ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michael Uhl, Mythos Spanien. Das Erbe der internationalen Brigaden in der DDR, J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2004, 556 S., broschiert, 29,80 €.

Michael Uhls Dissertation behandelt bei weitem nicht nur das Erbe der Interbrigadisten in der DDR, sondern ausführlich auch die Geschichte der deutschen Kämpfer der Internationalen Brigaden während des Bürgerkrieges und unmittelbar danach. Umfangreiche Abschnitte des Buches sind biografische Skizzen zu Spanienkämpfern (und -kämpferinnen). Im ersten Teil untersucht Uhl nach kurzen Abrissen zum Bürgerkrieg und zu den Internationalen Brigaden insgesamt die deutschen Freiwilligen der Brigaden. Das wichtigste Ergebnis ist, dass er für sie eine realistische Zahl ermitteln konnte. Statt der von der DDR gerne verbreiteten und in vielen Publikationen wiederholten 5.000 deutschen Interbrigadisten kommt er auf eine Zahl von 2.800 bis 3.000, zu denen noch etwa 400 bis 500 deutsche Freiwillige außerhalb der Internationalen Brigaden, also in den anarchistischen Milizen, in den bewaffneten Gruppen der Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM) usw., hinzutreten. Die allermeisten der etwa 3.000 Interbrigadisten waren Arbeiter, zwischen 20 und 35 Jahre alt und Kommunisten.

Der zweite, weitaus umfangreichere Teil des Buches (400 Seiten) steht unter der Überschrift ,,Die Rolle der ehemaligen Spanienkämpfer und das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR". Er zerfällt in die Abschnitte A und B: ,,Das Schicksal der ehemaligen Spanienkämpfer nach 1945 in Ostdeutschland" und ,,Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR". Letzterer Teil, der als einziger das Thema des Buches, wie der Titel es ankündigt, behandelt, umfasst 170 Seiten, also ein Drittel des Werkes. Aber auch hier stoßen wir auf 30 Seiten biografischer Skizzen (über Hans Beimler und Artur Becker). Tatsächlich also ist Uhls Buch eine - verdienstvolle - Zusammenstellung der Lebensläufe prominenter (und einiger weniger bekannter) deutscher Interbrigadisten, mit Schwerpunkten auf ihrer Zeit in Spanien und ihrem späteren Schicksal in der DDR.

Zwar liefert Uhl kaum die aufgrund des Titels erwartete kultursoziologische Untersuchung zum ,,Mythos Spanien", um so mehr aber reiches, manchmal gar überreiches Material zum Umgang der DDR mit den Spanienkämpfern und mit der Geschichte der Internationalen Brigaden. Dem Autor gelingt es, gleich mehrere in der bisherigen Historiografie verbreitete Fehleinschätzungen zu widerlegen. Im ersten Teil der Arbeit und auch in den über das ganze Buch verstreuten Biografien kann er überzeugend darlegen, dass nicht die späteren Spitzenfunktionäre der DDR wie Mielke, Zaisser oder Ulbricht (der in Spanien gewesen war, aber nicht als Interbrigadist) die Verantwortung für politische Repression innerhalb der Internationalen Brigaden trugen, sondern heute kaum noch bekannte Kämpfer. Nicht dass Mielke etc. dazu nicht bereit gewesen wären, aber dies gehörte nicht zu ihren damaligen Aufgaben. Falsch, so Uhl, ist damit auch der manchmal (z. B. von Alfred Kantorowicz) erweckte Eindruck, die ehrlichen Frontkämpfer der Brigaden hätten sich nicht an der stalinistischen Repression beteiligt, sondern nur in der Etappe agierende leitende Funktionäre der KPD und der Komintern.

Der von der DDR konstruierte und gepflegte Mythos hatte als einen zentralen Aspekt die Überhöhung der Spanienkämpfer in allen Belangen. Uhl kann aufgrund umfangreicher Archivstudien - von Salamanca bis Moskau - zeigen, dass auch die Internationalen Brigaden von Erscheinungen nicht verschont blieben, die in allen Armeen vorkommen, wie Desertion, Disziplinlosigkeit und unfähige Vorgesetzte. Im Nachkriegsteil von Uhls Biografien fällt die häufige Erwähnung von Alkoholproblemen ehemaliger Interbrigadisten auf, ohne dass der Autor dies gesondert thematisiert.

Als falsch erweist sich nach den Recherchen für dieses Buch auch die Ansicht, die Spanienkämpfer in der DDR seien in den stalinistischen Verfolgungen bis 1953 besonders gefährdet gewesen. Sie waren davon nicht mehr (aber auch nicht erkennbar weniger) betroffen als andere Gruppen. Partiell erklärt sich dies durch die weitgehende Linientreue der Spanienkämpfer über all die Jahre und Jahrzehnte hinweg (obwohl bekanntlich auch dies bis 1953 nicht grundsätzlich vor Repression schützte). Die fast nahtlose Übereinstimmung der ehemaligen Interbrigadisten mit der Politik ihrer Parteiführung - der einige ja angehörten - hatte als Nebeneffekt, dass eine Zensur ihrer Veröffentlichungen nicht erforderlich war. Man wusste auch so, was man sich selbst und der Partei an Wahrheit zumuten konnte.

In der Selbstdarstellung und in der Legitimierung der DDR spielte der Kampf der Interbrigadisten eine große Rolle, stärker anscheinend als in anderen Ostblockländern, mit denen Uhl jedoch mangels Forschungen dazu keinen Vergleich durchführen konnte. Indizien weisen aber in eine klare Richtung: Gab es noch einen kommunistischen Staatschef, der am Grab eines Interbrigadisten auf die Knie fiel, wie dies Honecker 1988 zu Ehren Hans Beimlers in Barcelona tat? Mag sein, dass auch hier die einzigartige Konkurrenzsituation zu einem gleichsprachigen Nachbarn durchschlug: In der Bundesrepublik war lange Zeit die Legion Condor deutlich besser angesehen als die Internationalen Brigaden. Aber auch in der DDR dauerte es, bis der Mythos der Internationalen Brigaden, der schon die Zeitgenossen beeindruckt hatte, voll zum Tragen kam. Höhepunkt waren die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag des Franco-Putsches. Massenwirksam aber war die Traditionspflege kaum, und je mehr Zeit vergangen war seit dem Ereignis, desto weniger. Zu sehr erstarrte der Kult, zu wenig lebendig und wirklichkeitsnah waren die Schilderungen. ,,Es wurden Antworten gegeben, ohne dass Fragen gestellt wurden." (S. 502). Dies gilt, so Uhl, auch für die DDR-Historiografie zum Spanischen Bürgerkrieg, die erschreckend schwach war.

Am Ende der Lektüre von 510 Seiten hat man den Eindruck, nun wirklich jeden Fakt, jede Akte kennen gelernt zu haben - und dennoch: Fragen bleiben offen. Dem Werk fehlt die konzeptionelle, theoretische Durchdringung des Stoffes. Dass für ,,Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit" nur zwei Seiten übrig blieben und die Zusammenfassung sich auf fünf Seiten beschränkt, ist deutliches Indiz dafür. Leider überzeugt das Buch auch stilistisch nicht immer. Und schließlich sollte gerade eine Publikation mit einem hohen biografischen Anteil ein Personenregister enthalten, von einem - in angelsächsischen Büchern selbstverständlichen - Sachregister ganz zu schweigen.

Bernd Rother, Berlin


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