ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Johannes H. Voigt, Die Indienpolitik der DDR. Von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952-1972) (Stuttgarter Historische Forschungen, Bd. 5), Böhlau-Verlag, Köln/Weimar etc. 2008, 717 S., geb., 69,90 €.

In den letzten Jahren hat sich die historische Forschung wieder verstärkt mit der Rolle der sogenannten Dritten Welt im Kalten Krieg der Systeme befasst. Dabei steckt das Projekt, europäische und asiatische Schwerpunkte dieser mit sehr unterschiedlichen Mitteln geführten globalen Auseinandersetzung zu verbinden, eher noch in den Anfängen. Die von Johannes Voigt vorgelegte Analyse der Indienpolitik der DDR arbeitet einen Mosaikstein dieser Gesamtproblematik auf, bei dem natürlich bilaterale sowie deutschlandpolitische Akzente im Vordergrund stehen. Die Darstellung liest sich damit zugleich als (partielles) Gegenstück zur Untersuchung der bundesdeutsch-indischen Beziehungen, die vor wenigen Jahren erschienen ist. (1)

Voigt widmet sich im Grunde ganz der ostdeutschen Perspektive und verzichtet weitgehend auf die Einbettung der Kontakte in den subkontinentalen Kontext. Der schwelende Konflikt Indiens mit dem lange Jahre im westlichen Paktsystem verankerten Pakistan, der einen wesentlichen Schwerpunkt indischer Außenpolitik darstellte, hat die DDR offenbar wenig interessiert und wird daher kaum behandelt. Ein wesentlicher Grund für die genannte Selbstbeschränkung Voigts ist in der indischen Archivsituation zu sehen (S. IX), die sich indes heutzutage schon wieder etwas positiver darstellt. Unabhängig hiervon können allerdings die Ausflüge des Autors in die, auch aus DDR-Sicht bedeutsamen, gespannten indisch-chinesischen Beziehungen ab den späten 1950er-Jahren nicht vollends überzeugen (S. 111, 292f.). Die Konzentration auf die Entscheidungsfindungen in der DDR geht mit einer gewissen Überladung des Werks einher: Der Leser kann sich nicht immer des Eindrucks erwehren, dass nahezu jeder Aktenfund aus den Beständen des Politischen Archivs und des Bundesarchivs bzw. der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) auch nacherzählt worden ist (S. 634f.). Eine analytische Kondensierung derartiger Passagen sowie eine Straffung des mitunter weitschweifigen Stils (S. 102, 166) wäre sicherlich ohne Reibungsverluste möglich gewesen.

Trotz dieser Einschränkungen gewährt die Monografie aufschlussreiche Einsichten in die Politik der DDR gegenüber einem wichtigen Land der sogenannten Dritten Welt. Ost-Berlin betrachtete Indien angesichts seiner prominenten internationalen Stellung als eines der Schlüsselländer in den Bemühungen um globale Anerkennung. Zugleich aber galt Indien immer auch als kapitalistischer Staat, in dem immer wieder Einflussgewinne westlicher und indischer ,reaktionärer' Kreise registriert wurden. Vor dem Hintergrund dieser doppelten Perspektive macht Voigt deutlich, dass sich die DDR in ihren Beziehungen zum südasiatischen Schwergewicht zwar vornehmlich von staatspolitischen Erwägungen leiten ließ. Dessen ungeachtet führten die axiomatischen ideologischen Denkmuster der ostdeutschen Diplomatie sowie ihrer parteiamtlichen Auftraggeber nahezu zwangsläufig zu Fehlwahrnehmungen und -leistungen im ,,kleinen deutsch-deutschen Kalten Krieg" (S. 4). Die letztlich unmotivierten, pro-chinesischen Verlautbarungen Grotewohls während der ersten offenen indisch-chinesischen Grenzkonflikte 1959 sind ein Beispiel für die Wirkungskraft ideologischer Konstruktionen in Ost-Berlin, die ostdeutsche Publikation pro-chinesischer Kartenwerke bis in die 1970er-Jahre hinein ein anderes. Die ideologische Wahrnehmung indischer Verhältnisse und Entscheidungen wurde durch die spezifischen Parteibeziehungen der SED zur indischen Bruderpartei CPI (Communist Party of India) noch verstärkt. Die ideologische und organisatorische Spaltung der CPI in den 1960er-Jahren stellten SED und andere Bruderparteien im Übrigen vor unerwartete Probleme: Diese Entwicklungen innerhalb der Kommunistischen Partei Indiens führen eindringlich strategische Schwachpunkte der ,,transnationalen" Parteibeziehungen sozialistischer Staaten vor Augen.

Die Fixierung der DDR auf die bereits erwähnte deutsch-deutsche Konkurrenz stellt einen weiteren Kernaspekt ihrer internationalen Beziehungen in Südasien dar. Westdeutsche Wirtschaftshilfe, Kulturbeziehungen oder Besuche lösten in Ost-Berlin verlässlich Hektik und verstärkte Aktivitäten aus. Hierbei maß sich die DDR immer zumindest indirekt an den Leistungen der Bundesrepublik. Dass die DDR in vielen Feldern, vor allem aber in der für die propagierte Systemkonkurrenz entscheidenden Außenwirtschaft gegenüber der ungeliebten Bonner Republik ins Hintertreffen geriet, wurde von den SED-Spitzen wieder nur mit ideologischen Versatzstücken aus der Welt diskutiert: Systemimmanente Schwächen durfte (sich) der SED-Staat auch in den Außenbeziehungen nicht eingestehen. Das sozialistische Lager konnte in dem Wettbewerb kaum für Abhilfe sorgen. Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe sollte nach sowjetischen Vorstellungen zwar auch die sozialistischen Wirtschaftsbeziehungen zur Dritten Welt koordinieren und verbessern, blieb aber auf diesem Feld in nationaler Interessenpolitik stecken. Die seit Mitte der 1950er-Jahre insgesamt guten sowjetisch-indischen Beziehungen boten der DDR sicherlich diplomatischen Windschatten. Doch durfte und wollte sich Ost-Berlin schon angesichts der spezifischen welt- und asienpolitischen Akzente der sowjetischen Diplomatie nicht als bloßes sowjetisches Anhängsel präsentieren. Vor allem aber hätte diese Strategie das ostdeutsche Konstrukt nationaler Unabhängigkeit und Selbständigkeit in indischen Augen nur desavouieren können.

Die Studie macht deutlich, dass es in hohem Maße die indische Sichtweise auf das Deutschlandproblem und pragmatische Nützlichkeitserwägungen New Delhis waren, die den langwierigen Prozess der indisch-ostdeutschen staatlichen Annäherung lenkten. Nachdem sich die indische Militärmission in Deutschland der 1940er-Jahre bis 1952 sozusagen stillschweigend in eine diplomatische Vertretung nur in der Bundesrepublik verwandelt hatte, musste sich die DDR noch 20 weitere Jahre um einen gleichwertigen Status in Indien bemühen. Handelspolitik und Kreditangebote, indische Transmissionsriemen in Form der CPI oder ,progressiver' Persönlichkeiten sowie Kulturkontakte dienten in Ost-Berliner Augen stets vorrangig dem Ziel, die diplomatische Anerkennung der DDR durch New Delhi zu gewinnen. Dies gelang erst dann, als die Bundesrepublik mit ihrer neuen Deutschlandpolitik und der Abkehr von der Hallstein-Doktrin für Indien den Kollateralschaden diplomatischer Beziehungen zur DDR minimierte. In Indien selbst hatte sich mittlerweile im Rahmen internationaler Entspannungspolitik, vor dem Hintergrund innenpolitischer Verschiebungen und angesichts des engagierten Auftretens der DDR in der Ostpakistan- bzw. Bangladeshkrise der Jahre 1970/1971 eine breite Zustimmung zur indischen Anerkennung der DDR als einem ,,unspektakuläre[n] und zeitgemäße[n] Schritt, der der internationalen Entspannung diente", herausgebildet (S. 675). In diesen Kontexten misst Voigt der breit gefächerten Bewegung der indisch-ostdeutschen Freundschaftsgesellschaften einen hohen atmosphärischen Einfluss bei. Deren kommunistischer ,,ideologischer Überbau" (S. 570) und ihre enge Verzahnung mit den analogen sowjetischen Organisationen (S. 587f.) scheinen aber Gewicht und Einflussmöglichkeiten der Gesellschaften zu relativieren. Ihre Tätig- und Wirksamkeit resümierte aber auf ihre Weise die DDR-Indienpolitik: Die größten Erfolge Ost-Berlins waren dann zu verzeichnen, wenn es New Delhi aus wohlverstandenem Eigeninteresse oder globalen Erwägungen heraus opportun erschien.

Andreas Hilger, Hamburg

Fußnoten:


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