Der Hauptteil des Buches - die elf Fallstudien - ist Geschichtsstudenten und Fachhistorikern allenfalls als amüsante Urlaubslektüre zu empfehlen. Gehaltreichere Befunde bietet dagegen das längere Schlusskapitel. Hier entwickelt Landes eine Reihe von Thesen zur Geschichte von Unternehmerfamilien und Familienunternehmen. Allerdings greift er dabei stark auf die unternehmens- und wirtschaftshistorische Forschungsliteratur zurück. Seine eigenen Fälle - immerhin die ,,mächtigsten Familien der Welt", die ,,die Geschichte veränderten" - erwähnt der Autor überhaupt nicht mehr. Im Wesentlichen liegt hier der Fokus auf der Auseinandersetzung mit Alfred Chandlers einflussreicher Lesart des zwangsläufigen Übergangs vom Besitzer- und Familienunternehmen zum Managerunternehmen. Landes formuliert eine Reihe von Bedingungen und Faktoren, unter denen sich familiengeführte Großunternehmen erfolgreich behaupten konnten (und können). Eine wichtige Rolle spiele dabei immer das Vorhandensein fähiger Sprösslinge, ebenso die Bereitschaft der erbenden Nachkommen, zusammenzuarbeiten und füreinander einzustehen (S. 412f.). Auch die kulturellen Werte, die in der jeweiligen Gesellschaft gelten, hätten auf eine langfristige Stabilität von Wirtschaftsdynastien Einfluss: Dort, wo (anders als in den USA) ,,unternehmerische Tätigkeit nicht als höchste Form menschlichen Strebens" angesehen werde, neigten die Firmenerben eher dazu, sich vom aktiven Geschäft zurück zu ziehen (S. 413). Die Kontinuität von Familienunternehmen sei zudem abhängig von der ,,reproduktiven Potenz" der Eigentümerfamilie, genügend geeignete Unternehmensnachfolger hervorzubringen. Hier spiele auch eine Rolle, wer jeweils für die Nachfolge im familialen Generationenwechsel in Frage komme. In manchen ,,dynastischen Milieus" würden Schwiegerkinder oder Töchter von der Nachfolge ausgeschlossen, in anderen schreite man bei Bedarf sogar zur Adoption familienfremder Nachfolgekandidaten (S. 421f.). Die Eigenart des Geschäftsfeldes bestimme ebenfalls die Chancen dynastischer Kontrolle über Großunternehmen. Wenn zentralisierte Leitungsstrukturen möglich seien, könne die Familie relativ problemlos die Geschäfte am Laufen halten und Wachstumschancen wahrnehmen. In Branchen aber, bei denen Wachstum gewöhnlich mit der Vervielfachung des Leitungspersonals oder der Diversifikation der hergestellten und vertriebenen Produkte einhergehe, müssten wohl oder übel angestellte Manager hinzu gezogen werden (S. 410f.).
Auf den letzten 22 Seiten seines Buches präsentiert David Landes durchaus bedenkens- und diskussionswerte Überlegungen. Schade nur, dass er solche Überlegungen auf den ersten 400 Seiten unter einem Wust von Anekdoten und billigen Klischees begraben hat.
Michael Schäfer, Dresden