ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Dolores L. Augustine, Red Prometheus. Engineering and Dictatorship in East Germany 1945-1990 (Transformations. Studies in the History of Science and Technology), The MIT Press, Cambridge/Massachusetts, London 2007, 381 S., zahlreiche s/w-Abb., Farbbilderteil, $ 39,00.

Das Ziel dieser profunden, wegweisenden Studie über die politische Sozialgeschichte der wichtigen DDR-Techniker und Erfinder-Ingenieure besteht darin, die Interaktion von Elite-Angehörigen mit dem diktatorischen Regime darzustellen. Dieser Anspruch wird mit einem Schwerpunkt auf qualitativen, narrativen Quellen und der damit verknüpften eingehenden Darstellung von Techniker-Biografien im Verlauf ihrer auf Innovationsentwicklung ausgerichteten Professionalisierung erreicht. Darüber hinaus liefert dieses Grundlagenwerk einen umfangreichen quantitativen Teil über den Ausbildungsgang der Berufsgruppe und zeichnet sich schließlich auch durch zwei ergänzenden Schwerpunktanalysen von oral history- Interviews aus. Mehr an Methodenvielfalt und daraus resultierender Breite des Frageansatzes, der sich einerseits chronologisch und andererseits organisiert an forschungsrelevanten Themenfeldern entfaltet, kann man nach jahrelangen Recherchen auf diesem Gebiet, wie sie die Autorin erbracht hat, schlechterdings nicht leisten. Der Ertrag dieses Werkes rechtfertigt den Aufwand allemal.

Die Autorin hat ein sehr nachdenklich machendes Buch geschrieben, denn sie erklärt das technologische Scheitern der DDR als ein Fehlgehen auf lange Sicht, dem sich zahllose individuelle Berufsschicksale entgegen stemmten. Dem widerständigen Mitmachen von aufstiegsorientierten Modernisierern lag die Einsicht in eine prekäre Zeiterfahrung nach dem NS-Regime zugrunde. Sie schmiedete neue, brüchige gesellschaftspolitisch wirksame Koalitionen zwischen antagonistisch definierten Klassen, ohne den Graben zwischen dem Selbstbewusstsein der einen und der anderen, die die politische Macht usurpiert hatten, überwinden zu können.

Dazwischen lag auch die schmerzhafte Erfahrung der jüngsten deutschen Geschichte, lag die Angst vor politischem Machtverlust und letztlich auch vor unkontrollierbaren, auch kriegerischen Konflikten an der Frontlinie des Kalten Kriegs und schließlich der permanente Rechtfertigungszwang gegenüber dem alles kontrollierenden Sowjet-Regime der Besatzer und der immer präsenten ,,Freunde" in der DDR. Ohne Vertrauen in eine autonome Loyalität der Techniker/Erfinder, denen beileibe nicht alles egal war, was der DDR-,,Sozialismus" schuf, riss die SED aber mit dem einen Arm ein, was jene mit dem anderen aufgebaut hatten.

Augustine hat eine disziplinierte, chronologisch und thematisch auf zentrale Felder der Industriegeschichte der DDR abzielende Innovationsgeschichte aus der Sicht ihrer führenden Akteure in den wichtigsten Forschungsabteilungen der DDR geschrieben. Sie fokussiert auf die stilbildenden Besonderheiten der technologischen Leitsektoren aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: auf die Halbleiterproduktion, auf die Mikroelektronik, auf Laser, die Computer-Technologie und die Atomkraft. Visionäre Leitbilder kommen ebenso zu ihrem Recht wie die Praxis des Aushandelns von Entwicklungschancen in der politisierten Planbürokratie. Damit folgt sie konsequent der neueren Ausrichtung der internationalen Technikgeschichte auf eine Verknüpfung technologischer und sozialer sowie kultureller Entwicklungsfaktoren.

Die aus langjährigen Forschungen in Deutschland erwachsene Studie der New Yorker Geschichtsprofessorin beginnt mit einer komprimierten Begründung der leitenden Fragestellung, die gleichzeitig einen höchst lesenwerten Forschungsüberblick präsentiert. Sie fragt nach den Technologiepotenzialen der DDR und ihren Begrenzungen. Aus der ehemals weltweit führenden Technologielandschaft waren nur noch geplünderte Ruinen überkommen, in denen eine dennoch exzellent bleibende erste DDR-Forschergeneration den internationalen Anschluss suchte.

Anschließend entfaltet die Autorin ihren außerordentlich weittragenden, neuen Forschungsansatz einer auf die Führungsschicht der DDR-Erfindergeneration begrenzten Biographiegeschichte, die gleichzeitig als eine Technologiegeschichte und ihrer Aneignungsprozesse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschrieben wird. Sie verknüpft ihn mit der politischen Ereignisgeschichte, sofern diese die Lebensläufe dieser führenden Techniker-Generation in den knapp 45 Jahren der SBZ und späteren DDR betroffen hatte.

Dieser Teil der Darstellung beginnt mit dem ersten Kapitel über die in die Sowjetunion verschleppten, etwa 1.000 Spitzenforscher aus der Atomtechnologie, sie schließt dann an mit drei chronologischen Kapiteln über die politischen Veränderungen in den 1950er und 1960er Jahren, also den goldenen Jahren des DDR-Wirtschaftswunders nach 1953 und seiner ungekonnten Fortsetzung in den Wirtschaftsreformen des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) - der späten Ulbricht-Ära. In Kapitel 5 zeigt Augustine, wie stark einzelne, ganz besonders prominente Forscher unter Stasi-Druck gerieten, obwohl sie Spitzenleistungen erbrachten.

Kapitel 6 enthält die äußerst lesenwerte Darstellung der späten Technik-Utopien der DDR. Sie waren universal und menschheitsbeglückend angelegt und sie lieferten mit einer subtilen, massenpsychologisch ausgereizten Propagandatechnik in den pittoresken Mosaik-Comics einmalige Chancen zur Propagierung eines populären Techniker-Images. Diese Unterbrechung des biografiegeschichtlichen Zugangs belebt die Einordnung des gesellschaftsgeschichtlichen Kontextes über Technik-Diskurse in der DDR-Bevölkerung, vor allem auch durch die Präsentation besonders eindrucksvoller Comic-Farbbilder, aber dennoch kann dieser gesamte Problembereich damit nur angerissen werden.

In Kapitel 7 zeigt Augustine das ganze Potenzial einer neueren Gesellschaftsgeschichte im Schnittfeld von Biographie-, Politik-, Innovations- und Diskursgeschichte auf, indem sie die Ergebnisse ihrer quantitativen Recherchen im Zusammenhang mit dem qualitativen Ertrag eines begleitenden oral history-Projektes über die retrospektive Techniker-Erfahrung, auch in der gender-Perspektive, auswertet. Hierbei resümiert sie zentrale qualitative Ergebnisse, welche die neuere DDR-Erforschung substanziell bereichern. In der gender-Perspektive kann Augustine eine beeindruckende Aufholjagd der Frauen in Ingenieur-Berufen darlegen, wie sie die DDR positiv von der BRD abhob, wo noch in den 1970er Jahren nur zehn Prozent der Ingenieursstudierenden Frauen waren! Immerhin 15 Prozent der DDR-Ingenieurinnen schafften es in Spitzenpositionen der Industrie vorzudringen, während das im Westen eine verschwindend geringe Ausnahmeerscheinung blieb.

Generell blieb die Ingenieursausbildung auch in der DDR eine bildungsbürgerliche Domäne mit einer 70-prozentigen Selbstrekrutierungsquote aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss hatte (S. 269). Nur sechs Prozent hatten einen Arbeiterklassen-Hintergrund. Die Änderungen lagen also eher im endogenen Bereich der Klassenlagen und hier in der familiären Auffächerung des Berufszugangs auch für die berufstätige Ehefrau. Diese wurde dennoch im Babyjahr rigide diskriminiert und zwischen den beiden Karrierewegen, der individuellen in der Profession und der familiären als Mutter, entschieden sich die meisten für die letztere Option und damit zu Lasten des eigenen beruflichen Aufstiegs.

In Kapitel 8 beendet die Autorin ihr Buch mit einem langen Überblick auf das Scheitern der Mikroelektronik-Technologie am wichtigsten Innovationsstandort Jena, der neben dem traditionellen akademischen Zentrum an der TU Dresden eine selbst tragende Entwicklungs- und Innoavtionsdynamik erreicht hatte. Durch die extensive Militarisierung der Mikroelektronik, die seit 1976/77 zum wichtigsten Industrialisierungsprogramm der DDR aufgebaut worden war, verkümmerten jedoch ihre Innovationspotenziale. Dieses Scheitern war auch der ,,stasification of Zeiss" (S. 313) geschuldet, womit die Autorin ihr zentrales Erklärungsargument, dasjenige der irrwitzigen politischen Überformung von Technologiepotenzialen in der DDR-Ökonomie, erneut unter Beweis stellt.

Das Buch von Augustine hat das Zeug zum Standardwerk über die Technologiegeschichte der DDR, weil es diese aus der Sicht ihrer Akteure, jener Macher aus den Forschungszentren und Industrieunternehmen schreibt. Oftmals mit großem Genie und noch größerer Kompromissfähigkeit ausgestattet, meisterten sie den Spagat zwischen politischem Anspruch und Forscherdasein. Auch wenn es sich dabei um die Wenigen prominenten Eliteangehörigen handelt, deren Lebensläufe ausführlich in die Eckpunkte dieser Geschichte integriert werden und die dementsprechend auf eher höherem Niveau dem Druck der politischen Kontrollen ausgesetzt waren, lassen sich daraus die Parameter einer Gesellschaftsgeschichte ableiten. Sie beleuchten die Innensicht des Experiments Modernisierungs-Sozialismus Marke DDR, das, wie die Autorin zu Recht betont, immer auf Massenmobilisierung angelegt war. Darin lag möglicherweise die größte Chance, die Kohäsionskräfte in der DDR-Gesellschaft gegen den drohenden Verfall der diktatorischen Autorität der Parteistrategen abzusichern. Nicht zufällig kumulierte diese Ende der 1980er Jahre, als das Scheitern aller Hochtechnologie-Utopien offenkundig geworden war.

Der Ertrag dieses Buches liegt in der knappen Zusammenschau einer Vielzahl pointilistischer Ergebnisse über die Sozialgeschichte der Ingenieure in der DDR unter der Fragestellung nach ihrer bürgerlichen Modernisierungsstrategie entlang der Diktatur. Sie war und das ist das herausragende Ergebnis des Buches, über lange Strecken erfolgreich, weil sich die Protagonisten ihren eigenen Professionalisierungsstrategien zuordneten, die auf eine Ausweitung, nicht auf die Limitierung persönlicher Selbstverwirklichung abzielten. Dies ist trotz allem, was wir bislang über die DDR-Gesellschaftsgeschichte wissen, noch immer ein beeindruckender Befund, denn letztlich vermag er zumindest ansatzweise zu erklären, warum wir heute eine Bundeskanzlerin haben, die aus genau dieser sozialen Gruppe ihren Weg gemacht hat.

Georg Wagner-Kyora, Hannover


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