ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christiane Streubel, Radikale Nationalistinnen. Agitation und Programmatik rechter Frauen in der Weimarer Republik (Geschichte und Geschlechter, Bd. 55), Frankfurt/Main, Campus-Verlag 2006, 444 S., kart., 45,00 €.

Mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahre 1918 entbrannte im rechten Spektrum der Kampf um die weibliche Wählerschaft. Frauen sollten Frauen für den Gang zur Wahlurne oder die Aufnahme eines politischen Engagements gewinnen helfen - so lautete das Motto in den Parteien. Um zu zeigen, wie diese politische Mobilisierung verlief, rückt Christiane Streubel nun erstmals jene exklusive Gruppe von Publizistinnen, die in den Weimarer Jahren zur Formulierung und Formierung des radikalen Nationalismus beitrugen, in das Zentrum einer historischen Darstellung.

Im ersten Teil leuchtet Streubel die ,,Sprechräume" aus, die für radikalnationalistische Publizistinnen in der Weimarer Zeit entstanden. Welchen familiären und politischen Background besaßen die Aktivistinnen, welche Chancen besaßen sie innerhalb des nationalistischen Spektrums zur Sprache zu kommen, welche Beschäftigungschancen existierten für sie? Die schreibenden Frauen, zu denen etwa Käthe Schirmacher, Pia Sophie Rogge-Börner, Marie Diers, Ilse Hamel oder Beda Prilipp gehörten, waren zumeist evangelisch, besaßen einen bürgerlichen Familienkontext, verfügten über einen hohen Bildungstand und arbeiteten im Hugenberg-Konzern. Politisch bewegten sie sich am rechten Flügel der DNVP. Obgleich viele Publizistinnen schon während des Kaiserreichs in rechten Frauenorganisationen öffentlich wirksam gewesen waren, bildete die Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahre 1918 die zentrale Legitimationsinstanz für die publizistische Wirksamkeit radikalnationaler Frauen - ein Umstand, auf den Streubel an verschiedenen Stellen ihrer Arbeit hinweist (S. 13, 79, 107, 173, 377). In den Weimarer Jahren wurde die politische Arbeit schließlich zu ,,einem zentralen Lebensinhalt dieser Frauen", wie Streubel in ihrem Resümee konstatiert.

Im Jahre 1920 gründeten die Publizistinnen den Ring Nationaler Frauen (RNF) als Dachorganisation rechter Frauenverbände, der sich zugleich als national ausgerichtete Konkurrenz zum Repräsentanten der bürgerlichen Frauenbewegung, dem Bund Deutscher Frauenvereine, verstand. Indes blieb die Organisation des RNF in den Weimarer Jahren schwach: Zum einen blieben die Kontakte zur Führungsriege des Alldeutschen Verbandes, zum Völkischen Reichsausschuss der DNVP oder auch zum Ring-Kreis eher lose. Zum anderen gelang nur die Integration eines Teils der national ausgerichteten Frauenverbände. So blieben etwa die einflussreichen protestantischen Frauenverbände, der Deutsche Evangelische Frauenbund und die Evangelische Frauenhilfe, von wenigen Einzelpersönlichkeiten abgesehen, dem RNF fern. Zumeist mit nur geringer Erfahrung in politischer Verbandsarbeit ausgestattet, konzentrierten sich die im Ring organisierten Aktivistinnen zunehmend auf ihre publizistischen Tätigkeiten, wie Streubel in ihrer äußerst detailreichen Auswertung der Deutschen Frau, einer vierzehntäglich erscheinenden politischen Zeitschrift des RNF sowie der alldeutschen täglich erscheinenden Deutschen Zeitung und ihrer Frauenbeilage zeigen kann. Flankierend dazu zieht Streubel die Publikationen des Reichsfrauenausschusses der DNVP hinzu, um das Netzwerk, in dem sich die radikalnationalistischen Publizistinnen bewegten, zu erhellen. Jenseits spezifisch frauenpolitischer Fragen fanden sie in der von Männern dominierten nationalistischen Zeitungslandschaft allerdings nur selten Gehör. Wie groß die Skepsis vor den politischen Publizistinnen im radikalnationalistischen Lager in den Weimarer Jahren war, zeigt das Beispiel der Deutschen Zeitung, deren Redaktion die Arbeit der Aktivistinnen steter Aufsicht aussetzte. So blieb der Aktionsradius der nationalistischen Publizistinnen begrenzt.

Im zweiten Teil ihrer Arbeit analysiert Streubel unter den Stichworten ,,Frauen", ,,Volk" und ,,Staat" politisch-programmatische Artikel von RNF-Aktivistinnen. Wenngleich sie sich nicht auf eine bestimmte nationalistische Strömung festlegen ließen, blieben die Publizistinnen in starkem Maße von ,,Denkmustern männlicher Ideologen und Vereinsführern geprägt" und versäumten es, ,,eigene Akzente" zu setzen (S. 394, 395). Vehement stritten die Publizistinnen indes gegen die enge Verschränkung der radikalnationalistischen mit der antifeministischen Ideologie und plädierten für eine Aufhebung des Machtgefälles zwischen Männern und Frauen in der nationalen Bewegung (S. 403). Um ihren Anspruch auf politische Teilhabe zu manifestieren, propagierten sie neue ideale Frauenleitbilder wie die ,,Volksmutter", die ,,Persönlichkeit" oder die ,,Führerin" (S. 399), die der deutschen Frau einen Platz nicht mehr allein in der Familie oder in karitativen Organisationen, sondern auch in der politischen Sphäre zuwiesen und damit zur Bildung eines spezifisch völkisch-nationalen Feminismus beitrugen. Christiane Streubel zeigt damit, dass die Spielarten des Feminismus und der feministischen Bewegungen in den Weimarer Jahren noch um ihre völkisch-nationale Variante erweitert und daher künftig stärker auf ihre ,,anti-universalistischen und diskriminierenden Traditionen" befragt werden müssen (S. 402).

Durch aufwändige semantischen Wortfeldanalysen gelangt Streubel überdies zu der überraschenden Erkenntnis, dass antisemitische Äußerungen in den publizierten Texten der radikalnationalistischen Publizistinnen nur eine verhältnismäßig geringe Rolle spielten. Daraus lässt sich jedoch keineswegs auf eine fehlende antisemitische Haltung schließen, wie sich gerade auch mit dem kritischen Blick auf Egodokumente oder andere Textproduktionen der Publizistinnen feststellen lässt (S. 397). Ebenso erstaunlich ist die Beobachtung, dass die Bedeutung religiöser Gemeinschaften oder des Topos der ,,christlichen Frau" für die radikalen Nationalistinnen kaum eine Bedeutung zu haben schien. Zur Behebung dieses Forschungsdesiderats empfiehlt Streubel eine stärkere Durchdringung des Beziehungsgeflechts zwischen den Ideen radikalnationalistischer Frauen und Religion (S. 396, 397).

Mit ihrer außerordentlich fundierten, sorgfältig recherchierten, sensibel urteilenden und nicht zuletzt hervorragend lesbaren Studie legt Christiane Streubel neue Maßstäbe für die Erforschung der Programmatik und institutionellen Bindung nationalistischer Frauen in der Weimarer Republik.

Beate von Miquel, Bochum


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