ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Gerd Balko, Land in dunklen Zeiten. Erinnerungen eines Arbeiters, Westfälisches Dampfboot, Münster 2005, 392 S., kart., 29,80 €.

Anlässlich seines 70. Geburtstages lässt der aus kleinbäuerlichem Milieu stammende Arbeiter Gerd Balko sein Leben Revue passieren. Und er hat viel zu erzählen - beginnend mit Erinnerungen an die Kindheit in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in einem abgelegenen ostpreußischen Dorf über Erlebnisse in der Heimat, in Lettland und Litauen nach der Eroberung Ostpreußens durch die Rote Armee, die Vertreibung und den Neuanfang in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, die Flucht in den Westen und den anschließenden Einstieg in das Arbeitsleben zunächst als Landarbeiter und dann als Bergmann bis hin zu seinen Erfahrungen und politischen Aktivitäten als Werkseisenbahner und langjähriges Mitglied des Betriebsrats der Bremer Klöckner-Werke, die das letzte Drittel des insgesamt fast 400 Seiten umfassenden Bandes ausmachen.

Der politisch der linkssozialistischen Gruppierung ,,Arbeiterpolitik" nahe stehende Gewerkschafter Balko erzählt aus klassenkämpferischer Perspektive in der Absicht, ,,die abstrakte Geschichtsaufarbeitung zu ergänzen und ihr etwas Konkretes entgegen zu setzten", wobei er unter der Prämisse, dass ,,der Kampf um verbesserte Lebens- und Arbeitsbedingungen andauernd und gleichzeitig eine Auseinandersetzung um mehr politischen Einfluss (war)", vor allem ,,aufzuzeigen versucht, mit welchen Mitteln in den unteren Etagen gefochten wurde und wird."(S. 9) Aus dieser Sichtweise erklärt sich auch der auf den ersten Blick eher befremdlich wirkende Titel der Autobiografie, in der Balko ein streckenweise beklemmendes Gegenbild zur ,,Erfolgsgeschichte" der Bundesrepublik Deutschland zeichnet, wie sie seit geraumer Zeit vom Mainstream der deutschen Zeitgeschichtsschreibung und in den Medien präsentiert wird.

Balko macht es seiner Leserschaft allerdings schwer, die Konturen und Details dieses Gegenbildes zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzusetzen. Dass er ,,nicht die Fähigkeiten eines Schriftgelehrten besitze", wie er sich in der Einleitung unter Verweis auf seine kurze und unzureichende Schulbildung bei seinen Lesern entschuldigt, ist dafür nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist vielmehr, dass die Schilderung persönlicher Erlebnisse immer wieder zu Belegen für die Benachteiligung und ungerechte Behandlung von Menschen aus ,,den unteren Etagen" der Gesellschaft ,aufgemotzt' wird, obwohl es sich häufig um eher alltägliche und selbst aus klassenkämpferischer Perspektive belanglose Begebenheiten handelt (z.B. die ,,Schulprobleme", S. 16ff.). Dies ist weniger dem Autor anzulasten, der offenkundig bereit war, sehr offen über seine zurückliegenden 70 Lebensjahre Rechenschaft abzulegen. Der Vorwurf richtet sich vielmehr an die Freunde, die ihm zuredeten, seine Autobiografie zu schreiben, und dann damit anscheinend allein gelassen haben. Und er richtet sich vor allem an den Verlag, der es versäumte, ihm mit einem Lektorat zur Seite zu stehen und einige sprachliche Fehlleistungen sowie sachliche Fehler richtig zu stellen. Zudem wurde das Buch typografisch einfallslos gestaltet und mit nur wenigen kleinformatigen Bildern aufgelockert. Gerd Balko hätte ein besseres Lektorat verdient, denn als Zeitzeuge des halben Jahrhunderts nach Ende des Zweiten Weltkriegs und aufgrund seiner Lebensleistung hat er von interessanten Einblicken zu berichten. Sein Buch stellt daher eine gute Quelle für eine alternative Geschichte der Bundesrepublik dar.

Karl-Ludwig Sommer, Oldenburg


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