ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

John R. McNeill, Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert. Aus dem Engl. von Frank Elstner. Mit einem Vorw. von Paul Kennedy, Campus-Verlag, Frankfurt/Main etc. 2003, 496 S., geb., 14,90 €.

Die im Jahr 2000 unter dem Titel ,,Something New Under the Sun" erschienene Monografie von John McNeill liegt seit 2003 nun auch in deutscher Sprache vor und seit 2005 auch als Lizenzausgabe bei der Bundeszentrale für Politische Bildung. Dabei suggeriert der Titel der deutschen Ausgabe ,,Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert" etwas gänzlich anderes als das englische Original, im Übrigen ein abgewandelter Vers (,,Nichts Neues unter der Sonne") aus dem Alten Testament. Passend zum deutschen Titel scheint vor allem der blaue Planet auf dem Cover des Buches zu sein.

Eine Umweltgeschichte des 20. Jahrhunderts zu schreiben, stellt an sich schon eine große Herausforderung dar. Wie und in welcher Form dies McNeill, der Geschichte an der Georgetown University lehrt, gelingt, nötigt dem Leser einigen Respekt ab. Gerade deshalb fragt man sich jedoch bei der Lektüre, weshalb der Autor zur Unterfütterung seiner durchaus überzeugenden Eingangsthese ausgerechnet und insbesondere zu Beginn des Buches Kapitel wie ,,Das Bevölkerungswachstums seit 10 000 v. Chr." benötigt. Zu der zentralen These des Werkes, dass ,,das 20. Jahrhundert hinsichtlich der Intensität der ökologischen Veränderungen aus dem Rahmen fällt" und dabei vor allem das menschliche Tun eine zentrale Rolle spielt, ließe sich auch eine treffliche Anzahl anderer Beispiele aus verschiedenen Jahrhunderten anführen, wie dies in anderen Kapiteln des Buches geschieht. Doch dies sind nur Marginalien in einem schlüssigen Gesamtensemble, das insgesamt sehr überzeugend ist.

McNeill versteht Umweltgeschichte vor allem als die Geschichte der natürlichen Umwelt, also folglich vor allem des Bodens, des Wassers und der Luft, welche dem stetigen Wandel unterliegen. Doch auch die anthropogenen Ursachen und Folgen dieser Veränderungen kommen dabei nicht zu kurz. So hat der Autor eine integrierte Umweltgeschichte verfasst, die für ihn auch sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte umfasst. Erst in ihrem wechselseitigen Zusammenspiel können Umweltgeschichte und die sozioökonomische Geschichte der Menschheit vollständig verstanden werden. Dies trifft insbesondere auf Energie- und Ressourcenfragen zu. In der Annahme der endlosen Verfügbarkeit preiswerter Energie (vor allem fossiler Energieträger seit ca. 1820 und Wasser seit dem 19. Jahrhundert), gepaart mit raschem Bevölkerungswachstum und schnellem Wirtschaftswachstum erblickt McNeill langfristige Trends, die, wenn sie als gegeben und dauerhaft sicher betrachtet werden, ein erhebliches Risiko in sich tragen. Kurzfristig sind diese Ausgangsbedingungen durchaus attraktiv und vor allem Gewinn bringend für viele Teilnehmer marktwirtschaftlich organisierter Gesellschaftsordnungen. McNeill, und dies ist gleichzeitig eine der Grundthesen des Buches, unterschätzt dabei nicht die wichtigen Beschleunigungs- und Dynamisierungsprozesse, von denen die Umwelt im 20. Jahrhundert auf besondere Weise geprägt und betroffen war.

Da McNeill kaum eine Gelegenheit auslässt zu betonen und empirisch zu belegen, dass eine Umweltgeschichte des 20. Jahrhunderts immer auch eine Verschmutzungsgeschichte ist, verleiht dies dem Buch einen pessimistischen Unterton. Insbesondere die Kapitel drei, vier und fünf handeln von der urbanen wie regionalen und zuletzt globalen Luftverschmutzung, während im fünften Kapitel insbesondere auf die Nutzung und Verschmutzung des Wassers eingegangen wird. Diese Feststellungen sind jedoch wenig überraschend, da sie zum festen umweltgeschichtlichen Kanon gehören. Dennoch irritiert dieses Urteil vor dem Hintergrund der Eingangs erwähnten Absicht, sich mit Werturteilen zurückzuhalten und dem Leser eben nicht zu sagen, was er denken soll (S. 15f.). Besonders überzeugend und vor allem dicht argumentiert McNeill in Kapitel eins, in dem er in einem kurzen historischen Längsschnitt den Zusammenhang von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums sowie dem steigenden Energieverbrauch unterstreicht. All dies sind für sich genommen keine sonderlich neuen Erkenntnisse, aber wie McNeill sie miteinander in Beziehung setzt und wie er, vor allem im Abschnitt über die Geschichte der Energie, das 20. Jahrhundert als verschwenderisches Jahrhundert charakterisiert, all dies hat es bisher allenfalls in der Studie von Vaclac Smil ,,Energy in World History" (Boulder 1994) gegeben.

Für die Umweltgeschichte des 20. Jahrhunderts scheint nicht nur die Verschiebung zugunsten fossiler Energieträger um 1820 strukturell von großer Bedeutung gewesen zu sein, sondern auch die Verlagerung innerhalb dieses Übergangs von Kohle zu Erdöl. Der Siegeszug des Öls seit 1930 als Haupttreibstoff für das Transportwesen und Ende der 1950er-Jahre als wichtigstem Energieträger für die Industrie, stellt einen, wenn nicht das zentrale Moment für die ökologische Geschichte des 20. Jahrhunderts dar. Mit der ersten Ölfontäne, der massenhaften Erschließung von Ölfeldern (erstmals in größeren Dimensionen 1901 in Texas) und dem damit verbundenen Zugang zu billiger Energie war der Mensch verstärkt dazu in der Lage, die Umwelt in einem gewaltigen Ausmaß zu verändern. Auch Kritiker, wie im Fall von Texas die Huastec- und Totonac-Indianer oder der Ogoni-Stamm im Nigerdelta in den 1960er Jahren, die gegen die Bohrungen zu Felde zogen, konnten diese nicht verhindern und wurden in der rauschhaften Atmosphäre auf der Suche nach Öl, bzw. von der korrupten nigerianischen Militärregierung kaum gehört oder gar in Schauprozessen für ihren Widerstand hingerichtet. Das Bohren nach Öl war in diesen Tagen eine ,,schmutzige Angelegenheit", dennoch belastete das verbrannte Öl die Umwelt im 20. Jahrhundert weniger als verbrannte Kohle. Insgesamt jedoch, so folgert der Autor, hat Erdöl mit dem Transportwesen, den Erzeugnissen der Petrochemie und seinen verschiedenen technischen Anwendungen vom Rasenmäher bis zum Kraftwerk insgesamt einen ,,größeren Abdruck in der Umwelt" hinterlassen, als nur Schäden, die durch die Förderung und den Transport entstanden sind.

Den wichtigen Zusammenhang zwischen Technik und Umwelt verdeutlicht McNeill anhand dreier Beispiele: der Kettensäge, dem Auto und dem Kernreaktor. Sicher könnte man diese Liste noch um einige Beispiele, nicht zuletzt um die Eisenbahn, erweitern. Alle drei zeigen jedoch, wie nachhaltig die Technisierung der Lebens- und Arbeitswelt die Umwelt geprägt haben. Für den aussichtsreichsten Kandidaten auf den Titel des ,,folgenreichsten technischen Produkts des 20. Jahrhunderts" hält McNeill das Auto. Doch auch die Kettensäge zählt er zu der Gruppe kleiner technischer Erfindungen, die oft geringfügig, aber, mit der durch sie wesentlich beschleunigten Abholzung des Regenwaldes, doch auf entscheidende Weise die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert geprägt haben.

Das Buch endet mit einem Epilog, der die einfache und zugleich komplizierte Frage ,,Was nun?" im Titel trägt. Darin hält McNeill ein Plädoyer für die Umweltgeschichte und auch für eine Geschichtsschreibung, die ohne den Faktor Ökologie kaum mehr auskommt. Die Forderung nach der Integration beider Wissensgebiete, so der Autor weiter, würde eine moderne Historiografie auszeichnen. Ob dem so ist, darüber ließe sich sicher trefflich streiten. McNeill hat seine eigene Forderung jedenfalls für das 20. Jahrhundert sehr gut umgesetzt.

Hendrik Ehrhardt, Jena


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