ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Sven Felix Kellerhoff, Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls, be.bra verlag, Berlin 2008, 160 S., kart., 14,90 €.

In seinem kompakten, flüssig geschriebenen und gut lesbaren Buch beschreibt Sven Felix Kellerhoff, Redakteur für Zeitgeschichte der Welt und Berliner Morgenpost, den Reichstagsbrand 1933 und dessen Folgen: von der Brandentstehung, über die Reaktion des Reichskabinetts, den politischen Nutzen, den Hitler aus dem Ereignis zog, der Unterdrückung und Verfolgung der Linksopposition, insbesondere der Kommunisten, bis hin zur Frage, ob nun der niederländische Rätekommunist Marinus van der Lubbe alleinverantwortlicher Täter war oder doch die NS-Führung hinter dem Brandanschlag steckte. In dem Kapitel ,,Die Folgen. Kommunistenjagd, Reichstagsbrandverordnung und Ermächtigungsgesetz" zeichnet er überzeugend nach, wie groß die Bedeutung des Brandes und seiner sofortigen Ausnutzung durch Hitler für die Errichtung und Durchsetzung der NS-Diktatur gewesen ist. Dabei attestiert der Autor dem unter Willi Münzenbergs Regie erstellten ,,Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" eine weitgehend wahrheitsgemäße Schilderung nationalsozialistischer Verfolgungen gegen Kommunisten, während er dessen Darstellungen zum Reichstagsbrand aus guten Gründen - insbesondere in Bezug auf das sog. ,,Oberfohren-Memorandum" - als auf Fälschungen basierend charakterisiert.

Den Großteil seiner Ausführungen in dem schmalen Band widmet Kellerhoff der Täterfrage. Diese Schwerpunktsetzung beginnt schon im Vorwort Hans Mommsens, dessen Wortwahl im Umgang mit Skeptikern der These vom Alleintäter van der Lubbe der FAZ-Rezensent und Bonner Historiker Rainer Blasius in seiner Besprechung am 27.2.2008 als ,,Eindreschen" auf seine Kontrahenten Karl-Dietrich Bracher und Walther Hofer bewertet hat. In der Tat spricht Mommsen in Bezug auf Hofer, Calic und andere Reichstagsbrandforscher von einer ,,Fälscher-Mafia" und stellt das Münchner Institut für Zeitgeschichte an den Pranger. Dieses habe sich zu deren ,,Kumpan" gemacht und sich nicht gescheut, ,,Fälscher zu decken" (S. 10). Ausschließlich dieser Sichtweise folgend (1), lässt Kellerhoff nur Argumente gelten, die geeignet sind, Marinus van der Lubbe als Alleintäter vorzuführen. Während Mommsen schon im zweiten Satz seines Vorworts erklärt, ,,dass an der alleinigen Täterschaft van der Lubbes nicht gezweifelt werden kann" (S. 7), lautet der Schlusssatz Kellerhoffs: ,,Nach 75 Jahren Streit steht am Ende eine einfache Wahrheit: Marinus van der Lubbe war ein Einzeltäter." (S. 139).

Die argumentative Auseinandersetzung des Autors mit der Täterfrage ist jedoch nicht frei von die Alleintäter-These stützenden passgenauen Einseitigkeiten, Auslassungen und Zitatenarrangements. So hat nach Kellerhoff, wie schon bei dem Autor der Spiegel-Serie zum Reichstagsbrand 1959/60, Fritz Tobias, van der Lubbe bei seiner Festnahme auf die Frage des Hausmeisters Scranowitz: ,,Warum hast du das gemacht?", geantwortet: ,,Protest, Protest!" (S. 21). Kellerhoff beginnt sein Kapitel ,,Das Geständnis" sogar mit dem Satz: ,,Protest, Protest!, hatte Marinus van der Lubbe geantwortet, als er direkt nach seiner Festnahme gefragt wurde, warum er das Feuer gelegt habe." (S. 38) Tatsächlich reagierte van der Lubbe laut stenografischem Bericht, anders als Tobias und Kellerhoff schreiben, auf die gewalttätige Behandlung bei der Verhaftung. Scranowitz sagte aus: ,,Ich habe ihm dabei mit der Faust so vor Wut in die Seite geschlagen und da sagte er: Protest, Protest!" (2) Aus dem kriminalpolizeilichen Abschlussbericht vom 3. März 1933 zitiert Kellerhoff, wie ebenfalls vor ihm schon Fritz Tobias, den ermittelnden Kriminalkommissar Dr. Walter Zirpins mit dem scheinbar eindeutigen Satz: ,,Die Frage, ob van der Lubbe die Tat alleine ausgeführt hat, dürfte bedenkenlos zu bejahen sein." (S. 47). Wie Tobias lässt Kellerhoff allerdings unerwähnt, dass sich dieser Satz Zirpins zunächst allein auf Brände im Wohlfahrtsamt, Rathaus und Schloss zwei Tage vor dem Reichstagsbrand bezog, während bei Zirpins' Bericht zum eigentlichen Reichstagsbrand der für die Entstehung des Großbrandes im Plenarsaal entscheidende Satz folgt: ,,Die Frage, ob auf die geschilderte Art und Weise besonders der umfangreiche Brand im Plenarsaal so schnell entstehen konnte, dürfte durch Sachverständige zu prüfen sein." (3) Die Prüfung durch vom Gericht bestellte Sachverständige ergab nun, dass ein einzelner Täter diesen Großbrand nicht gelegt haben könne. Kellerhoff, auch hier wiederum Tobias folgend, spielt die Bedeutung der Sachverständigen herunter: ,,Statt unvoreingenommen" zu bewerten, hätten sie nur nach ,,Belegen für diese These" von mehreren Tätern gesucht, der Sachverständige Wilhelm Schatz, der Anhaltspunkte für selbstentzündliche Flüssigkeiten gefunden hatte, sei ein ,,geltungssüchtiger Dilettant" gewesen. (S. 86f.). Von Walther Hofer und Eduard Calic publizierte Dokumente, welche die These einer NS-Täterschaft stützen, werden in einem eigenen Kapitel ,,Die Fälscher" pauschal zu Fälschungen erklärt, ohne dass von dem Berliner Historiker Jürgen Schmädeke vorgelegte stichhaltige Argumente erörtert werden, die für die Authentizität dieser Dokumente sprechen. (4) Zudem wird die Internetadresse des Beitrages von Schmädeke, der im Text nicht verarbeitet wird, in Kellerhoffs Literaturverzeichnis fehlerhaft angegeben. Zur Position des Autors konträre Forschungsbände werden im Literaturverzeichnis gelistet, aber nicht wirklich rezipiert. So nennt Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, in dem jüngsten, von ihm herausgegebenen und mitverfassten Sammelband zum Reichstagsbrand fünf konkrete Beispiele, die auf Täter im NS-Bereich hindeuteten, denen aber vom Gericht nicht näher nachgegangen wurde, weil ausweislich des Gerichtsurteils ,,die Männer, denen das deutsche Volk seine Errettung vor dem bolschewistischen Chaos verdankt, einer solchen verbrecherischen Gesinnung, wie sie die Tat verrät, niemals fähig waren". (5) Dieser einschlägige Band wird von Kellerhoff an keiner Stelle inhaltlich berücksichtigt, noch nicht einmal in dem Kapitel zum Leipziger Reichstagsbrandprozess angemerkt, obwohl sich Deiseroths Analysen explizit darauf beziehen. Statt dessen polemisiert Kellerhoff gegen die Alleintäterthese ablehnende Experten; ein inkriminierter Journalist wehrte sich offensichtlich mit Erfolg gegen Unterstellungen Kellerhoffs, denn sein Name musste auf Seite 122 durch Schwärzungen unkenntlich gemacht werden.

Seit dem Reichstagsbrand ,,sind mehrere Dutzend Bücher [...] hunderte wissenschaftliche Aufsätze und viele tausend Zeitungsartikel" zu diesem geschichtlichen Ereignis erschienen, schreibt Kellerhoff in seinem Schlusskapitel (S. 131). Eine sachliche Gesamtdarstellung sine ira et studio steht noch aus.

Wigbert Benz, Karlsruhe

Fußnoten:


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