ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Sebastian Weitkamp, Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der ,,Endlösung" (Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 77), J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2008, 491 S., geb., 48,00 €.

Die Diplomaten Eberhard von Thadden und Horst Wagner gehörten nicht zur ersten Reihe der Holocaust-Täter. Ihre Namen sind nur Spezialisten bekannt. Aber weil sie Teil der mittleren Ebene der Staatsbürokratie waren, sind sie umso repräsentativer für die Vielzahl derer, die an der Ermordung der Juden teilnahmen. Thadden und Wagner standen seit Frühjahr 1943 im Auswärtigen Amt an der Spitze der Gruppe Inland II, Letzterer als Gruppenleiter, Thadden als dessen Stellvertreter und ,,Judenreferent". Zusätzlich war Wagner mit der Verbindung des AA zur SS betraut, denn dies war die Hauptaufgabe seiner ,,Gruppe", während Inland I den Kontakt zur Partei und SA halten sollte. Beide ,,Gruppen" waren Nachfolger der Abteilung D, die nach dem Sturz von Unterstaatssekretär Martin Luther aufgelöst worden war.

Horst Wagner (1906 - 1977) entstammte einer Offiziers- und Beamtenfamilie. Er selbst legte der häuslichen Tradition aber wenig Ehre ein. Das Gymnasium verließ er ohne Abitur, nachfolgende Ausbildungen wurden nicht abgeschlossen. Wagner ging so weit, Zeugnisse zu fälschen, um doch noch eine berufliche Karriere starten zu können. Seine Chance kam, als er vermittels familiärer Beziehungen 1936 in die Dienststelle Ribbentrop eintreten konnte; bald darauf wurde er SS-Mitglied, erst 1937 auch der NSDAP. Von der Dienststelle gelangte er mit seinem Chef in das Auswärtige Amt und gehörte dessen persönlichem Stab an.

Eberhard von Thaddens (1909 - 1964) Aufstieg hingegen war konventioneller. Sein Vater war am Ende des Ersten Weltkriegs Oberst, musste aber 1919 den Militärdienst quittieren. ,,Sozial deklassiert und mit begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten ausgestattet, lebte die Familie in bescheidenen Verhältnissen." (S. 75) Dem Abitur schloss sich eine kaufmännische Lehre an, dem ein Jurastudium folgte, das er mit der Promotion beendete. Wie Wagner trat er 1936 in die Dienststelle Ribbentrop ein, wo beide sich zwar nicht anfreundeten, aber doch bis zum persönlichen ,,Du" vordrangen. Seit 1933 war Thadden Mitglied der NSDAP, 1936 auch der SS.

1943 holte Horst Wagner nach der Ernennung zum Gruppenleiter den alten Bekannten Thadden, zu dieser Zeit in Griechenland Dienst tuend, nach Berlin zurück, um einen qualifizierten Beamten an seiner Seite zu haben. Trotz aller Angeberei hinsichtlich seiner Qualifikationen erkannte er, dass er alleine die Gruppe nicht führen konnte. Fortan kamen wichtige inhaltliche Stellungnahmen und Initiativen vom Untergebenen, wie Weitkamp zeigen kann. Zuständig wurde Thadden für die ,,Judenfrage", weshalb er fortan im AA (und in der wissenschaftlichen Literatur) ,,Judenreferent" genannt wurde.

Weitkamp untersucht beider Wirken in drei Arbeitsbereichen: ,,Gesamtabschirmung der Judenmaßnahmen" gegenüber dem Ausland, d. h. propagandistische Verschleierung der Ermordung; ,,Unterstützung der Judenmaßnahmen" (,,Heimschaffung" ausländischer Juden im Falle neutraler Staaten, ,,Antijüdische Auslandsaktion", Mitwirkung an der Deportation der ungarischen Juden 1944); schließlich die Ermordung des französischen Generals Maurice Mesny, der sich in deutscher Kriegsgefangenschaft befand. Detailliert geht Weitkamp auch auf das Nachkriegsschicksal von Wagner und Thadden ein. Während Ersterer 1948 über Italien nach Südamerika floh, jedoch 1956 freiwillig zurückkehrte, blieb Thadden im Land. Beide wurden Objekt strafrechtlicher Untersuchungen, aber nie rechtskräftig verurteilt. Thadden starb 1964 bei einem Autounfall, Wagner 13 Jahre später, als sein Prozess immer noch lief.

Mit seiner detaillierten Untersuchung des Wirkens beider in der Gruppe Inland II leistet Weitkamp einen wichtigen Beitrag zur Frage nach der Verantwortung des Auswärtigen Amtes für den Holocaust, und zugleich geht er Thaddens und Wagners Motiven für die Beteiligung an der Verfolgung und Ermordung der Juden nach. Zudem erhellt er an einem konkreten Beispiel die vielfältigen Schwierigkeiten einer Verfolgung (vermutlicher) NS-Täter nach 1949.

Weitkamps parallele Untersuchung von Wagner und Thadden zeigt, dass die lange Jahre verbreitete Ausrede, im Auswärtigen Amt seien nur die aus der NSDAP ins Ministerium gelangten neuen Mitarbeiter, Außenseiter also, aktiv an der Verfolgung und Ermordung der Juden beteiligt gewesen, unhaltbar ist. Sowohl der NS-Karrierist Wagner als auch der Laufbahndiplomat Thadden waren mit Eifer bei der ,,Sache". Auch ihre Kollegen verhielten sich nicht anders. Und dennoch: Ein besonders ausgeprägter, über das bereits vor 1933 in vielen konservativen Kreisen verbreitete Maß hinausgehender Antisemitismus war weder dem einen noch dem anderen zu eigen. Um so wichtiger ist die Frage nach dem Warum. Thadden und Wagner waren keine Weltanschauungstäter wie der SS-Ideologe Werner Best, über den Ulrich Herbert geschrieben hat, aber auch nicht einfache Befehlsempfänger. Weitkamp plädiert am Ende seiner überzeugenden Arbeit für neue Täterkategorien. Für den im Grunde unpolitischen Wagner kommt der Autor zu seiner eigenen Überraschung zum Schluss, dass dieser ,,nicht mehr und nicht weniger als ein hemmungsloser Karrierist [war]. Eine derart monokausale Erklärung erscheint zu einfach, aber es lassen sich keinerlei andere Motivationen feststellen." (S. 447) Womit er seinen Weg nach oben fortsetzen konnte, war Wagner gleichgültig. Thadden hingegen war früh politisch interessiert, trat in seiner Jugend der DNVP bei. Aus dieser Zeit rührten seine Ressentiments gegen Juden, ,,und das innere moralische Marschgepäck, mit dem er seine Stelle antrat, war inhaltlich deutlich gegen jüdische Menschen ausgelegt und führte dazu, dass er seinen Posten anschließend pflichtbewusst und engagiert wahrnahm." (S. 449) Eines kam aber noch hinzu: Gerade weil Thadden zumindest in Grundzügen von der Ermordung der Juden wusste, betrachtete er sie ,,als ein Element des Widerstandes gegen Deutschland'" (S. 448), das die Sicherheit des Reichs bedrohte. Dies war die gedankliche Brücke, die Thadden das Mittun am Holocaust eröffnete. Natürlich ist dies ein Zirkelschluss, aber dennoch wichtig zum Verständnis von Thaddens Haltung, die viele Angehörige der Staatsbürokratie mit ihm teilten. Die Gruppe Inland II stand im Auswärtigen Amt nicht alleine. Nur die Rechtsabteilung sprach sich oft gegen Deportationen aus, weil sie möglichst viele Juden als Austauschobjekt für Auslandsdeutsche brauchte. Mit einem Gegensatz zwischen Diplomaten ,,alter Schule" und NS-Aufsteigern hatte dies aber nichts zu tun.

Nach Kriegsende haben weder Wagner noch Thadden Verantwortung für ihre Taten übernommen. Beide suchten nach Ausflüchten, die sie bald selbst glaubten, auch weil sie in ihrer Haltung durch frühere Kollegen bestärkt wurden. Zu einer Rückkehr in den diplomatischen Dienst kam es immerhin nicht. Thadden fand eine besser dotierte Beschäftigung in einem Unternehmen, Wagner hatte sich durch die Flucht diesen Weg verbaut. Unterstützung in finanzieller und in rechtlicher Hinsicht fand Wagner nach der Rückkehr bei Ernst Achenbach, der im besetzten Paris an Judendeportationen beteiligt gewesen war. Nach 1945 wurde Achenbach zu einer der führenden Figuren der FDP Nordrhein-Westfalens, gehörte von 1957 bis 1976 dem Bundestag an und wäre 1970 beinahe von der sozial-liberalen Bundesregierung zum EG-Kommissar gemacht worden. Während all dieser Jahre bemühte er sich, die Strafverfolgung von Nazitätern zu behindern, wie Weitkamp schildert. Eine Biographie dieser 'schillernden' Persönlichkeit ist überfällig.

Bernd Rother, Berlin


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