ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Wolfgang Schmale/Martin Gasteiner/Jakob Krameritsch/Marion Romberg, E-Learning Geschichte (Böhlau Studienbücher), Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2007, 219 S., kart., 19,90 €.

Fällt das Stichwort E-Learning, werden die Universitätsverwaltungen regelmäßig von populistischer Hysterie ergriffen und in den Augen der Personalverantwortlichen glänzen Euro-Zeichen. Insbesondere zukunftsfähige, fortschrittskompatible Wissenschaftsminister erproben sich in euphorischer Reformpoesie und schwärmen von ganz neuen Lernformen und neuen Lernmärkten, wobei sie bisweilen nahe an die Vision eines Neuen Medialen Menschen kommen. Kurz gesagt: E-Learning ist ein Symptom für eine neue Qualität sozialen Wandels in der Wissenschaft und löst folgerichtig Begeisterung und Aversionen aus. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass der ausgewiesene Wiener Kulturhistoriker Wolfgang Schmale mit seinen Mitarbeitern eine kulturwissenschaftlich aufgeklärte, kritische Sichtung von Chancen und Grenzen des E-Learning in der historischen Fachkultur vorgenommen hat. Präsentiert werden auf diese Weise zugleich Ergebnisse der ,Wiener elektronischen Schule', die den Prozess der Virtualisierung historischer Fachwissenschaft maßgeblich mitgestaltet und zugleich reflektiert. Wer ein schlichtes Nachschlagewerk erwartet, das im Stil schludriger PC-Ratgeberliteratur ,E-Learning in 7 Tagen' verspricht, schlecht recherchierte Faktografie bietet und bei der Verwendung des Etiketts E-Learningkompetenz ein gutes Gewissen verschafft, wird sicher enttäuscht werden. In der Tradition historisch-kritischen Verstehens geht es den Autorinnen und Autoren vor allem darum, Verständnis für die Voraussetzungen, Abläufe und Folgen der elektronischen Revolution in den Humanwissenschaften zu ermöglichen. Diese verstehende Kontextualisierung der medialen Revolution reduziert bewusste und unbewusste Ekelschwellen in einer nach wie vor habituell textorientierten Zunft, die von der Funktionalität des Internet zwar gern Gebrauch macht, die vielfältigen Rückwirkungen auf Forschung und Lehre allerdings kaum wahrnimmt.

Bereits die klare Gliederung des Bandes überzeugt. Im ersten Kapitel wird der reformpolitische und fachhistorische Rahmen vorgestellt, in dem E-Learning stattfindet. Die Darstellung des Bologna-Prozesses mit seinen elektronisch-partizipatorischen Zielsetzungen ist fair: nicht jede Dysfunktionalität der Umsetzung wird als unmittelbare Folge des Ansatzes einer Vereinheitlichung der Studienarchitektur in Europa gesehen. Zugleich werden die unbestreitbaren Defizite wie eine de facto gesunkene studentische Mobilität offen angesprochen. Weitere Rahmenbedingungen sind die generellen Auswirkungen elektronischer Medien und das Postulat des lebenslangen Lernens, zusammengefasst in der Formel, ,,dass an den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Bezug auf Studium und Wissenschaft Produktivität, Effizienz, Qualität, Teamwork (auch in den Geisteswissenschaften!), europäische/internationale Kommunikation und Vernetzung (Wissenschaft und Gesellschaft), Nutzung didaktischer Techniken erhöht werden sollen und müssen, um den Hunger der Wissensgesellschaft stillen zu können." (S. 28) Dass dies keine Zauberformel, sondern ein Programm ist, das ein hohes Maß an Bereitschaft zu interaktiver Mitgestaltung des Einzelnen erfordert, zeigen die folgenden Abschnitte.

Das zweite Kapitel führt in die Grundlagen des E-Learning ein und schafft Bewusstsein dafür, dass dieses nicht nur ,Lernen mit dem Internet' ist: ,,es umfasst mehr als ein online gestelltes pdf-Dokument und beschränkt sich auch nicht auf den Einsatz einer online-Lernplattform. [...] Die Bandbreite reicht von der E-mail-Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden über die Erstellung einfacher HTML-Seiten bis hin zur Entwicklung komplexer, multimedialer (Lern-)Umgebungen [...]." (S. 35) Vorgestellt werden u.a. Typen des E-Learning, webbasierte Lernobjekte sowie Techniken zur Verbreiterung der E-Medienkompetenz. Die Qualität dieser Ausführungen erkennt man auch an der deutlichen Distanz gegenüber der modischen hochschuldidaktischen und Coaching-Küchenpsychologie, bei der die motivationale Endlosschleife im Geist des Stuhlkreises an die Stelle jedweder Fachkompetenz tritt.

Das dritte Kapitel ist für alle Hauptberuflichen in der Lehre besonders interessant, denn hier geht es um die strategischen Optionen des Einsatzes von E-Learning. Präsentiert werden u.a. mehrere Universitätskonzepte zur Verbesserung der Lehre mittels E-Learning und sogenannte Lern- und Conententmanagementsysteme - für die Qualität dieses TechnikSprech darf man das Team um Schmale nicht verantwortlich machen.Wer von E-Learning handelt, muss sich auf die Sprachspiele des Referenzfeldes einlassen.

Das vierte Kapitel stellt webbasierte Lernobjekte im Fach Geschichte vor. Von der Quellenarbeit über die Beteiligung an bereits bestehenden Lernprojekten bis zur thematischen Recherche im Internet reichen die Perspektiven, die auch für Studierende aufschlussreich sind. Denn die hier gebotene Dienstleistung ist den meisten neuen Einführungen in das Studium der Geschichte bestenfalls rudimentär entahalten.

Das abschließende fünfte Kapitel führt in die hohe Schule des Hypertext ein und benennt die Bedingungen des Schreibens im Internet. ,,Mit der Publikation bei einem renommierten Verlag [...] findet [ein Werk, RUK] den offensichtlich besseren Anschluss an den Wissenschaftsbetrieb. Die gedruckte Monographie ist weiterhin das Statussymbol des akademischen Raumes. Ganz anders stellt sich demgegenüber die bildungspolitische und technostrukturelle Situation rund um den Hypertext dar: Dieser befindet sich sowohl in seinen technologischen Grundlagen als auch in seiner sozialen und (bildungs-)politischen Nutzung in einer immer noch andauernden Entwicklungsphase." (S. 174) Die Autoren führen vor, für welche Probleme Hypertext eine adäquate Antwort sein kann und welcher Schreibpraxis es dafür bedarf. Sie zeigen, warum ein Text nicht mit ,Links' dekoriert, sondern nach bestimmten Regeln eigens geschrieben werden muss. Nur dann kann das Hauptleistungsmerkmal der Hypertextualität, die assoziative im Gegensatz zur linear-textuellen Vernetzung von Information, optimal genutzt werden.

Die Distanz schaffenden Reflexionen des Autorenteams zu den Auswirkungen des Internet auf die historischen Fachkulturen gehören zu den Höhepunkten dieser Einführung in das E-Learning. Ihre Betonung der ,,Verflüssigung und Beschleunigung der Kommunikation" (S. 20), der erheblichen Unterschiede zwischen netzbasierter und traditionell textzentrierter Forschung, des strukturell multimedialen Charakters des Mediums Netz, der Tendenz zur Multidisziplinarität und der latenten Entindividualisierung wissenschaftlich generierten Wissens mag die Berufshistorikerinnen und Berufshistoriker wohl nachdenklich stimmen. Das gilt z.B. für den Aspekt der suggestiven Steuerung durch die Logik des Internets, ,,da das Medium ,Netz' gewissermaßen laut am Bildschirm aufstöhnt, wenn es nur mit Text und nicht wenigstens auch mit Bildquellen gefüttert wird, da es erst dann zufrieden grunzt, wenn auch Tonquellen und Movies enthalten sind [...]." (S. 22) Wolfgang Schmale und sein Team haben eine Historik der virtualisierten Geschichtswissenschaft vorgelegt, die Lehrenden wie Lernenden uneingeschränkt empfohlen werden kann, die sich realistisch über die Potenziale des E-Learning kundig machen und ihre Fachidentität erhalten wollen.

Rolf-Ulrich Kunze, Karlsruhe


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