Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Karin Nowak, Spanien zwischen Diktatur und Republik. Korporatismus, organisierte Interessen und staatliche Sozialpolitik 1919-1936 (Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen. Schriftenreihe A: Darstellungen, Band 29), Klartext-Verlag, Essen 2004, 344 S., geb., 39,00 €.
Wie kann die Arbeiterschaft in die Gesellschaft integriert werden? Diese Frage bewegte Westeuropa in der Zwischenkriegszeit. In der Regel lautete die Antwort: durch Einbeziehung der gemäßigten, sozialdemokratischen Parteien der Arbeiterbewegung in die politischen Institutionen. Nichtdemokratischen Staaten stand dieser Weg jedoch nicht offen, es blieb aber die Möglichkeit der (zumindest partiellen) Integration durch die Sozialpolitik - so wie es, wenn auch unter anderen Umständen, Bismarck nach dem Sozialistengesetz versucht hatte.
Spanien vor 1976 steht üblicherweise nicht auf der Liste der Länder, deren sozialpolitische Reformen für erwähnenswert gehalten werden. Verbreitet ist für diese Zeit das Bild von Rückständigkeit in allen Belangen und eigensüchtigen, unfähigen oder diktatorischen Regierenden. Um so mehr überrascht nicht nur das Thema, sondern - mehr noch - das Ergebnis. Aber Karin Nowak gelingt es nachzuweisen, dass die Untersuchung gelohnt hat, am Ende nicht Fehlanzeige steht. Spanien war im Zeitraum, den ihre Dissertation behandelt, sowohl Demokratie als auch Diktatur. Über drei politische Regime hinweg untersucht Nowak den Versuch des Landes, durch einen Ausbau des Sozialstaates den Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital zu mindern und die Arbeiterschaft vom revolutionären Weg abzubringen. Sie beginnt mit den letzten Jahren des liberalen Parlamentarismus (1919-1923), der von der Militärdiktatur des Generals Primo de Rivera abgelöst wurde (bis 1930). In der Zweiten Republik seit 1931 wechselten sich linke und rechte Regierungen ab, bis der Putsch der Militärs um Franco im Juli 1936 dem demokratischen Experiment ein Ende setzte. Damit endet auch Nowaks Untersuchung.
Die Abfolge dreier sehr unterschiedlicher politischer Ordnungen innerhalb des Untersuchungszeitraums erlaubt Nowak einen Regimevergleich, der die Wechselwirkung von politischem System und Sozialpolitik aufzeigen kann. Im Zentrum steht die Entwicklung der spanischen Arbeitsverwaltung. Die Autorin hatte dabei mit massiven Problemen der Aktenüberlieferung zu tun, die aber den Ertrag ihrer Untersuchung nicht mindern, da sie eine große Zahl publizierter Quellen heranziehen konnte.
Entscheidend für den Ausbau korporativer Strukturen, die bereits zuvor ansatzweise existierten, war die Militärdiktatur 1923-1930, die dadurch ihre Herrschaft stabilisieren wollte. 1926 wurden Comités Paritarios eingerichtet, deren Aufgaben ,,Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen, die Vorbeugung und Lösung industrieller Konflikte, die Schlichtung individueller und kollektiver Differenzen, die Organisation von Arbeitsnachweisen sowie Vorschläge an die Regierung zu Maßnahmen zur Förderung der Industrien" (S. 170) waren. Ob sie wirklich Konflikte vermeiden halfen, bleibt unklar. Nach dem Ende der Diktatur schnellte die Zahl der Streiks hoch, obwohl die Comités weiter bestanden. Staatliche Repression scheint eher die vorrangige Ursache der geringen Streikhäufigkeit bis 1930 gewesen zu sein. Deutlicher hingegen wird, dass die Gewerkschaften durch die Mitarbeit in den Arbeitsnachweisen ihre Stellung stärken, d.h. Mitglieder gewinnen konnten. Und die Funktion der Comités als Arbeitsgericht? Alleine schon dadurch, dass sie Arbeitern die Möglichkeit zur Klage gaben, schwächten sie die Stellung der Arbeitgeber, die auch sich umgehend darüber beschwerten. Willkürliche Entscheidungen wurden nun erheblich schwieriger. Ein ,,Herrschaftsprivileg der Arbeitgeber" (S. 182) wurde erstmals in Frage gestellt.
Es gelang der Militärdiktatur, die Arbeiterschaft in nennenswertem Umfang - insbesondere die sozialistischen Gewerkschaften - für die neuen Organe zu interessieren. Gleichzeitig provozierte diese Politik aber die Abwendung bedeutender Teile der Arbeitgeber von der Diktatur. Die ,,sozialpolitische Kollaboration" (S. 199) der sozialistischen Arbeiterbewegung hob jedoch nicht die politische Ablehnung der Diktatur durch die Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE, Partido Socialista Obrero Español) auf. Die Militärdiktatur verfehlte somit das Ziel einer Stabilisierung der politischen Verhältnisse.
Die korporativen Institutionen waren so flexibel, dass sie die Regimewechsel ohne größere Beeinträchtigungen überlebten. Ihre unterschiedliche ideologische Aufladung - teils ständestaatlich, teils wirtschaftsdemokratisch - tangierte kaum die institutionellen Formen. Zwar gab es kontroverse politische Debatten um die Einrichtungen, in der Praxis arbeiteten sie aber eher problemlos.
Das Charakteristikum der spanischen Sozialpolitik lag über den zweifachen Regimewechsel hinweg im Ausbau korporativer Strukturen. Scheinbar, so legt es der Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 nahe, scheiterte das Modell aber am Ende, konnte es doch den großen innergesellschaftlichen Konflikt nicht verhindern. Nowak insistiert aber mit guten Argumenten darauf, dass eine differenzierte Betrachtung ein anderes Bild ergibt. Die gewachsene Verrechtlichung des Arbeitsverhältnisses habe die betriebliche Macht der Unternehmer erkennbar eingeschränkt. Insofern sei es zur Modernisierung der industrial relations gekommen. Zugleich habe dieser Prozess jedoch Kleinunternehmer dem Staat entfremdet, da sie in dessen Maßnahmen einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre Autonomie sahen. Die Alternative einer weitgehend staatsunabhängigen Regulierung der Arbeitsbeziehungen stand jedoch angesichts der Schwäche der autonomen Interessenvertretungen, besonders was die Unternehmerverbände betrifft, nicht zur Verfügung. Diese Strategie scheiterte jedoch überall dort, wo die Anarcho-Syndikalisten dominierten. Sie in die korporativen Institutionen einzubeziehen misslang, gerade weil erkennbar war, dass die neuen Organe der Disziplinierung des sozialen Wandels dienten. Trotz dieses - angesichts der Stärke des Anarcho-Syndikalismus in wichtigen Teilen Spaniens nicht unerheblichen - Defizits erwiesen sich die zwischen 1919 und 1936 geschaffenen korporativen Strukturen auch danach als derart effizient, weil wandlungsfähig, dass - so Nowak - sie sowohl die ,,Wurzeln des frankistischen Staatskorporatismus wie des liberalen Korporatismus im demokratischen Spanien" (S. 317) nach 1975 bildeten.
Ergänzt wird diese neue Perspektiven auf Spanien eröffnende Arbeit durch ein Namens-, Orts- und Sachregister, leider eine Ausnahme im deutschsprachigen Raum. Auch dafür ein Lob an die Autorin.
Bernd Rother, Berlin