ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Werner Freitag/Katrin Minner (Hrsg.), Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 4), Mitteldeutscher Verlag, Halle 2004, 273 S., 30 s/w Abb., geb., 17,80 €.

Ein Foto des Kaiserbesuchs in Halle im Jahr 1903 ziert den Einband des Sammelbandes ,,Vergnügen und Inszenierung". Es zeigt das Kaiserpaar, in einer offenen, von vier Pferden gezogenen Kutsche, das zu den auf einer Tribüne sitzenden städtischen Honoratioren herüber grüßt - für die Zeitgenossen sicherlich der Höhepunkt in einer langen Reihe von Festen und Feiern im Leben ihrer Stadt. Feste und Feiern sind mehr als Marksteine städtischer Geschichte. Spätestens seit sie von der neueren Kulturgeschichte als Forschungsgegenstand entdeckt wurden, liefert die Analyse der Feste und Feiern Erkenntnisse auf zahlreichen Gebieten der historischen Forschung - nicht zuletzt im Bereich der modernen Stadtgeschichtsforschung. ,,Feste und Feiern gehören", so betonen die Herausgeber des Sammelbandes in ihrem Vorwort zurecht, ,,zu den Standardthemen der Geschichtswissenschaft" (S. 7).

Auf einem so gut erforschten Gebiet wie der Festforschung neue Akzente zu setzen, stellt deshalb kein leichtes Unterfangen dar. Die Herausgeber formulieren einleitend einen Fragenkatalog, der die Möglichkeiten stadthistorischer Festforschung umreißen soll. Die sozialintegrative Funktion von Festen wird dabei ebenso angesprochen wie ihre Rolle bei der Verfestigung sozialer Ungleichheiten. Darüber hinaus verweisen die Herausgeber auf die erinnerungskulturellen Dimensionen der Festforschung wie auch auf den Zusammenhang von Herrschaft, Stadt und Fest. Wünschenswert wäre allerdings eine intensivere Einordnung der von den Autoren gewonnenen Erkenntnisse in den Forschungskontext gewesen.

Die von den Herausgebern vorab auch etwas zu knapp formulierten ,,erkenntnisleitenden Aspekte" finden in den 17 Aufsätzen des an der Martin-Luther-Universität Halle entstandenen Sammelbandes jedoch nur in begrenztem Maße Berücksichtigung. Den Autoren, die meisten von ihnen studentische Teilnehmer/innen einer zweisemestrigen Lehreinheit, deren Ergebnisse der Band präsentiert, geht es auch eher um die exemplarische Darstellung von rund 350 Jahren Fest- und Feiergeschichte der Stadt Halle. Die thematische Schwerpunktsetzung der einzelnen Beiträge ist - schon durch den breiten zeitlichen Rahmen - sehr vielfältig. Zum Teil werden dabei gängige Festtheorien ,,vor Ort" überprüft, zum Teil beschränkt sich die Darstellung aber auch auf forschungsgesättigte Nacherzählungen von in Halle vorgefundenen Quellen. In der Regel stellen die Autoren einzelne Feste anhand von oftmals sehr interessanten (Schrift-)Quellen vor, zum Teil werden durch den ertragreichen Vergleich verschiedener, zeitlich aufeinander folgender Feste darüber hinaus Entwicklungen thematisiert. Weitgehend unberücksichtigt bleiben dagegen - anhand vorliegender Forschungsliteratur durchaus auch in kleinem Rahmen leistbare - Vergleiche mit Festkulturen in anderen Städten. Zudem wäre in den Beiträgen eine stärkere Gewichtung der Bedeutung des jeweils analysierten Festes von Vorteil gewesen.

Die zeitliche Bandbreite der vorgestellten Feste und Feiern reicht von der frühen Neuzeit bis in die Zeit der DDR. Christina Müllers Analyse der hallischen ,,Trinkstubenordnung" von 1568, die sie als vom Rat eingesetztes Instrument zur Reglementierung städtischen Lebens vorstellt, bildet den Auftakt des Sammelbandes. Hervorzuheben ist Andrea Thieles Beitrag über höfische Begräbnisfeierlichkeiten im städtischen Kontext: Die Autorin interpretiert die Feiern als ,,Konsensritual", das der Darstellung der Einheit des Herrschers und aller teilnehmenden städtischen Gruppen diente. Breiten Raum nehmen in dem Sammelband die bürgerlichen Feste des 19. Jahrhunderts ein. So vergleicht Veit Mühlbach die Reformationsfeiern von 1817 und 1841, Katrin Minner stellt die Feierlichkeiten anlässlich einer Ordensverleihung an Ludwig Wucherer, einen prominenten Bürger der Stadt, vor, und Angelika Salmen analysiert - auch mit Blick auf die Arbeiterschaft und deren Feste - die Schillerfeiern der Jahre 1859 und 1905. Tobias Kügler verbindet in seiner Darstellung städtischer Denkmalsfeiern den Blick auf die Feste mit dem auf den öffentlichen Raum und kommt so zu einer anschaulichen Analyse nationaler Gemeinschaftsstiftung auf lokaler Ebene. Die Beiträge von Robert Werner über den 1907 eingeweihten ,,Volkspark" als Ort proletarischer Festkultur, von Ronald Mecke über die Entwicklung der Feierlichkeiten am 1. Mai und von Steffen Mikolajczyk über den Besuch des Kaisers in Halle 1903 runden neben weiteren Aufsätzen das vielfältige Bild von Festen und Feiern in Halle im Kaiserreich ab. Schließlich stellt Katrin Minners Beitrag die Tausendjahrfeier Halles im Jahr 1961 vor, ein vom sozialistischen Zukunftsoptimismus und von massiver Propagandatätigkeit geprägtes Fest. Hier zeigt sich das Problem der Festforschung - beispielsweise bei der unzureichenden Thematisierung der ,,Träger des Festes" - noch deutlicher als in anderen Beiträgen des Sammelbandes: Nur vor dem Hintergrund genauer Kenntnisse über die städtische Gesellschaft des Untersuchungszeitraums lassen sich Feste ertragreich analysieren.

Bedauerlich ist die - durch die Entstehungsbedingungen im Universitätsseminar verursachte - Lücke, die der Sammelband zwischen Erstem Weltkrieg und DDR lässt. Analysen der Feste in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, möglicherweise ergänzt um eine Betrachtung gegenwärtiger Feste, wären jedoch bei einem umfassenden Blick auf die im Titel angekündigten ,,Stationen städtischer Festkultur in Halle" zwingend notwendig gewesen. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Forschungen, beispielweise im Rahmen eines neuen, ebenso begrüßenswerten Studienprojekts, hier anknüpfen können.

Philipp Springer, Berlin


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