ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

David Garland, Kultur der Kontrolle. Verbrechensbekämpfung und soziale Ordnung in der Gegenwart (Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 12), Campus-Verlag, Frankfurt/Main/New York 2008, 394 S., brosch., 34,90 €.

Es scheint, als käme das Buch von David Garland gerade zur rechten Zeit auf den Markt, sind doch Sicherungsverwahrung für schwerstkriminelle Jugendliche sowie Video- bis hin zu Telefonüberwachung in großen Unternehmen tagesaktuelle Themen. Doch bereits der Untertitel des Werkes legt nahe, dass es weniger um Orwell'sche Überwachungsszenarien gehen soll, als vielmehr um den Nexus von Kriminalität und Sozialordnung in westlichen Gemeinwesen. Garland versteht seine Studie als dritten und letzten Teil einer Annäherung an das Thema ,,Bestrafung" in modernen Gesellschaften. Bereits 1985 veröffentlichte der Soziologe und Kriminologe ,,Punishment and Welfare. A History of Penal Strategies", 1990 dann "Punishment and Modern Society. A Study in Social Theory". Der vorliegende Titel erschien in den USA schon 2001 und liegt jetzt endlich auch in deutscher Sprache vor.

Garland untersucht die Entwicklung der Verbrechensbekämpfung in den USA und Großbritannien während der letzten 30 Jahre. Zunächst bietet der New Yorker Professor in den ersten beiden Kapiteln gleichsam eine Zusammenfassung der ersten Bände seiner Trilogie. Er schildert die Genese einer korrektionalistischen Theorie der Bestrafung, die eng verknüpft war mit der Entstehung des Wohlfahrtstaates wie auch mit dem Glauben an die ,,Machbarkeit" bzw. ,,Perfektabilität" des Menschen. Seit etwa 1890 hatte sich sukzessive die Überzeugung herausgebildet, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensumstände ursächlich für die Kriminalität von Menschen seien. Folglich hatte die Gesellschaft eine gewisse Pflicht zur Wiedergutmachung, zu Besserung und Resozialisierung eines Verbrechers vornehmlich durch den Strafvollzug.

Erst ab Beginn der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, so Garland in seinem dritten Kapitel, veränderte sich diese Haltung zunächst in den USA, bald auch in Großbritannien. Der Niedergang des Wohlfahrtsstaates auch infolge der Rezession nach der Ölpreiskrise 1973 in Verbindung mit kulturellen Verwerfungen führte zur zunehmenden Ablehnung korrektionalistischer Theorien. Vielmehr waren Öffentlichkeit und Politik immer weniger bereit, Delinquenz den gesellschaftlichen Verhältnissen anzulasten. Kriminelles Verhalten wurde zur freien Willensentscheidung stilisiert, weshalb Strafe wieder hauptsächlich Bestrafung sein sollte. Die Opfer rückten in den Fokus der öffentlichen Meinung, die nun in nicht geringem Maße von den Medien geprägt wurde. Ebenso wurde die Funktionalität des Gefängnisses mehr und mehr angezweifelt. Veränderungen der Wirtschafts-, Lebens- und Arbeitsstruktur in der Spätmoderne wandelten die Gesellschaftsordnung, was massive Auswirkungen auf die Einstellungen gegenüber Kriminalität hatte (Kapitel 4).

Die von Garland beschriebenen Umbrüche beförderten zudem ein Gefühl der Unsicherheit, das letztlich wiederum reaktionäre Bestrafungsstrategien begünstigte. Auch die Politik musste reagieren, und sie tat es mit Unterstützung der Kriminologie im Wesentlichen auf zwei Weisen (Kapitel 5): Eine Denkrichtung sah die Kriminalität als etwas Normales an, mit dem man zu leben, auf das man sich nun einzurichten hatte. Darauf reagieren wollte man vor allem über Prävention, über die Verringerung der Möglichkeiten, Verbrechen zu verüben. Dabei spielten sowohl die moderne Technik wie auch die zunehmende Inanspruchnahme privater Sicherheitsunternehmen eine Rolle. Die andere Möglichkeit war die der massiven Repression durch Polizeieinsätze und härteste Freiheitsstrafen. Beiden Denkrichtungen gemeinsam war die Überzeugung, dass die sozioökonomischen Bedingungen nicht ursächlich für die Entstehung von Kriminalität seien. Dieser Logik entsprach die Individualisierung kriminellen Handelns. Der Delinquent allein sollte für sein Tun verantwortlich gemacht werden.

Im sechsten Kapitel schildert Garland ausführlich die Strategien punitiver Segregation, d.h. die Aussonderung unliebsamer, weil kriminell gefährdeter Bevölkerungsschichten in (Hochsicherheits-)Gefängnissen. Im Fokus des Interesses stand nun nicht mehr der Täter, sondern das Opfer, das es um jeden Preis zu schützen galt. Insbesondere aufgrund ihrer medialen Allgegenwart spiele Kriminalität für ein Gemeinwesen heutzutage eine sehr viel größere Rolle als je zuvor, was wiederum die Einstellungen insbesondere der Mittelschicht gegenüber Kriminellen grundlegend gewandelt habe. Letztlich könne man eine ,,Ökonomisierung" der Kriminalitätskontrolle konstatieren, die Verbrechensbekämpfung jenseits des Wohlfahrtsstaates auf reine Kosten-Nutzen-Vergleiche reduziere. Im siebten Kapitel beschreibt Garland ausführlich diese neue Kultur der Verbrechenskontrolle, die sich zunehmend ökonomischer Begrifflichkeiten bediene und massive Auswirkungen auf Polizei wie Strafjustiz zeitige. In Anlehnung an Foucault spricht Garland gar von der ,,Neuerfindung des Gefängnisses" (S. 318), das nun nicht mehr der Besserung, sondern nur noch der Absonderung und Internierung Missliebiger diene.

Im abschließenden achten Kapitel fasst der Autor seine wesentlichen Ergebnisse zusammen. Mit dem Niedergang des Wohlfahrtsstaates und den daraus resultierenden Unsicherheiten, mit einer zunehmenden Betonung von Sicherheitserwägungen statt von bürgerlichen Freiheitsrechten bei der Kriminalitätsbekämpfung liefen die Gesellschaften der USA und Großbritanniens zu Beginn des neuen Jahrtausends Gefahr, Disziplinargesellschaften großen Ausmaßes zu werden. In jenen würden die untersten Schichten nur noch kontrolliert und segregiert werden, um der ,,Wohlstandsgesellschaft" Ruhe und Ordnung bieten zu können, so Garland. Speziell für die USA verkennt er auch keineswegs den rassistischen Unterton einer solchen Kriminalpolitik.

Cui bono? wird man sich vielleicht in Deutschland fragen, ist doch die politisch-soziale wie kulturelle Gemengelage hierzulande immer noch eine etwas andere als die beschriebene. Der große Wert und Nutzen von Garlands Studie liegt nicht nur in der ebenso interessant wie faktenreich geschilderten Entwicklung einer ,,Kultur der Kontrolle" in den USA und Großbritannien, sondern sie kann in Deutschland gewissermaßen als Warnung gelesen werden. Bekanntlich nehmen nicht wenige Entwicklungen den Weg von den USA über Großbritannien auf das europäische Festland. So sind insbesondere seit dem 11. September 2001 doch einige Überlegungen, die Garland beschreibt, zweifellos schon hier angekommen. Die Beschränkung der Bürgerrechte für mehr Schutz und Sicherheit, die (mediale) Fokussierung auf die Opfer von Straftaten, die zunehmende Abwendung vom Gefängnis als Resozialisierungsinstanz, lauter werdende Forderungen nach härteren Strafen sowie nicht zuletzt der Rückbau des Wohlfahrtsstaates lassen befürchten, dass ähnliche wie die beschriebenen Tendenzen sich auch in Deutschland Bahn brechen könnten. Nicht nur vor diesem Hintergrund ist das Buch von David Garland in der übersetzerisch überaus gelungenen deutschen Fassung ein Gewinn für jeden interessierten Leser.

Marcus Sonntag, Erfurt


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