ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Karlheinz Bentele/Renate Faerber-Husemann/Fritz W. Scharpf/Peer Steinbrück (Hrsg.), Metamorphosen. Annäherungen an einen vielseitigen Freund. Für Horst Ehmke zum Achtzigsten, Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2007, 349 S., geb., 19,90 €.

Wer ist Ehmke? In nicht weniger als 46, meist fünf bis zehnseitigen Beiträgen wird in dieser Festschrift zum 80. Geburtstag Horst Ehmkes dieser Frage nachgegangen. Die Titelmetapher der ,,Metamorphosen" ist dabei passend gewählt. Nur wenige deutsche Nachkriegspolitiker haben solche Wandlungsprozesse erfolgreich und größtenteils gewollt absolviert wie der Jubilar. Deutlich wird in den Beiträgen, dass Ehmke trotz der häufigen Wandlungen nie ein Chamäleon war. Immer stand er zu seiner Meinung und seit nunmehr über 60 Jahren ist er Sozialdemokrat. Diese Zeitspanne bildet dann auch den zeitlichen Rahmen der meisten Beiträge. Neben seiner Persönlichkeit bilden die wichtigsten Tätigkeiten Ehmkes, die er in jenen knapp sechs Jahrzehnten ausübte - Professor für Staatsrecht, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Freiburg, Abgeordneter des Deutschen Bundestages, Staatssekretär unter Gustav Heinemann, Bundesminister der Justiz, Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister für Forschung, Technologie sowie das Post- und Fernmeldewesen, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Parteivorstandsmitglied, Bestsellerautor -, den Inhalt der meisten Beiträge. Diese sind nach Ehmkes zentralen Tätigkeitsfeldern in Oberthemen geordnet: Wissenschaft, Politik und Kunstfreund/Literat. Ehmkes politisches Wirken wird wiederum in seine Arbeit als Regierungsmitglied, als Sozialdemokrat sowie als Parlamentarier und Außenpolitiker unterteilt. Die Autoren sind, passend zu Ehmke, vielfältig zusammengesetzt: Vom Studenten zum Professor, vom Kommunalpolitiker bis zum ehemaligen Bundespräsidenten. Einige Beiträge erscheinen recht kurz, was bei der Vielzahl der Texte nicht verwundern kann. Allerdings hätten weniger und längere Beiträge nicht diese Vielseitigkeit Ehmkes aufzeigen können.

Mit dem einleitenden Beitrag der Journalistin und Mitherausgeberin Renate Faerber-Husemann wird eine Zusammenfassung von Ehmkes bisherigem Leben und Wirken gebracht, die für den Leser nützlich ist. Sie dient dem Leser als Leitfaden für die kommenden Beiträge. Auch geht die Autorin in diesem längsten Beitrag des Bandes als einzige auf Ehmkes Lebensweg vor Gründung der Bundesrepublik ein. Peter Häberles Beitrag zu den rechtswissenschaftlichen Schriften Ehmkes ist eher als Forschungsbericht gehalten und stellt mit seinem umfangreichen Fußnotenapparat sicherlich den am stärkten wissenschaftlich orientierten Beitrag dar. Ein besonderes Stück Zeitgeschichte wird im Artikel von Michael Nesselhauf zum Spiegel-Prozess und Ehmkes Rolle als Mitglied des Teams von Strafverteidigern dargestellt. Die restlichen Beiträge des Wissenschaftsabschnitts beleuchten Ehmkes Verhältnis zu Studenten und Kollegen sowie seine Stellung als junger, unkonventioneller Sozialdemokrat im ,,erzkonservativen" (S. 72) Freiburg.

Als Sohn eines Mediziners litt er aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft unter Vorurteilen altgedienter, traditionalistischer Sozialdemokraten. Der dadurch entstandene ,,Exotenstatus" (S. 20) Ehmkes in seiner eigenen Partei scheint in vielen Beiträgen des Politikabschnitts durch. Nicht umsonst beginnt Horst Ehmke selbst seine Autobiografie mit einer Begrüßung Herbert Wehners, die auf seine nicht-proletarische Herkunft abzielte: ,,Jetzt kommen schon die Renegaten." 1 Peter Conradi beschreibt in seinem Beitrag, dass es der junge, unkonventionelle Intellektuelle in den Anfangsjahren insbesondere in seinem damals traditionell-proletarisch geprägten Landesverband Baden-Württemberg schwer hatte (S. 188ff.).

Vergleichbar mit seinem politischen Mentor Carlo Schmid wurde eines der größten politischen Talente seiner Zeit von der eigenen Partei nie für eine bundespolitische Spitzenposition auserkoren. In diesem Zusammenhang hätten Helmut Schmidts, aber auch Herbert Wehners kritische Haltung gegenüber Ehmke einen eigenen Beitrag verdient gehabt. 2 Lediglich Klaus Harpprecht geht in seinem persönlich gehaltenen Brief an Horst Ehmke stärker auf diese problematische Konstellation ein, wenn er betont, dass Helmut Schmidt als Wirtschafts- und Finanzminister im ersten Kabinett Willy Brandts 1972 Ehmkes Austausch als Chef des Bundeskanzleramtes gefordert hat (S. 116ff.). Gleiches gilt für die ,,schwierige Kombination" von Fraktionschef Hans-Jochen Vogel und seinem Stellvertreter Ehmke in der Opposition, die außer im einleitenden Beitrag Faerber-Husemanns (S. 38) kaum erwähnt wird.

Die Rolle Ehmkes in der Parteiführung ohne originäre ,Hausmacht` ist ein weiteres wiederkehrendes Thema der Beiträge. Karlheinz Bentele bringt deren Quintessenz auf den Punkt, wenn er schreibt, dass Horst Ehmke nicht ,,schubladisierbar" (S. 160) sei, was es ihm in der SPD nie leicht gemacht habe. Gleichzeitig erwähnt Bentele jedoch auch die Vorteile dieser unabhängigen Haltung. Aus eigener Erfahrung betont er die wichtige Vermittlerfunktion, die Ehmke seit den späten sechziger Jahren für die immer stärker nach links abdriftenden Jusos im Hinblick auf die Kommunikation mit der Parteiführung einnahm. Ehmke habe sich den Diskussionen mit den Jungsozialisten nicht verschlossen, sondern versucht, diese argumentativ zu überzeugen. Zentral für seine Glaubwürdigkeit als Gesprächspartner sei gewesen, dass er, trotz Kritik gegenüber manchen Forderungen der Jusos, deren Belange immer ernst genommen habe. Auch wenn es ihm, wie nach seinem Grundsatzreferat ,,Die Generation, auf die wir gewartet haben" auf dem SPD-Parteitag 1968 in Nürnberg, die Missgunst des rechten Parteiflügels einbrachte.

Interessant sind vor allem jene Beiträge, die bislang vernachlässigte Aspekte des Wirkens von Hort Ehmke beleuchten. Die ehemalige Italien-Korrespondentin des Stern Birgit M. Kraatz hebt beispielsweise die massive Unterstützung der SPD für die Demokratisierung der Kommunistischen Partei Italiens im Zuge des Eurokommunismus hervor. Eine Spätfolge dieser Unterstützung, die maßgeblich von Horst Ehmke mitverantwortet wurde, ist die Wahl des ehemaligen kommunistischen Spitzenpolitikers Giorgio Napolitano zum italienischen Staatspräsidenten im Mai 2006. Die positive Rolle Ehmkes in diesem Transformationsprozess lobt das italienische Staatsoberhaupt anschließend in einem eigenen Beitrag. Überhaupt scheint in vielen Beiträgen Ehmkes außenpolitisches Talent hervor. Neben den Kontakten zu kommunistischen Parteien wird dabei vor allem Ehmkes enges Verhältnis zu den USA betont (vgl. die Beiträge von Norman Birnbaum und Dieter Dettke).

Immer wieder gibt es auch wertvolle Seitenblicke auf den Privatmensch Ehmke, die einen im Alltag an Politik und Kunst interessierten, diskussionsfreudigen, manchmal provokativen, aber nie verletzenden Menschen zeichnen. Insbesondere die wichtige Rolle seiner zweiten Ehefrau Maria, die auch den Anstoß zu dem vorliegenden Sammelband lieferte, wird dabei betont (so z.B. im Beitrag von Egon Bahr). Und auch die eher weniger bekannten lokalen/regionalen Aktivitäten Ehmkes werden gewürdigt. Hierzu zählen beispielsweise die Beschreibungen des überaus aktiven Wahlkämpfers Ehmke in seinem Stuttgarter Wahlkreis von Lothar Späth oder Peter Conradi bzw. für seinen Bonner Wahlkreis (ab 1980) von Bärbel und Jochen Dieckmann.

Einige Autoren verbinden ihren Artikel mit zukunftsweisenden Initiativen/Reformen, an denen Ehmke beteiligt war. Dadurch wird ein Bindeglied zur politischen Gegenwart hergestellt. Zu erwähnen ist hierbei vor allem der lesenswerte Beitrag des ehemaligen Forschungs- und Verkehrsministers Volker Hauff, der Ansätze vom aktuellen politologischen Konzept der ,,Good Governance" in der Zusammenarbeit mit Ehmke während seiner Zeit als Staatssekretär im Forschungsministerium erkennt. Im letzten Abschnitt, der Ehmkes Schriftstellertätigkeit und Kulturinteresse darstellt, ist vor allem die treffende Analyse der literarischen Qualität von Ehmkes Politkrimis durch Peer Steinbrück hervorzuheben.

Im Gegensatz zu einigen seiner ehemaligen Kollegen meidet Ehmke ständige Kommentare zur Situation von Partei und Regierung, obwohl es ihn sicherlich manchmal reizen würde. Er äußert sich in Form seiner Romane zu aktuellen politischen Fragen, zum Verständnis von Verfassung und Staat. Insbesondere in Steinbrücks Beitrag wird deutlich, dass diese intellektuelle, Talkshows meidende Herangehensweise Ehmkes Charakter entspricht.

Der Anhang des Buches enthält unter anderem die vollständige Bibliografie der Werke Horst Ehmkes - eine beeindruckende Anzahl, die abschließend die große Spanne seiner Arbeitsgebiete noch einmal vor Augen führt: Sie reicht von der Publikation seiner rechtswissenschaftlichen Dissertation ,,Grenzen der Verfassungsänderung" 3 aus dem Jahre 1953 bis zum Kriminalroman ,,Im Schatten der Gewalt" 4 aus dem Jahre 2006.

Alles in allem lässt sich konstatieren, dass der Sammelband glücklicherweise kein Konglomerat kurzer Hagiografien geworden ist. Die Persönlichkeit Ehmkes und sein Wirken werden durch die Vielfalt der Beiträge gefasst. Insbesondere seine Fähigkeit, sich immer wieder in neue Themengebiete und Tätigkeitsfelder einzuarbeiten wird eindrucksvoll geschildert. Ebenso wird sein hohes Maß an Intellekt gepaart mit einem zeitweise ausufernden Selbstbewusstsein deutlich. Die zahlreichen Annerkennungs- und Freundschaftsbekundungen im Buch zeigen dies. Respekt wird ihm dabei auch von (ehemaligen) politischen Kontrahenten bezeugt (Hans-Dietrich Genscher, Lothar Späth, Richard von Weizsäcker). Kritisch anzumerken ist, dass aus biografischen Gesichtspunkten auch Ehmkes Jugendjahre eine stärkere Bedeutung verdient gehabt hätten. Inwieweit die Erfahrungen als Kriegsteilnehmer und sowjetischer Kriegsgefangener (1943-1945) auf den späteren Politiker Ehmke gewirkt haben, bleibt weitgehend im Dunkeln. Dies gilt umso mehr, als Ehmke in seiner Autobiografie diesen frühen Lebensjahren ebenfalls nur einen eng begrenzten Raum widmet. 5

Ehmke ist, auch wenn er es vielleicht nicht gerne hört, eine wichtige Person der deutschen Nachkriegsgeschichte geworden. Dementsprechend leistet der Sammelband einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Biografie Horst Ehmkes und somit auch zur zeitgeschichtlichen Forschung. Besonders hilfreich scheint, dass bislang weniger beachtete Seiten des Jubilars (Wissenschaftler, Privatmensch, Kunstfreund) Beachtung finden. Durch die Vielfalt der Beiträge lässt sich nun ein detaillierteres Bild eines der Protagonisten der sozial-liberalen Ära zeichnen.

Fußnoten: