ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Angelika Westermann/Ekkehard Westermann (Hrsg.), Streik im Revier. Unruhe, Protest und Ausstand vom 8. bis 20. Jahrhundert, Scripta Mercaturae Verlag, St. Katharinen 2007, 417 S., kart., 38,50 €.

Der Titel des Tagungsbandes täuscht ein wenig. Das Hochmittelalter wird nur in einem der Beiträge behandelt und dort auch nur am Rande. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf der Wende vom ausgehenden Mittelalter zur frühen Neuzeit, auf dem 18. Jahrhundert und auf dem 19./20. Jahrhundert. Auch behandeln nicht alle Beiträge den Bergbau. Dazu gehören insbesondere die von Rolf Kiessling und Reinhold Reith. Kiessling liefert einen interessanten Vergleich zwischen den Augsburger Unruhen an der Wende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit und im 17./18. Jahrhundert. Reith gibt einen breiten Überblick dem Thema Arbeitsmarkt und Gesellenstreik vom 15. bis 19. Jahrhundert.

Beabsichtigt war, so die Herausgeber im Vorwort, die Forscher zum vorindustriellen und industriellen Zeitalter zusammenzuführen und aus den Einzelstudien Vergleiche abzuleiten. Leider fehlen dem Band dazu die erforderlichen Voraussetzungen. Die auch ihrem Umfang nach sehr ungleichen Beiträge (zwischen 15 und 52 Seiten) stehen isoliert da. Bezugnahmen untereinander fehlen gänzlich. Es mangelt vor allem an einer Einleitung mit Problemaufriss, Konzeptvergleich und Fragestellungen. Erika Westermann bietet nicht viel mehr als eine Zusammenfassung der Inhalte der Beiträge, und auch das Fazit von Ekkehard Westermann leistet dies nicht, obwohl die Artikel dazu Stoff genug liefern.

Wie Karl-Heinz Ludwigs umfangreicher Beitrag zum bergmännischen Berufsbewusstsein als Protestpotenzial im Mittelalter und im Übergang zur Neuzeit zeigt, verhalf den Bergleuten ihre besondere und nicht leicht ersetzbare Qualifikation bereits im hohen Mittelalter zu einem hohen Grad von Freiheit. Am Ausgang des Mittelalters war dann aber eine an Kapitel und Arbeit orientierte soziale Differenzierung vollzogen. Traditionspflege und symbolische Handlungen einerseits, gemeinsame Gegnerschaft gegen die ,,Allmacht des regalherrschaftlichen Beamten- und Funktionärsapparats" milderten die Gegensätze zwar ab. Wie die Aktionen der Tiroler Bergleute 1525 zeigen, entstand aber zugleich ein gesellschaftliches Protestpotenzial.

Für dessen Analyse sind freilich Bemerkungen wie die von Uwe Schirmer in seinem Beitrag über soziale Bewegungen in den Revieren des Erzgebirges im 15. und frühen 16. Jahrhundert, es habe sich um eine ,,rudimentär gebildete Masse" gehandelt, ,,die weithin in stumpfer Apathie und Gleichgültigkeit dahinlebte und die deshalb für irrationale Exzesse disponiert war", wenig nützlich. Gleiches gilt für die Wiederbelebung der Schlachten von Vorgestern (frühbürgerliche Revolution oder nicht) wie in Adolf Laubes Artikel zu den Bergarbeiter- und Bauernbewegungen in Deutschland von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des Bauernkriegs 1525/26. Tom Scott zeigt in seinem englisch-deutschen Vergleich, dass sich die großen Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Sozialbewegungen nur schwer mit übergreifenden Konzepten wie Peter Blickles ,Revolution des gemeinen Mannes' fassen lassen.

Wie schon Reinhold Reith der These vom Fehlen eines Arbeitsmarktes vor dem 19. Jahrhundert entgegentritt, so tut dies Christoph Bartels in seinem Beitrag über die Sozialkonflikte im 18. Jahrhundert in Bezug auf die von einigen Wirtschaftshistorikern für das 19./20. Jahrhunderts hartnäckig verteidigte Exklusivität von Streiks im Sinne von kollektiven Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung von Verbesserungen der Einkommens- und Arbeitsbedingungen. Dazu Bartels: ,,Dem Zerrbild von Maschinen stürmenden, dumpfen und gewalttätigen Horden von wüster Rohheit, als die gelegentlich bis zur Gegenwart hin immer wieder Arbeiter betrachtet worden sind, denen noch nicht die erziehende Hand gewerkschaftlicher und christlich bis kommunistisch orientierter Sozialpolitik zuteil geworden war, entspricht das Verhalten der Bergleute des 18. Jahrhunderts nicht."

Die Beiträge von Björn Ivar Berg über die Aktionen in den norwegischen Silberminen von Kongsberg im 18. Jahrhundert und von Akos Paulinyi über Arbeitsverweigerungen und Aufruhr in mittelslowakischen Berg- und Hüttenwerken an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bestätigen Bartels Urteil in der Tendenz.

Die Artikel zum 19./20. Jahrhundert weisen eine große Spannbreite auf. Während Zygfryd Piateks Untersuchung zu den Streiks im niederschlesischen Kohlebergbau und Milan My_kas Auswertung von Streikstatistiken in einem der größten Kohlereviere auf dem Territorium der Habsburgmonarchie die bekannten Handlungsmuster bestätigen, zeigt Robert Burt, dass der niedrige Organisationsgrad und die geringere Streikbereitschaft der Arbeiterschaft im britischen Nichteisenbergbau unter anderem auf die vom Kohlebergbau deutlich abweichende, aus dem protoindustriellen System des 16./17. Jahrhunderts stammende Arbeitsorganisation zurückzuführen ist. Burt verweist zudem auf eine spezifische village culture, die andere Formen des Konfliktverhaltens und der Konfliktbewältigung als den Streik begünstigt haben. John Benson stellt unter anderem die verbreitete These von der Rücksichtslosigkeit (myopia, intransigence) der britischen Minenbesitzer hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber der Arbeiterschaft infrage. Seinem Verweis auf eine regionale Konzentration von Arbeitskämpfen folgt allerdings weder eine Hypothese über die Ursachen noch gar eine vertiefende Studie.

Insbesondere von Klaus Tenfelde hätte man sich die Auseinandersetzung mit der von Reith und Bartels vorgetragenen Kritik gewünscht. Immerhin gehört er nicht nur zu den prominentesten Vertretern des Faches in der Bundesrepublik sondern auch zu den Verfechtern einer scharfen Trennung zwischen vorindustriellen und industriellen Formen der Arbeitsorganisation und der Formierung einer industriellen Arbeiterschaft. Der Wunsch bleibt freilich unerfüllt. Tenfelde befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Radikalität der Bergarbeiter und dem politischen Umfeld. Er kommt zu dem wenig überraschenden Resultat, dass das Konsensmodell der Nachkriegszeit einen befriedenden Einfluss ausgeübt habe.

Einzelne Artikel dieses Bandes leisten sicherlich einen wichtigen Beitrag auf ihrem jeweiligen Forschungsgebiet. Aufgrund der hohen Disparität ist eine Einordnung in einen überschaubaren Forschungsbereich nicht möglich.

Dietrich Ebeling, Bonn


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