ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Müller, Werner, Die Interzonenkonferenzen der deutschen Gewerkschaften 1946-1948 (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert, Bd. 14), J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2007, 519 S., geb., 48,00 €.

Quelleneditionen sind nicht nur hilfreiche Serviceleistungen, die zeitintensive Recherchen in Archiven ersparen. Sie sind auch aufwendig in Konzeption und Erstellung. Die Anerkennung für jeden, der sich diese Arbeit macht, sei dieser Besprechung ausdrücklich vorangestellt. Der von Werner Müller vorgelegte Band zu den Interzonenkonferenzen der deutschen Gewerkschaften enthält mehr als 100 Dokumente aus drei deutschen Archiven bzw. Bibliotheken (Berlin, Bonn, Hamburg) im Zeitraum Juni 1946 bis Januar 1949, die durch eine 40-seitige wissenschaftliche Einleitung kontextualisiert werden. Bei den Dokumenten handelt es sich vorrangig um Protokolle der neun Interzonenkonferenzen der gewerkschaftlichen Bünde (1946-1948) und damit verbundener Treffen (Ausschusssitzungen, Arbeitstagungen, Zusammenkünfte von Einzelgewerkschaften), die durch Referate, Rundschreiben, Briefe, Berichte, Entwürfe und Pressemitteilungen ergänzt werden. Die Edition ist durch ein Personen-, Orts- und Sachregister sowie durch eine chronologische Aufstellung der Dokumente in Tabellenform erschließbar, zudem enthält sie einen weiterführenden und biografischen Anmerkungsapparat. Sie erfüllt damit zweifelsohne alle Anforderungen an eine kritische bzw. wissenschaftliche Edition und reiht sich qualitativ nahtlos in die von Klaus Schönhoven und Hermann Weber herausgegebene Reihe ein.

Bisherige gewerkschaftsgeschichtliche Editionen für den Zeitraum nach 1945 konzentrierten sich hauptsächlich auf die Entwicklung in Westdeutschland. Dass dies bei den Interzonenkonferenzen schlechterdings möglich ist, liegt auf der Hand. Allerdings ergänzt Werner Müller damit auch das Bild der gewerkschaftlichen Entwicklung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg um einen wichtigen Aspekt. Schließlich verdeutlichen diese Dokumente nicht nur die inhaltlichen Überlegungen und Schwerpunkte des gewerkschaftlichen Neuanfangs, sondern auch die ,,Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen" in Form von Initiativen zur Zusammenarbeit in einer Phase der voranschreitenden deutschen Teilung. Die Neugründung der Gewerkschaften erfolgte im jeweiligen zonalen Rahmen mit dem Anspruch der Integration in den gesellschaftlichen und politischen Aufbau. Eine deutschlandweite Koordination war von den Besatzungsmächten nicht intendiert, entsprechende Kontakte konnten jedoch auch nicht unterbunden werden. Allerdings waren es aber genau jene Zonengrenzen, die die ideologischen Grenzen zwischen Ost und West determinierten und das Scheitern des Vorhabens einer deutschlandweiten Einheitsgewerkschaft wesentlich beeinflussten. Zwar verstanden sich die Interzonenkonferenzen als Foren und Organisationsplattform ,,für die Wiederherstellung der nationalen Gewerkschaftseinheit" (S. 7), ihre blockübergreifenden Handlungsspielräume blieben jedoch stark begrenzt und stets in das politisch-strategische Verhältnis der Besatzungsmächte eingebettet. Die damit verbundene deutsche Teilung war genau genommen schon im Sommer 1946, als die erste Interzonenkonferenz stattfand, weit vorangeschritten und hatte zur Herausbildung zweier grundverschiedener Wirtschaftssysteme geführt - ,,eine Konsequenz, die den Einberufern und Akteuren der Interzonenkonferenzen nicht bewusst sein konnte" (S. 13) und schlussendlich Kernproblem wie auch Ursache des endgültigen Scheiterns der Zusammenarbeit darstellte. Einer einheitlichen Gewerkschaftsorganisation für ein planwirtschaftliches und ein kapitalistisches System konnte kaum eine langfristige Überlebenschance bzw. ein sinnvolles Agieren beschieden sein. Daneben wurde das Verhältnis zwischen dem früh gegründeten FDGB und den Gewerkschaften der drei Westzonen durch unterschiedliche politische wie gesellschaftliche Konzepte und historische Hypotheken belastet - nicht nur die Definitionen von ,,Einheitsgewerkschaft" (Organisation, Ziele, Arbeitsweise, Rolle im Wirtschaftssystem) waren grundverschieden. Auch die Gräben der späten Weimarer Republik und der Exilarbeit brachen in Argumentationsweise und Ansprüchen deutlich erkennbar wieder auf, so etwa im von den Kommunisten formulierten Kampf gegen den ,,Reformismus" der ,,alten Gewerkschafter" (S. 19) und im forcierten eigenen Führungsanspruch. Den Protagonisten war die sich daraus ergebende Scheidelinie zwischen Ost und West durchaus bewusst. Dennoch bestand, jedenfalls in der Anfangsphase, auf beiden Seiten erhebliches Interesse an einer Zusammenarbeit, und nicht alle Sachfragen wurden von vornherein unter der Maßgabe parteipolitischer Vorgaben verhandelt. Vermutlich, so argumentiert Müller wohl zurecht, lag hierin einer der Gründe, dass der Ausbau der Kontakte zwischen den Gewerkschaften begann, als die gesamtdeutsche Zusammenarbeit der politischen Parteien schon in Agonie verfallen war (S. 24). Insbesondere die auf den Interzonenenkonferenzen diskutierten, geradezu klassischen Themen gewerkschaftlicher Interessenvertretung - etwa die Frauen- und Jugendpolitik - offenbarten erhebliche inhaltliche Schnittmengen und den erkennbaren Willen zu gemeinsamen Standpunkten und zum gemeinsamen Vorgehen. Andererseits wurden jene Themen, die die inhaltlichen Grundlagen und damit den Anspruch der Zusammenarbeit in einer deutschlandweiten Organisation definierten, nur sporadisch, spät oder gar nicht behandelt.

Dies war eine Entwicklung, die schließlich in einer nicht mehr aufzulösenden Konfrontation kulminierte. Schon im Dezember 1946 hatten sich, etwa im Hinblick auf den Prozess der Entnazifizierung und deren Zielsetzung - zwischen Enteignung und gesellschaftlichem Wandel im Osten sowie dem prüfenden Vorgehen im Westen -, erhebliche Differenzen herausgestellt. Hinzu kam ein grundlegender Dissens in der eigenen Verortung in Staat und Wirtschaft. Während sich die Gewerkschaften der Westzonen als mitbestimmende gesellschaftliche, aber von Parteien und Staat unabhängige Kraft sahen, bestand der FDGB auf einer mitgestaltenden Verantwortung in Staat und Gesellschaft und gestand sich eine ,,quasi-parteipolitische Bedeutung" (S. 43) zu. Und auch über die Kernfragen eines allgemeinen deutschen Gewerkschaftskongresses konnte etwa hinsichtlich der Delegiertenzahlen, der zu wählenden Gremien und deren Kompetenzen keine Einigkeit herbeigeführt werden. Als der FDGB dann, spätestens ab Mai 1947, auch den Ton durch Vorwürfe und Angriffe verschärfte und überdies die Gewerkschaften in der amerikanischen und britischen Besatzungszone einen bizonalen Zusammenschluss auf den Weg gebracht hatten, rückte eine gesamtdeutsche Gewerkschaftsorganisation, überlagert durch die zunehmende Blockintegration und die wirtschaftliche Eigenständigkeit bis hin zur Währungsreform, in unerreichbare Ferne und ließ das durch Idealismus und machtpolitisches Kalkül gleichsam geprägte Projekt scheitern.

Werner Müller hat mit seinem Band über die Interzonenkonferenzen einen wichtigen Baustein der deutschen Gewerkschaftsgeschichte geliefert, allerdings nicht ausschließlich für diese. Denn die edierten Dokumente vermögen jenseits der gewerkschaftlichen Themen auch einen Eindruck von politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen zwischen 1946 und 1949 zu vermitteln, die weit über rein gewerkschaftlich fokussierte Fragestellungen hinausgehen.

Swen Steinberg, Dresden


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