Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Kim Christian Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik (Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 17), Wallstein Verlag, Göttingen 2007, Ln., 864 S., 48,00 €.
Kim Christian Priemels Buch ist in vielerlei Hinsicht gewichtig, aber keine Unternehmerbiografie. Der Untertitel verrät, dass die Geschichte des Konzerns ganz im Vordergrund steht. Ein familienbiographischer Zugang hätte sich auch nicht angeboten, da Friedrich Flicks Sohn Friedrich Karl den Konzern 1985 und damit bereits 13 Jahre nach dem Tod seines Vaters auflöste. Im Mittelpunkt dieser Konzerngeschichte steht der Aufbau und die Entwicklung einer familiengeführten Unternehmensholding, die sich in den Dreißigerjahren zu einer der stärksten Eigentümerunternehmen Deutschlands entwickelte und trotz ihrer Vermögensverluste in Ostdeutschland das größte industrielle Privatvermögen in der Bundesrepublik werden sollte.
Im scheinbaren Widerspruch zu seiner Prominenz als Urheber des größten deutschen Parteispendenskandals war Friedrich Flick ein verbandspolitisch eher unauffälliger Unternehmer, der sich hinter den politischen Kulissen und nur als Lobbyist in eigener Sache engagierte. Im Unterschied zu den etablierten Unternehmern der Montanindustrie wie Paul Reusch und Fritz Thyssen setzte er zur Durchsetzung seiner Interessen nicht auf die Interessenverbände der Schwerindustrie und profilierte sich kaum durch eigenes wirtschaftspolitisches Engagement. Flick bediente sich bei seinem Streben nach wirtschaftlicher Macht einer gezielten strategischen Beteiligungspolitik, mit deren Hilfe er in den Zwanzigerjahren die Kontrolle über Deutschlands größten Montankonzern, die Vereinigten Stahlwerke eroberte. Über die strategische Beteiligung am wichtigsten Miteigentümer der Vereinigten Stahlwerke (der Gelsenberg AG) und die geschickte Bündelung der Stimmrechte vervielfachte Flick die Einflussmöglichkeiten, die ihm sein eigenes Kapital ermöglicht hätte.
Flick machte sich immer wieder die außenpolitischen, innenpolitischen, rüstungspolitischen und wirtschaftspolitischen Interessen der Weimarer Regierungen, der nationalsozialistischen Herrschaft und der bundesdeutschen Bundes- und Landesregierungen zunutze, um mit Hilfe seiner berühmt-berüchtigten politischen Klimapflege durch Spenden, mit Versprechungen und mit erpresserischen Täuschungen eine wirtschaftspolitische Vorzugsbehandlung und steuerliche Vorteile für seinen Unternehmensverbund zu erzielen.
Priemel zeigt in seiner beeindruckend materialreichen Studie mit akribischer Tiefe und großer unternehmensgeschichtlicher Sachkenntnis, wie geschickt Flick sein Beteiligungsportefeuille umschichtete, um sein Vermögen durch das Ausnutzen von längerfristigen konjunkturellen und strukturellen Trends zu vermehren. Die Fülle des Aktenmaterials aus der Flick-Holding und den Unternehmen des Konzerns eröffnet tiefe Einsichten in die strategische Unternehmenspolitik, die Entscheidungsprozesse der Holding und in die Geschäftsentwicklung der Konzernbetriebe.
So konnte Flick auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise die drohende Insolvenz seiner Holding mit Hilfe einer politisch wirksamen Drohung abwenden. Mit der Drohung, seine Gelsenberg-Anteile und damit die Kontrolle der Vereinigten Stahlwerke in französische Hände zu verkaufen, erzwang er eine Intervention der Reichsregierung, die ihm seine Anteile erheblich über dem Kurswert abkaufte. 1933 unterstützte Flick aus persönlichem Gewinninteresse den Energiekonzern RWE bei der feindlichen Übernahme der Rheinbraun AG, deren jüdischer Aufsichtsratsvorsitzender Paul Silverberg bereits aus seinen öffentlichen Ämtern verdrängt war. 1938 verschaffte sich Flick durch intensives politischen Lobbying Görings Genehmigung, den Braunkohlekonzern der jüdischen Unternehmerfamilie Petschek exklusiv zu ,,arisieren" und durch den Ausschluss von Mitbewerbern den Kaufpreis zu seinem Vorteil zu drücken. Flick handelte als ,,Arisierer" und Ausbeuter von Zwangsarbeitern nicht aus rassenpolitischer Überzeugung, sondern aus unternehmerischem Opportunismus - und damit nicht skrupelloser oder verantwortungsbewusster als die Mehrzahl seiner Unternehmerkollegen.
Flicks Unternehmensstrategie, durch Androhung politisch unakzeptabler Kapitaltransaktionen staatliche Unterstützung zu erzwingen, änderte sich über den politischen Epochenwechsel nicht. Sein Sohn Friedrich Karl drohte 1975, seine große Daimler-Benz-Beteiligung an den Iran zu verkaufen, und setzte damit eine weitgehende Steuerbefreiung für den Verkaufsgewinn durch.
Der Autor präsentiert eine methodisch fundierte unternehmensgeschichtliche Langzeitstudie zur Konzernentwicklung, bei der er sich der Fragestellungen der Corporate Governance-Forschung, die sich mit gesellschaftlich verantwortungsvoller Unternehmensführung auseinandersetzt, bedient. Dieser Ansatz, den Priemel in seiner Einleitung schlüssig begründet, wird in den Zwischenfazits der einzelnen Kapitel und in der abschließenden Zusammenfassung wieder aufgegriffen. Mit der Frage nach der Corporate Governance erweitert Priemel den traditionellen organisationsgeschichtlichen Blickwinkel der Unternehmensgeschichte und erklärt das Funktionieren der Flick-Holding und seines Unternehmenskonglomerats sehr schlüssig. Seine Studie zeigt, dass sich der Flick-Konzern nur eingeschränkt mit anderen familiengeführten Montanunternehmen wie Krupp und Otto Wolff vergleichen lässt. Der Unterschied bestand nicht allein darin, dass Flick sein Beteiligungsportefeuille sehr viel häufiger und gründlicher umschichtete und daher zu Recht mehr als ein Firmenhändler denn als Montanunternehmer gesehen wurde. Im Unterschied zu Krupp wurde der Flick-Konzern nicht durch ein Kernunternehmen mit starker operativer Steuerungsfunktion und einer ausgeprägten Corporate Identity, sondern durch eine schlanke Holding geführt, die sich auf die strategische Konzernentwicklung und das Finanzmanagement konzentrierte und die operative Unternehmensführung in den Konzernunternehmen beließ.
Priemel beantwortet die nahe liegende Frage nach dem Gewicht der personalen gegenüber den strukturellen Faktoren überzeugend. Die Zentralisierung der strategischen Entscheidungskompetenzen in der Person Friedrich Flicks und seinen langjährigen und treu ergebenen Generalbevollmächtigten lässt sich tatsächlich nicht durch objektive Sachzwänge, sondern durch den persönlichen Führungsstil des Konzernherrn erklären.
Christopher Kopper, Bielefeld