Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Dennis Riffel, Unbesungene Helden. Die Ehrungsinitiative des Berliner Senats 1958 bis 1966 (Dokumente - Texte - Materialien, Bd. 63), Metropol Verlag, Berlin 2007, 277 S., kart., 19,00 €.
Die Entstehungsgeschichten und Ausprägungen von Gedenkstätten und Denkmälern spiegeln eindrücklich den Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik und der DDR wider. Über Jahre hinweg - und insbesondere für den Raum Berlin - galt ihnen ein ausgeprägtes Forschungsinteresse. Seit einiger Zeit scheint sich dieser Trend zur Untersuchung von Gedenktagen und Ehrungen zu verschieben, eine Entwicklung, die durch Festschriften oder die jüngst erschienene Dokumentation zum 50jährigen Jubiläum des Leo-Baeck-Preises ergänzt wird. (1) Ohne Jubiläum auskommen musste hingegen eine in der Bundesrepublik einzigartige, doch kurzlebige Ehrungsinitiative mit dem Namen ,,Unbesungene Helden". In deren Verlauf wurden von 1958 bis 1966 760 Menschen vom Berliner Senat ausgezeichnet, weil sie während der NS-Zeit Verfolgte, in den meisten Fällen Jüdinnen und Juden, unterstützt, versteckt und verpflegt hatten. In seiner Dissertation, die nun als überarbeitete Fassung vorliegt, widmet sich Dennis Riffel dieser bisher noch nicht untersuchten Initiative und schließt damit eine Forschungslücke in der Betrachtung der Berliner Nachkriegsgeschichte und der bundesrepublikanischen Gedenkkultur.
Für seine Analyse greift Riffel hauptsächlich auf bisher unausgewertete Bestände des Berliner Entschädigungsamtes und der Berliner Senatsverwaltung für Inneres aus dem Landesarchiv Berlin zurück. Dabei geht er zunächst auf das Zustandekommen der Initiative ein, das vor allem dem Engagement des damaligen West-Berliner Innensenators Joachim Lipschitz - während der NS-Zeit selbst als ,,Halbjude" von Helfern versteckt - geschuldet war. Inspiriert vom gleichnamigen Werk des jüdischen Publizisten Kurt Grossmann und mit Unterstützung der Jüdischen Gemeinde Berlins sowie der Arbeitsgemeinschaft der Verfolgtenverbände regte der Senator die Ehrungen der sogenannten ,,Unbesungenen Helden" Ende der 1950er-Jahre an, die bis zu diesem Zeitpunkt unbeachtet geblieben waren. Dies war unter anderem dem verengten Widerstandsbegriff jener Zeit geschuldet, der sich - auch angesichts der Verklärung des kommunistischen Widerstands in der DDR - auf den 20. Juli 1944 konzentrierte und die Helferinnen und Helfer aus dem kollektiven Erinnern und Gedenken herausfallen ließ (S. 35). Auch dass die Helfer von der Mehrheitsgesellschaft als eine Art ,,lebender Vorwurf" (S. 32) wahrgenommen wurden, spielte bei deren Marginalisierung eine maßgebliche Rolle.
Im zweiten Teil der Studie analysiert Riffel die administrative Umsetzung der Initiative und stellt die Frage, warum von 1.864 Antragstellern weniger als die Hälfte als ,,Unbesungene Helden" geehrt wurden, ins Zentrum seiner Untersuchung. Die Ehrung beinhaltete nicht nur eine ideelle Auszeichnung für die Helferinnen und Helfer, sondern bot auch - bei nachgewiesener Bedürftigkeit - eine einmalige oder regelmäßige finanzielle Unterstützung für diejenigen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz keinen Anspruch auf Entschädigung geltend machen konnten. Zwar war die Ehrungsinitiative für Senator Lipschitz auch ein soziales Anliegen, das mit der Schaffung einer verwaltungsrechtlichen Grundlage seit 1960 aus dem Berliner Landeshaushalt finanziert wurde. Vordergründig war es jedoch sein Bestreben, ,,die Ehre seines Landes wiederherzustellen" (S. 64) und das mutige Handeln Einzelner hervorzuheben, denen, so Lipschitz, mehr Ehre gebühre, ,,als tausenden Generälen" (S. 61).
Sachlich und quellennah rekonstruiert und beurteilt Riffel die aufwändigen verwaltungstechnischen Wege innerhalb der Senatsverwaltung und des Entschädigungsamtes, um die Erfüllung der zahlreichen Kriterien für eine Annerkennung als ,,Unbesungener Held" zu überprüfen. Dabei beleuchtet er die Perspektiven von Antragstellern sowie Bearbeitern und verdeutlicht die Interpretationsspielräume, mit denen sich Letztere konfrontiert sahen, etwa wenn sie bewerten mussten, ob ,,Uneigennützigkeit" vorlag, Schutz und Hilfe ,,in nicht unerheblichen Maße" gewährt wurde oder sich die Helferinnen und Helfer durch ihr Handeln selbst in Gefahr begeben hatten. Bei der Lektüre vollzogener und nicht vollzogener Ehrungen mag den Leser zuweilen Fassungslosigkeit ergreifen. So liest man von Fällen, in denen Hilfe, etwa von Geistlichen, als ,,moralisch selbstverständliche Hilfe" (S. 184) betrachtet und daher von einer Ehrung abgesehen wurde. Als ebenso selbstverständlich wurde die Hilfe unter Ehepartnern eingestuft. Dabei wurde übersehen, dass während der NS-Zeit viele eben nicht die Standfestigkeit aufbrachten, die Ehe mit dem jüdischen Ehepartner aufrecht zu erhalten (S. 199). Ebenso erscheinen einige Ablehnungen aufgrund ,,ehrenrührigen Verhaltens" (S. 210) aus heutiger Sicht unverständlich. Eine NSDAP-Mitgliedschaft des Antragstellers oder der Vorwurf, dieser bekämpfe die ,,freiheitlich-demokratischen Grundordnung", klingen unter den Vorzeichen des Kalten Krieges und des Antikommunismus in der Bundesrepublik und der ,,Frontstadt" Berlin (S. 205) hingegen nachvollziehbar. Im - vielleicht etwas kurzen - dritten Teil untersucht der Autor die öffentliche Präsentation der Berliner Ehrungsinitiative sowie deren Auswirkungen nach 1996 und ordnet sie in den bundesrepublikanischen Umgang mit der NS-Vergangenheit und den Kontext des Ost-West-Konflikts ein. Die Einmaligkeit und Vorreiterrolle der Initiative wird hier noch einmal deutlich, denn bis zur Auszeichnung von Helferinnen und Helfern mit dem Bundesverdienstkreuz in den 1970er Jahren gab es in der Bundesrepublik keine derartigen Ehrungen. Ob es diesbezüglich Initiativen oder zumindest Resonanzen in der DDR gegeben hat, lässt der Autor leider offen.
Es sind die Berücksichtigung verschiedener Faktoren und die ausgewogen kritische Beurteilung der Initiative, welche Riffels Studie - neben der sehr detaillierten und kenntnisreichen Auswertung des umfangreichen Quellenmaterials - so wertvoll machen. Über die genannten Aspekte hinaus vermittelt die Untersuchung ein eindringliches Bild der vorherrschenden Moralvorstellungen der Bundesrepublik in den späten Fünfziger- und Sechzigerjahren und des ,,Nicht-Wahrhaben-Wollens" des Holocausts, dem mit der Ehrungsinitiative ein Heldenbild entgegen gesetzt wurde. Anhand der Initiative der ,,Unbesungenen Helden" könnten die genannten Aspekte in folgenden Studien noch detaillierter betrachtet werden, um weitere Perspektiven der bundesdeutschen Erinnerungskultur zu vertiefen. Dennis Riffel ist es zu verdanken, dass durch seine grundlegende Untersuchung ein wichtiger Schritt in diese Richtung gemacht worden ist.
Gerd Kühling, Berlin
Fußnoten:
1 50 Jahre Leo-Baeck-Preis: 1957 - 2007. Verliehen vom Zentralrat der Juden in Deutschland, Hentrich & Hentrich, Berlin, 2007.