ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christopher Walsch, Die Afrikapolitik Frankreichs 1956-1990. Ideen, Strategien, Paradoxien (Afrika und Europa. Koloniale und Postkoloniale Begegnungen/Africa and Europe. Colonial and Postcolonial Encounters, Bd. 6), Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main/Berlin etc. 2007, 190 S., kart., 41,10 €.

In seiner im Jahr 2003 an der Universität Wien eingereichten Dissertation widmet sich Christopher Walsch, Politikwissenschaftler an der Corvinus Universität Budapest und an der Esterházy Károly Hochschule in Eger, der Entwicklung der Afrikapolitik Frankreichs im Zeitraum von 1956 bis 1990. Insgesamt betrachtet konzentriert sich der Autor dabei ,,auf die formative Zeit vor und nach 1960, als viele Staaten ihre politische Unabhängigkeit erreichten" (S. 17). Die Monografie beschäftigt sich geografisch, anders als der Titel zunächst vermuten lässt, nicht mit dem gesamten afrikanischen Kontinent sondern in erster Linie mit den französischen Einflussgebieten südlich der Sahara. Der gesamte nordafrikanische Raum mit Marokko, Tunesien und Algerien bleibt trotz seiner historischen Signifikanz mit prägnanten Ereignissen wie dem Algerienkrieg leider weitgehend unberücksichtigt und fließt nur stellenweise in die Analyse mit ein.

Die Arbeit will nach eigenen Aussagen zeigen, ,,wie das spät- und postkoloniale Frankreich in Afrika Macht sicherte und aufrecht erhalten konnte, welche Ideen und Interessen die französischen Politiker leiteten und welche Strategien sie daraus ableiteten" (S. 11). Walsch vertritt die These, dass sich die formal unabhängigen Staaten Afrikas in politischer und strategischer Hinsicht zum Aktionsraum französischer Politik entwickelten, in dem Frankreich weiterhin sein politisches Selbstverständnis von internationaler Größe aufrecht erhalten konnte. Erklärtes Ziel des Autors ist es, ,,die polierte Oberfläche politischer Rhetorik zu durchstoßen" und ,,Formen der Machtpolitik sichtbar zu machen" (S. 12). Methodisch bedient sich Walsch theoretischer Konzepte und Analysekategorien aus dem Bereich der Politikwissenschaften und verzichtet bewusst auf einen historischen Ansatz. Relevante Quellenbestände aus Archiven finden daher keine Berücksichtigung.

Die politikwissenschaftliche Ausrichtung wird bereits im ersten der vier Teilabschnitte deutlich, in dem der Autor verschiedene Modelle und Begriffe wie Realismus, Neoliberalismus, Dependenztheorie und Neokolonialismus kurz vorstellt. Ziel ist es, ein theoretisches Erklärungsmuster für das Verhältnis zwischen Frankreich und den neuen afrikanischen Staaten zu liefern. Der Leser wird dabei allerdings mit einer sehr schematischen Aneinanderreihung der verschiedenen Theoriemodelle konfrontiert, die kaum in Zusammenhang gestellt werden.

Die inhaltliche Auseinandersetzung beginnt in Kapitel II (S. 33-84), in dem die Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika im Rahmen des internationalen Systems untersucht werden. Ausgehend von der Erfahrung im Zweiten Weltkrieg, dass die Kolonien de Gaulle und dem Freien Frankreich als überlebenswichtiger Rückzugsraum dienten, schildert Walsch zunächst die Entwicklung von der ,,Französischen Union" nach 1945 bis hin zur Auflösung des französischen Kolonialreichs. Dabei vertritt er die These, dass Frankreich auch nach Abschluss der Dekolonisation den afrikanischen Kontinent weiterhin als wichtige strategische und wirtschaftliche Ressource betrachtete (S. 37). Die Regierung in Paris versuchte daher, sich mit einer Politik des kontrollierten Machtransfers auch weiterhin ein Maximum an Macht und Einfluss in den neuen unabhängigen Staaten auf dem afrikanischen Kontinent zu sichern. Als zentrale Strategie macht Walsch dabei die Maxime des ,,Teilen und Herrschen" (S. 49) aus, die im erfolgreichen Widerstand Frankreichs gegen afrikanische Föderationen ihren markanten Ausdruck fand. Als positiv gilt hier anzumerken, dass ein Perspektivwechsel vollzogen wird, wobei nicht nur koloniale Vorstellungen sondern auch ,,afrikanische Vorschläge" (S. 44) zur Sprache kommen. Insgesamt vermisst man aber in Kapitel II, vor allem angesichts der Überschrift ,,Frankreich und Afrika im internationalen System", eine stärkere Einbeziehung der anderen internationalen Akteure wie die beiden Supermächten USA und Sowjetunion sowie die Vereinten Nationen und deren Rolle als politische Einflussfaktoren.

Der dritte Teilabschnitt (S. 85-128) beschäftigt sich mit den Institutionen und politischen Kommunikationsabläufen, mit denen Frankreich seinen Einfluss in Afrika zu wahren versuchte. Nach einer etwas zu langatmigen Einführung in das französischen Präsidialregime stellt Walsch zunächst fest, dass das französische Regierungssystem den neuen afrikanischen Staaten weitgehend als Vorbild diente. Anschließend widmet sich der Autor dem institutionellen Rahmen der französischen Afrikapolitik in der Regierungszeit von de Gaulle bis Mitterand. Neben der Betonung der zentralen Rolle des Afrikasekretariats und des französischen Staatspräsidenten stellt die Arbeit vor allem die große institutionelle Kontinuitätslinie heraus: ,,Unter de Gaulle wurde die administrative Struktur aufgebaut, in der die Afrikapolitik der Fünften Republik verlief und die zum Großteil bis heute bestimmend ist" (S. 96). In diesem Zusammenhang geht der Autor schließlich im letzten Kapitel ,,Hinter verschlossenen Türen. Politische Kultur" (S. 129-141) noch darauf ein, wie die französischen Akteure im Rahmen dieses Institutionsgefüges agierten und es ihnen letztlich gelang, weiterhin großen Einfluss auf die Geschicke der unabhängigen afrikanischen Staaten auszuüben.

Der angestrebte Brückenschlag zwischen spät- und postkolonialer Machtpolitik Frankreichs in Afrika gelingt Walsch an verschiedenen Stellen, vor allem in Kapitel II. Allerdings wäre eine weniger schematische Darstellung zugunsten eines besseren Leseflusses wünschenswert. Problematisch ist ebenfalls die fehlende Einbettung der Analyse in den größeren Kontext der französischen Dekolonisation. Vor allem der Algerienkrieg als die bestimmende Determinante für die französische Innen- und Außenpolitik von 1954 bis 1962 sowie die Rolle internationaler Akteure wie die Vereinten Nationen und die antikoloniale Bewegung müssten stärker berücksichtig werden. Die Datierung der ,,Niederlagen in Indochina" auf das Jahr 1955 (S. 34) ist nicht nachvollziehbar, da der Konflikt in Südostasien für Frankreich bereits mit der Genfer Indochina Konferenz von 1954 beendet war. Die anfangs verwendete Terminologie der ,,pieds-noirs" und der ,,harkis" (S. 9) bezieht sich zudem nicht auf das ganze französische Kolonialreich, sondern ausschließlich auf Algerien.

Fabian Klose, Princeton


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