ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michel Grunewald lehrt Germanistik an der Université Paul Verlaine de Metz. In seinen Publikationen hat er sich insbesondere mit Klaus Mann, der Geschichtsphilosophie Arthur Moeller van den Brucks, mit Deutschen im französischen Exil, deutscher Literaturkritik im europäischen Exil, mit Alfred Döblin und Yvan Goll sowie dem Frankreichbild der Preußischen Jahrbücher beschäftigt. International bekannt geworden ist er mit den von ihm regelmäßig in Metz am Centre d'Études des Périodiques de Langue Allemande veranstalteten, gut organisierten Tagungen zu deutschsprachigen Zeitschriften und Zeitungen unterschiedlicher Milieus bzw. Fragestellungen. Genannt seien der Europadiskurs zwischen 1871 und 1955, die Elsass-Lothringen-Frage zwischen 1871 und 1914, das linksintellektuelle und das konservative, das katholische und das protestantische Milieu zwischen 1890 und 1960. Mit nahezu preußischer Disziplin legten Grunewald und seine Mitstreiter, allen voran Hans Manfred Bock und Uwe Puschner, zeitnah als Ergebnis instruktive Tagungsbände vor. Dadurch wurden, manchmal erstmals, zahlreiche Periodika untersucht und sonst nur schwer zu recherchierende Informationen leicht zugänglich gemacht. Gerade der Blick auf die Presse bietet einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit politischen oder religiösen Milieus.

Die vorliegende Festschrift zum 65. Geburtstag spiegelt die Vielfalt des Grunewald`schen Schaffens ebenso wie seine engen Verbindungen nach Deutschland und die interdisziplinäre Zusammenarbeit insbesondere mit der Geschichtswissenschaft wider. Die Einleitung ,,Être germaniste en France: une vocation de médiateur" der Herausgeber Pierre Béhar (Université de la Sarre), Françoise Lartillot (Université Paul Verlaine de Metz) und Uwe Puschner (Freie Universität Berlin) hebt diesen Aspekt des Wirkens Grunewalds besonders hervor. Das Spektrum der 43 in französischer sowie deutscher Sprache verfassten Beiträge umfasst das 18. bis 20. Jahrhundert und ist gegliedert in die drei Bereiche Transkulturalität (Deutschland und Frankreich, Saar und Elsass, Europa), Literatur, Sprache, Kulturgeschichte sowie Presse. Aus der anregenden Vielfalt der Artikel können hier nur folgende Themen genannt werden: Die französische Intellektuellengruppe Compagnons de l'Université Nouvelle am Ende des Ersten Weltkrieges, Thomas Manns Paris-Aufenthalt 1936, Widersprüche in der Erinnerungskultur der Normandie, Deutsch als Fremdsprache in Frankreich, der Evangelische Sonntagsbote für Elsass und Lothringen 1939/40, die Saar und der Algerienkrieg, Europa-Initiativen in Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert, Widerstand der Volkskomik gegen die rationalistische Ästhetik auf den Wiener Vorstadtbühnen, der regionale Mythos des Schinderhannes und seine literarischen Adaptionen, Ludwig I. von Bayern, die Goethe- und Schiller-Jubiläen als Erinnerungsgeschichte, Clara Viebig und ihre Romane, der Germanist Arnold Hirsch, Ernst Cassirer über Goethe, Arnold Zweig, Lily Offenstadt und das Exil in Palästina, Klaus Mann, Peter Rühmkorff, die Kindheitserfahrungen Ingeborg Bachmanns und Christa Wolfs und deren Auswirkungen, Wilhelm Muehlons Aufzeichnungen aus den ersten Kriegsmonaten 1914, die Zeitschrift Gegner. Für neue Einheit zwischen 1931 und 1933, die von Franz Jung und Harro Schulze-Boysen herausgegeben wurde, das Verbot der Zeitschrift Widerstand im Dezember 1934, die Nobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky 1933 bis 1936, jüdisches Exil in Großbritannien sowie Hannah Arendts Artikel für die Zeitschrift Die Wandlung.

Eine Bibliografie Grunewalds führt fünf Monografien, 18 herausgegebene Bände und 71 Aufsätze auf und rundet den Band ab. Leider fehlt - im Gegensatz zu seinen Tagungsbänden - ein Register, das die anregenden Beiträge dieser Festgabe miteinander vernetzt hätte.

Als Beispiel für die von ihm veranstalteten Tagungen sei hier auf zwei von Grunewald initiierte Publikationen zum Europadiskurs in den deutschen Zeitschriften zwischen 1871 und 1933 in seiner Schriftenreihe ,,Convergences" verwiesen. Ihr Ziel ist es, die Leitideen der Debatten über Europa herauszuarbeiten, die in Periodika über eine zukünftige Organisation Europas geführt wurden. Dabei werden die repräsentativen Positionen der großen kulturpolitischen Zeitschriften dargestellt, aber auch abweichende Meinungen in kurzlebigen oder unbekannteren Organen herausgearbeitet, um die Vielfalt der Stimmen deutscher Intellektueller im Kaiserreich und in der Weimarer Republik herauszuarbeiten. Zugleich wird dadurch die Blüte der Zeitschriftenpresse dieser Jahrzehnte nachvollziehbar. Vorangestellt sind kundige Überblicksbeiträge Michel Grunewalds sowie Pierre Béhars. Analysiert werden die Zeitschriften Freie Bühne/Neue Rundschau (1890-1914), März (1907-1917), Die Gesellschaft (1885-1902), Das literarische Echo (1898-1914), Nord und Süd (1877-1914, 1920-1930), Die Zukunft (1911-1914), Deutsch-französische Rundschau (1899-1901), Hochland (1903-1933), Die Neue Zeit (1883-1914), Deutsche Revue (1877-1914), Die Hilfe (1894-1914, 1918-1930), Der Neue Merkur (1919-1925), Das Tagebuch (1920-1933), Die Gegenwart (1918-1931), Stimmen der Zeit (1918-1933), Die Christliche Welt (1919-1923), Die Aktion (1911-1932), Das Forum (1918-1929), Die Linkskurve (1929-1932), Sozialistische Monatshefte (1918-1933), Kulturwille (1924-1933), Gewissen (1919-1928), Deutsche Rundschau (1919-1926) sowie der Autor Hugo von Hofmannsthal (1874-1929). Deutlich wird in den Aufsätzen die Vielfalt der Europa-Vorstellungen zwischen Kaiserreich und ,,Drittem Reich". Hans Manfred Bock hat jeweils abschließend einen Überblicksbeitrag zu Kulturzeitschriften im Kontext der Gesellschafts-, Kultur-, Verlags- und Intellektuellen-Geschichte beigesteuert, der auch eine Bibliographie enthält. Sehr nützlich sind zudem die Personenregister, die personelle Verflechtungen deutlich werden lassen.

Die in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitende Arbeit Michel Grunewalds stellt für die Germanistik wie für die Geschichtswissenschaft eine Bereicherung dar und ist mit der vorliegenden Festschrift angemessen gewürdigt worden. Möge Michel Grunewald sie noch lange fortsetzen können!

Rainer Hering, Hamburg


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