ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

John Lewis Gaddis, der Doyen der amerikanischen Kalten-Krieg-Historiografie, hat im Jahr 2005 ein Resümee seiner 30-jährigen Beschäftigung mit diesem Thema unter dem programmatisch knappen Titel ,,The Cold War" vorgelegt. ,,Can't you cover more years with fewer words?", hätten ihn seine Studenten in Yale gefragt, schreibt Gaddis im Vorwort des Originals. Dass er es kann, beweist der - gemessen an seinem bisherigen Oeuvre - bündige und im feuilletonistischen Stil geschriebene Text. Ein Überblick, besonders für die Jüngeren, die das Geschehen nicht selbst erlebt haben, soll es sein, unter dem erweiterten Blickwinkel heutigen Wissens zwar, aber eben kein originär wissenschaftliches Werk. Dagegen greift der verheißungsvolle Untertitel ,,A new History" - auf den die britische Edition von 2006 in kluger Bescheidenheit verzichtet - etwas zu weit. Gaddis präsentiert auf gut 260 Seiten vieles aus seinen früheren Schriften und der einschlägigen Literatur Bekanntes, an eigentlich Neuem indes wenig, das über den heutigen Kenntnisstand seiner Disziplin hinausginge. Unkonventionell ist allerdings sein Konzept, das komplexe Geschehen in sieben wie Essays geschriebenen und entsprechend prägnant betitelten Kapiteln auf das aus seiner Sicht Wesentliche zu konzentrieren und zugleich durchweg originell, wenn auch nicht immer ideologiefrei zu interpretieren. Der Anfang 2007 bei Siedler erschienenen deutschen Ausgabe ist ebenfalls der vollmundige Untertitel ,,Eine neue Geschichte" beigegeben, den man hier angesichts des für deutsche historische Literatur ungewöhnlich salopp geschriebenen Textes eher durchgehen lässt. Leider verdirbt die häufig unsensible Übersetzung viele der Gaddis Erzählstil auszeichnenden Pointen und scheint im übrigen zuweilen den Zusammenhang aus den Augen zu verlieren (deshalb im Folgenden die englischen Kapiteltitel).

Gaddis beschreibt mit der dem Zeitzeugen eigenen Zuneigung politische Führer und andere bedeutende Akteure, deren Einfluss auf den Gang des Geschehens ihm zumindest interessanter erscheint als die Wirkungsmacht historischer Determinanten. So präsentiert er bereits im ersten Kapitel ,,The Return of Fear" (Wiederkehr der Angst) nicht weniger als eine schlüssige Genesis des Kalten Krieges. Wenn er als Stalins Nachkriegsziele: ,,[...] Sicherheit für ihn selbst, sein Regime, sein Land und seine Ideologie in genau dieser Reihenfolge", nennt, erscheint dies nicht unbedingt konträr zu den amerikanischen Vorstellungen von kollektiver Sicherheit, die immerhin noch mit der Gründung der Vereinten Nationen unter Beteiligung der Sowjetunion Gestalt annahmen. Um solche Gemeinsamkeit auf Dauer tragfähig zu machen, hätte zwischen den gegensätzlichen Systemen allerdings eine gewisse Kompatibilität entwickelt werden müssen. Auf beiden Seiten war jedoch der ideologische Eigensinn stärker als die für einen Modus vivendi notwendige Konzessionsbereitschaft, führte das prinzipielle Misstrauen gegenüber der Redlichkeit des anderen zur Fixierung auf unilaterale Sicherheitsdoktrinen, und gerieten notorische Kommunikationsstörungen zu sich selbst reproduzierenden Missverständnissen. Die Zuversicht, aus diesem schrecklichsten aller Kriege werde eine geläuterte Welt zu dauerhaftem Frieden finden, wurde bald von der Furcht verdrängt - Furcht vor einem neuen Autoritarismus und vor dem apokalyptischen Potenzial der Atombombe. Im zweiten Kapitel ,,Deathboats and Lifeboats" (Schiffbruch mit Tiger) setzt Gaddis sich mit den politischen und strategischen Konsequenzen der Entwicklung der Atombombe auseinander. Er zeigt den Bewusstseinswandel von dem ersten und einzigen Einsatz dieser Massenvernichtungswaffe in Hiroshima und Nagasaki bis zur Erkenntnis ihrer prinzipiellen Nichteinsetzbarkeit und erklärt damit die genuine Eigenart des Kalten Krieges, nicht zu einem heißen Krieg zu eskalieren. (Die in der deutschen Übersetzung gewählte - offenbar dem deutschen Titel von Yann Martels Roman ,,Life of Pi" entlehnte - Überschrift ,,Schiffbruch mit Tiger" trifft weder den Inhalt des Kapitels noch Gaddis Metapher und ist deshalb unsinnig.) Im dritten Kapitel ,,Command versus Spontaneity" (Kommando kontra Spontaneität) analysiert Gaddis die dem Kalten Krieg zugrunde liegende Systemkonkurrenz zwischen dem nach revolutionärem Aufbruch in doktrinärem Autoritarismus erstarrten Sowjetkommunismus und einem aus den Katastrophen der Weltkriege hervorgegangenen demokratischen Kapitalismus. Im vierten Kapitel ,,Emergence of Autonomy" (Entstehung der Autonomie) schildert Gaddis, wie die Bipolarität des Ost-West-Konflikts mit dem Aufkommen der Blockfreien und zentrifugalen Tendenzen innerhalb der Blöcke relativiert wird. Das fünfte Kapitel ,,The Recovery of Equity" (Wiederentdeckung der Gerechtigkeit) handelt von den in Amerika durch den Vietnamkrieg und in der Sowjetunion durch die Niederschlagung des Prager Frühlings nahezu zeitgleich ausgelösten Glaubwürdigkeitskrisen, die sich für beide Führungsmächte des Kalten Krieges als gravierende Schwächung auswirken. Im sechsten Kapitel mit dem lakonischen Titel ,,Actors" (Schauspieler) verliert Gaddis bislang locker erzählte und mit Fakten plausibel fundierte Darstellung an Stringenz und gerät nun tatsächlich zur Heldengeschichte. Den Rahmen dafür bildet die Betrachtung des Kalten Krieges als eines großen Theaters, dessen Handlung von großen Schauspielern, nämlich Papst Johannes Paul II, Lech Walesa, Margret Thatcher, Deng Xiaoping, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, vorangetrieben wird. Diese zugespitzte Personalisierung begründet er mit der These, der Kalte Krieg habe einen widernatürlichen Status quo eingefroren und dadurch ein politisches Vakuum entstehen lassen, das die genannten Akteure zu unkonventionellem Handeln und damit zu einer Sabotage des Status quo herausforderte. Das kurze letzte Kapitel ,,Triumph of Hope" (Triumpf der Hoffnung) führt nochmals die Geschehnisse auf, mit denen aus amerikanischer Sicht der Kalte Krieg endete, also den Machtverlust der kommunistischen Regime in Osteuropa und die Auflösung der Sowjetunion.

Als stilistischer wie konzeptioneller Gegenentwurf zu Gaddis kann Bernd Stövers ebenfalls Anfang 2007 bei Beck erschienene, bald doppelt so umfangreiche Darstellung ,,Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters" gelesen werden. Stöver gliedert sein ambitioniertes Werk in zwölf Kapitel, von denen acht traditionell chronologisch und vier querschnittartig angelegt sind. Die überreichlich präsentierte Menge an Einzelinformationen steigert freilich nicht immer den Erkenntniswert, zumal wenn diese aneinandergereiht werden, ohne den abgehandelten Inhalt zu strukturieren. So wird auch die Charakterisierung als radikales Zeitalter im Text nicht plastisch, sondern steht wohl für eine zugespitzte Deutung, die der Autor seinem Sujet voranstellt.

In seiner literaturkritischen Einleitung mit dem Titel ,,Ideologie und Atomwaffen" stellt er als Quintessenz die These heraus, dass der Kalte Krieg in allem außer dem Einsatz militärischer Mittel ein ,,totaler" Krieg gewesen sei. Die ersten vier Kapitel beschäftigen sich mit dem Ost-West-Konflikt als Vorgeschichte des Kalten Krieges, den sicherheitspolitischen und ideologischen Gegensätzen am Ende der alliierten Koalition, den Krisen der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Formierung der Blöcke, China und den Blockfreien sowie den Aufständen im Ostblock und der Zweiten Berlinkrise bis zum Mauerbau. Es folgen Themenkapitel zur Rüstungstechnologie, zu öffentlichen Wahrnehmungen des Atomzeitalters, der Entwicklung von Protestbewegungen bis zum Terrorismus, zur Instrumentalisierung der Kultur im Kalten Krieg und zur wirtschaftlichen und sozialen Systemkonkurrenz. Die letzten vier Kapitel handeln von den Konflikten in der Dritten Welt bis zur Kubakrise, der Entspannungspolitik von den späten 1950er- bis Ende der 1970er-Jahre, der neuerlichen Konfrontation seit 1978 und der Auflösung des Ostblocks. Auch Stöver fügt seinem umfangreichen Text noch einen Epilog mit dem kryptischen Titel ,,Ein Nachkrieg" an, in dem er den unterschiedlichen Bewertungen des Kalten Krieges gerecht zu werden versucht und schließlich noch den Bogen zum 11. September 2001 und zum Irakkrieg spannt.

Dass der Kalte Krieg ein machtpolitischer und ideologischer Konkurrenzkampf zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion war, steht für den Amerikaner John Lewis Gaddis außer Frage. Folglich hält er sich nicht mit definitorischen Erörterungen auf, denen Bernd Stöver in seiner Einleitung breiten Raum gibt. Die Sinnhaltigkeit des Begriffs steht freilich schon seit längerem in Frage. So mokierte sich Ernst Nolte schon vor 25 Jahren in ,,Deutschland und der Kalte Krieg" über das Paradox, dass der Kalte Krieg dem heißen Krieg um so näher stünde, je kälter er sei - um dann freilich festzustellen, der Begriff sei nicht nur unbestimmt, sondern auch unverwechselbar und daher unentbehrlich. Daniel Yergin fand in seiner postrevisionistischen Studie ,,Shattered Peace - the Origins of the Cold War and the National Security State" von 1979 die Formulierung ,,Waffenstillstand unter Waffen". Gaddis selbst hatte 1987 mit dem Titel: ,,The Long Peace: Inquiries into the History of the Cold War", einen eingängigen Gegenbegriff geprägt, den er in seinem aktuellen Text allerdings - in merkwürdiger Distanzierung von sich selbst - den Absurditäten eines Supermachtpatts zurechnet. Schon Mitte der 1970er-Jahre, auf dem Höhepunkt der Entspannungspolitik in Europa, war die Neigung verbreitet, dem Topos die semantische Schärfe zu nehmen und von ,,Nichtkrieg", oder viel besser noch, vom ,,Kalten Frieden" zu reden. Solche begrifflichen Schwankungen spiegelten auch die Ungewissheit wider, ob die Entspannung der 1970er-Jahre lediglich auf eine Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln hinauslief, dessen periodisch auftretenden Tauwettern zuzurechnen war oder gar als politische Alternative an seine Stelle treten würde.

Was Entspannung im Kontext des Kalten Krieges tatsächlich bedeutet und inwieweit sie dessen Verlauf beeinflusst hat, wird weder bei Gaddis noch bei Stöver eindringlich thematisiert. Bei ersterem nicht, weil Entspannung nach amerikanischem Verständnis eine technokratische Kategorie ist. So sieht er als ,,Herzstück der Entspannung [...] die sowjetisch-amerikanische Anstrengung, den nuklearen Rüstungswettlauf zu begrenzen" (S. 248), und blendet deren strategische Dimension, die er zuvor mit den Folgewirkungen der Schlussakte von Helsinki noch anschaulich zu schildern weiß, schlechterdings aus. Das ist, wenn man ihm dabei folgt, den Kalten Krieg als Konsequenz des atomaren Patts zu sehen, zwar nicht ohne Logik, spiegelt aber auch das der amerikanischen Politik nach Kennedy mangelnde Verständnis für die Dialektik der Entspannungspolitik wider. Folglich bleibt fragmentarisch, was Gaddis auf einer halben Seite zu Willy Brandts Ostpolitik ausführt. Mit der sarkastischen Bemerkung, Nixon und Kissinger hätten die Neue Ostpolitik wohl deshalb mit Argwohn betrachtet, weil sie nicht selbst darauf gekommen waren, ist das Thema für ihn dann erledigt.

Nun ist die Entspannungspolitik nicht nur in Amerika sondern auch im konservativen Meinungsspektrum Europas als Appeasement missverstanden worden. In Wirklichkeit beruhte sie - ähnlich wie die liberation policy, nur effektiver als diese - auf einem revisionistischen Impetus. Es ging darum, gerade solche Verhältnisse zu verändern, an deren Bewahrung der Gegner im Kalten Krieg ein essenzielles Interesse hatte. Dass dies - bei Ausschluss militärischer Gewaltanwendung - allein mit rhetorischer Kriegsführung nicht zu erreichen war, liegt auf der Hand. Also musste zwischen den verhärteten Fronten des Kalten Krieges nach kleinsten Schnittmengen gemeinsamer Interessen gesucht werden, um dort mit einvernehmlichen Regelungen den Boden für Veränderungen zu bereiten. Das strategische Ziel einer solchen Politik, wie sie von Willy Brandt und seinen Beratern in der nach dem Mauerbau in Berlin aussichtslos erschienenen Lage erdacht wurde, hieß ,,Wandel durch Annäherung". Dabei ging es gerade nicht um einzelne Problemlösungen und - wie der Abbruch der in den Jahren 1963 bis 1966 ausgehandelten Passierscheinregelungen zeigte - auch nicht primär um humanitäre Erleichterungen, sondern darum, mit der behutsamen Verzahnung beiderseitiger Interessen politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen.

Es war nicht diese Dialektik von Entspannung, die den Kalten Krieg eingefroren hat, sondern - und insoweit kann man Gaddis zustimmen - die auf das Aushandeln von Rüstungsparitäten beschränkte Kommunikation zwischen den beiden Supermächten. Im Unterschied dazu haben sich Anfang der 1970er-Jahre sowohl die deutsche Ostpolitik als auch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) als die eigentlichen ,,Saboteure des Status quo" erwiesen.

Bei Stöver erscheint Entspannung gar nicht erst als Kategorie sondern in einem auf ,,Verhandeln" und ,,Annäherung" verkürzten Sinn lediglich als Methodenwechsel im Kalten Krieg. ,,Entspannungspolitik im Kalten Krieg [...] war für alle Beteiligten niemals Selbstzweck. Sie war in der Regel der Versuch, einen Ausweg aus einer politischen oder wirtschaftlichen Zwangslage zu finden, ohne die eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen" (S. 381), heißt es eingangs des Kapitels ,,Entspannung und Abrüstung". Folgerichtig handelt dieses auch nicht etwa von Zielen und Wirkungen der Entspannungspolitik sondern verliert sich in Nebenthemen und einer im Übrigen buchhalterischen Auflistung der Ostverträge. Mit dem pauschalen Befund, Entspannung und Kalten Krieg hätte es über dessen gesamte Dauer immer gleichzeitig gegeben, leistet Stöver einer begrifflichen Beliebigkeit Vorschub, die zu Fehldeutungen verleitet. So hat die Stalin-Note von 1952 nichts mit Entspannung zu tun, sondern ist hier tatsächlich ein Methodenwechsel, nämlich, nach der gescheiterten Berliner Blockade nun auf diplomatischem Wege die Etablierung des deutschen Weststaats zu hintertreiben. Im Grunde ist es aber Stövers erkenntnisleitende These, der Kalte Krieg sei ein ,,totaler" Krieg gewesen, die ihn daran hindert, Entspannung als politisches Konzept sui generis und folglich antithetisch zum Kalten Krieg zu sehen. Tatsächlich haben die in Korb III der KSZE enthaltenen Vereinbarungen zu Menschenrechten und personalen Freiheiten eine beträchtliche Hebelwirkung innerhalb der autoritären Systeme des Ostblocks entfaltet und insofern die Dialektik der Entspannungspolitik, mit der Anerkennung des äußeren Status quo innere Veränderungen zu ermöglichen, bestätigt. Das gleiche galt für den innerdeutschen Grundlagenvertrag von 1972 und dessen Folgevereinbarungen, mit denen die durch den Mauerbau unterbrochene zwischenmenschliche Kommunikation teilweise wiederhergestellt und damit die Abschottung der DDR gegen den Westen unterlaufen wurde. Dem war bereits 1971 die Kopplung der deutschen Ostverträge an das Berlin-Abkommen vorausgegangen, also die Verknüpfung von Gewaltverzicht und Anerkennung bestehender Grenzen mit entscheidenden Verbesserungen der Lebensbedingungen der Westberliner. Vor diesem Hintergrund ist Stövers Diktum, mit dem Jackson-Vanik Amendment von 1974, das die Ratifizierung eines amerikanisch-sowjetischen Handelsabkommens von erleichterten Ausreisebedingungen für emigrationswillige Sowjetbürger anhängig machte, sei das erste Mal ein Junktim zwischen Entspannung und Menschenrechten hergestellt worden, gleich doppelt falsch. Es war eben nicht das erste Junktim dieser Art, und so lautstark, wie es propagiert wurde, bewirkte es das Gegenteil dessen, wofür es gut sein sollte, nämlich das vorläufige Ende jeglicher Ausreisegenehmigungen. Gaddis fasst den Erfolg des Jackson-Vanik Amendments so zusammen: ,,Emigration, Handel und Entspannung selbst nahmen Schaden" (S. 228). Obschon auch Stöver den spektakulären Vorstoß des Senators Henry Jackson mit dessen Ambitionen im bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf in Verbindung bringt, ist Gaddis unbefangene Darstellung dazu im ganzen schlüssiger. Das hindert ihn nicht, Stöver am Ende mit der Einschätzung zu übertreffen, hier sei ein Paradigmenwechsel von kaltschnäuziger Realpolitik zurück zu auf traditionelle amerikanische Werte gegründete Positionen ausgelöst worden. Davor schildert Gaddis allerdings sehr anschaulich die realpolitische Strategie Kissingers und deren erstaunliche Nähe zu Prinzipien der europäischen Entspannungspolitik. ,,Das Glücksspiel, auf das sich Breschnew einläßt", habe dieser im Sommer 1973 an Nixon geschrieben, ,,liegt darin, daß der Erfolg dieser Politik, wenn sie Dynamik entwickelt und über eine lange Zeit verfolgt wird, gerade das System unterminieren muß, dem Breschnew seine Machtvollkommenheit und Legitimität zu verdanken hat. Unser Ziel ist es andererseits, auf die Dauer gerade diese Wirkung zu erzielen." (S. 228)

Beide Autoren stellen den Zusammenhang zwischen Atombombe und Kaltem Krieg heraus, dies allerdings mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Für Gaddis ist der Kalte Krieg die Konsequenz des Aufstiegs der USA und der Sowjetunion zu nuklear gerüsteten Supermächten, und insofern eine das Risiko eines Atomkrieges vermeidende Alternativstrategie. Dabei beruft er sich auf Clausewitzens prophetische Erkenntnis, dass Staaten selbst zum Opfer des Krieges würden, wenn die Waffen so zerstörerisch sind, dass sie die Zwecke gefährden, für die Kriege geführt werden. Seine Beobachtung, dass etwas Ähnliches bereits in den beiden Weltkriegen geschehen sei, legt allerdings den Schluss nahe, dass der ,,Große Krieg" nicht erst mit der Atombombe impraktikabel geworden ist, sondern schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ein - wenn nicht suizidales - so doch allseits ruinöses Unternehmen war. Demzufolge wäre der nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebrochene Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion auch ohne die Existenz der Atombombe auf das Szenario eines Kalten Krieges beschränkt geblieben. Für diese Annahme sprechen die militärische Zurückhaltung der Vereinigten Staaten, als sie bis Ende der 1940er-Jahre allein über Atomwaffen verfügten, aber auch der bis zum Mauerbau zögerliche Umgang der Sowjetunion mit dem für sie virulenten Berlin-Problem.

Dagegen bleibt Stöver seiner zentralen These, der Kalte Krieg sei ein ,,totaler" Krieg gewesen, verhaftet, wenn er ausführt, dieser sei allein deshalb nicht zu einem heißen Krieg eskaliert, weil ,,[...] die Overkill-Kapazitäten den großen Atomkrieg zwischen den beiden Hauptkontrahenten und ihren Bündnispartnern als nicht mehr führbar erscheinen ließen". (S. 21) Moderatere Deutungen des Kalten Krieges als Nicht-Frieden, wie namentlich Gaddis' Topos des ,,langen Friedens", weist er als ,,blanken Zynismus" zurück, weil der Konflikt in die Dritten Welt verlagert und dort eben doch als heißer Krieg ausgetragen worden sei. Abgesehen von dem moralisierenden Unterton zeigt diese Argumentation, dass die These vom ,,totalen" Kalten Krieg zu monokausalen Begründungen verleitet. Stöver räumt zwar ein, dass autochthone Konflikte und chaotische Dekolonisierungsprozesse zu den Kriegen in der Dritten Welt beigetragen haben, ordnet diese aber letztlich dem Konfrontationsschema des Kalten Krieges unter. Das ist, wie im offenkundigen Fall des Stellvertreterkriegs in Angola, zwar nicht immer falsch, aber doch häufig genug, um eine Generalisierung dieser Art fragwürdig erscheinen zu lassen. So hat etwa der postkoloniale, ethnisch-nationalistische Konflikt zwischen Indien und Pakistan mit dem Kalten Krieg nur insoweit zu tun, als sich beide ohne ideologische Präferenz bemühten, dessen Freund-Feind-Schema zu ihrem Vorteil zu nutzen. Diese Verkehrung der Verhältnisse ist deutlicher noch im Nahen Osten zu beobachten, wo alle Parteien virtuos die Protagonisten des Ost-West-Konflikts für ihre Interessen einzuspannen wussten.

Stövers definitorische Aufstockung des Kalten Krieges vom klassischen Machtkonflikt über den globalen und tendenziell total geführten zum totalen, absoluten Krieg, ,,in dem außer Atomwaffen alles materiell und immateriell Verfügbare zur Anwendung kam" (S. 21), ist gerade auch im Licht der von ihm selbst präsentierten Fakten kaum nachvollziehbar. Eher scheint das Gegenteil richtig zu sein. In allen dramatischen Phasen des Kalten Krieges - Berliner Blockade, Koreakrieg, Aufstände in Osteuropa, Suezkrise, Zweite Berlinkrise, Kubakrise - wird nicht, wie von Stöver unterstellt, ein absoluter Siegeswille der Kontrahenten, sondern ein eher defensives Krisenmanagement erkennbar. Richtig ist immerhin, dass die Vereinigten Staaten wie die Sowjetunion fest entschlossen waren, den Kalten Krieg unter keinen Umständen zu verlieren. Ob sie dafür auch das Risiko eines Atomkriegs eingegangen wären, ist eine hypothetische Frage - obschon die Auffassung verbreitet ist, bei der Kubakrise sei es fast soweit gekommen. Stöver scheint diese populäre Überlieferung als historische Wahrheit zu nehmen. Gaddis erwähnt zwar auch die ,,allgemeine Annahme", niemals sonst einem Dritten Weltkrieg näher gewesen zu sein, um dann aber festzustellen, hier habe sich Churchills Hoffnung, die ,,Gleichheit der Vernichtung" sichere das Überleben, als realistisch erwiesen (S. 104). Tatsächlich kann der Verlauf der Krise als Beispiel dafür gelten, dass beide Supermächte hier - wie während des gesamten Kalten Krieges - sorgfältig vermieden haben, den Gegner in eine Verliererposition zu drängen, die ihn zum Einsatz seiner Nuklearwaffen hätte nötigen können.

In der Kubakrise wie der darauf folgenden amerikanisch-sowjetischen Entspannung zeigt sich der Kalte Krieg als hoch komplexes, gleichzeitig auf sicherheitspolitischer, ideologischer und geostrategischer Ebene ablaufendes Konfliktgeschehen. Alle drei Ebenen hatten ihre eigenen Logiken, deren Überschneidung zwangsläufig zu Widersprüchen führte. Dies spiegelte sich beispielhaft in Chruschtschows Konzept der Friedlichen Koexistenz wider, in dem das geostrategische Interesse an der Erhaltung des Status quo und das sicherheitspolitische Ziel der Kriegsvermeidung noch mit der Parole von der Fortsetzung des Klassenkampfes ideologisch legitimiert werden mussten. Aufgrund einer selektiven Wahrnehmung des letzteren stieß das Konzept in der Öffentlichen Meinung des Westens auf skeptisches Desinteresse. Stövers Verdikt, es habe sich bei der Friedlichen Koexistenz um ein Schlagwort gehandelt, das ,,bekanntlich nie ein Friedensangebot an die andere Seite war", lässt diese Voreingenommenheit wiederaufleben. Der Zusatz, ,,das Konzept blieb selbst in den kommunistischen Staaten heftig umstritten", macht die Sache nicht besser, weil es gerade dort für ein Friedensangebot gehalten und deshalb von den Hardlinern als revisionistisch denunziert wurde (S. 18).

Der ideologische Antagonismus, der das äußere Bild des Kalten Krieges prägte, hat zu keiner Zeit die sicherheitspolitischen Prioritäten der Kontrahenten bestimmt. Die tatsächlich praktizierte Realpolitik musste allerdings, gerade weil sie im Gegensatz zu den offensiven Schaustellungen auf der ideologischen Ebene tendenziell defensiv ausgerichtet war, auf beiden Seiten mit einigem propagandistischen Aufwand gegen den allfälligen Verdacht des Ausverkaufs nationaler respektive gesellschaftlicher Interessen abgeschirmt werden. Die daraus resultierende Doppelbödigkeit der Politik beschädigte nicht nur deren Glaubwürdigkeit, sondern verwirrte zuweilen auch die Frontlinien des Kalten Krieges.

Für Stövers Totalitätsthese scheint zu sprechen, dass die interne Mobilmachung auf beiden Seiten Prinzipien und Werte unterminierte, um derer willen sie den Kalten Krieg zu führen vorgaben. Dies hat die liberalen Gesellschaften des Westens stärker deformiert als die ohnehin autoritären in Osteuropa, auf beiden Seiten allerdings den gleichen kontraproduktiven Effekt gehabt, die innere Stabilität eher zu unterminieren statt sie zu festigen. Kritische, besonders auch grenzüberschreitende Medien, private Politikverdrossenheit und mehr oder weniger geduldete oppositionelle Bewegungen standen jedenfalls einer ,,totalen" Vereinnahmung des gesellschaftlichen Lebens durch den Kalten Krieg entgegen. Aber auch umgekehrt wird kein Schuh daraus, wenn Stöver etwa - in dekuvrierender Wortwahl - den ,,rigorosen" Ausbau der Sozialsysteme in den sozialistischen Staaten dem Kalten Krieg zurechnet. Wohin die grenzenlose Erweiterung eines Begriffs bis zu dessen inhaltlichem Totalverlust führen kann, zeigt die kuriose Schlussfolgerung, das sozialistische Lager sei nicht, wie bisher angenommen, durch die irrwitzigen Kosten des Rüstungswettlaufs in die Knie gezwungen worden, sondern weil es von der Systemkonkurrenz um die besseren Sozialleistungen überfordert wurde (S. 305).

In den Erscheinungsformen des Kalten Krieges gibt es kein einheitliches Muster; schon deshalb ist es schwierig, ihm durchweg signifikante Merkmale zuzuschreiben. Im Ganzen betrachtet, verlief er mit wechselnder Intensität in Form weitgehend unkoordinierter Interaktionen, die sich mal zum Showdown der beiden Hauptakteure verdichteten, mal zu komplexen Handlungen mit zahlreichen sonstigen Mitwirkenden ausweiteten. Stöver selbst gibt ein Beispiel dieser Unstetigkeit, wenn er den Kalten Krieg mal als totale Konfrontation zwischen Zweien, mal als multilateralen Konflikt von vier bis fünf Machtblöcken darstellt. Dass er letzteren auch die UNO zurechnet, überschätzt freilich den originären Einfluss der verdienten Organisation ebenso wie die Feststellung, diese hätte sich jeweils dann als wirkungsvoller Machtblock präsentiert, wenn sich ihre jeweiligen Generalsekretäre als starke Persönlichkeiten erwiesen (S. 23). Gut 400 Seiten später stellt er dies dann mit der systemtheoretischen Einsicht, dass die Vereinten Nationen immer nur so gut funktionierten, wie es die Hauptakteure im System zuließen, richtig (S. 464).

In Gaddis' auf den amerikanisch-sowjetischen Konflikt konzentrierter Sichtweise erscheinen die Blockfreien naturgemäß nicht als eigenständiger Faktor im Kalten Krieg. Deren ,,Macht" habe hauptsächlich in der Fähigkeit bestanden, die auf ihr bipolares Konfrontationsmusters festgelegten Supermächte gegeneinander auszuspielen. Auf diese Weise wäre zuvor eher bedeutungslosen Akteuren ein nach traditionellen Maßstäben nicht mehr kalkulierbarer politischer Einfluss zugefallen, und dadurch der Gang der Ereignisse einer gewissen Zufälligkeit ausgeliefert worden. Im Allgemeinen bildete ,,Blockfreiheit [...] eine Möglichkeit für Staaten der Dritten Welt, sich anzulehnen, ohne sich auszuliefern" (S. 158) Dies habe besonders den parallel zum Kalten Krieg, und damit aus amerikanischer Sicht zur falschen Zeit aufgekommenen antikolonialen Bewegungen die Möglichkeit geboten, sich letztlich dem ost-westlichen Blockschema zu entziehen. Andererseits bot ihnen der Kommunismus eine zeitweilig attraktive Alternative zu dem durch die europäischen Kolonialmächte diskreditierten Westen. Ähnlich argumentiert Stöver bei der kenntnisreichen Schilderung der Vorgeschichte des Vietnamkriegs, indem er dem Kommunismus, der in den europäischen Kolonien als Befreiungsideologie gegolten habe, schon deshalb Überzeugungskraft zuschreibt, weil die Kolonialmächte antikommunistisch waren.

Stövers übergreifende These, die Konflikte in der Dritten Welt seien allesamt zu Nebenschauplätzen des Kalten Kriegs transformiert worden, bleibt trotz aller aufgebotenen Detailinformationen spekulativ und wirkt, zumal etliches davon schlicht falsch ist, nicht sonderlich überzeugend. So war - um nur einige der irritierenden Ungenauigkeiten zu nennen - ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) keineswegs ein ,,erfolgreicherer Ersatz der SEATO" (Southeast Asia Treaty Organization, S. 102) sondern explizit gegen die Blockschemata des Ost-West-Konflikts gerichtet; Südkorea gehört weder, wie angegeben ab 1989, noch bis heute dazu. Zu Malaya werden der geografische und die politischen Begriffe der 1957 gegründeten Föderation Malaya und der 1963 aus dieser sowie Singapur, Nordborneo (Sabah) und Sarawak gebildeten Föderation Malaysia verwechselt. Und dort, wo seine richtungweisende These einmal passen würde, argumentiert Stöver gerade umgekehrt, etwa wenn er zum Sturz des iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh durch die CIA feststellt: ,,Nur mit Hilfe der USA überlebte der Schah 1953 den durch die Nationale Front getragenen Putsch [...]" (S. 255), und damit statt des tatsächlichen Geschehens die damalige Propagandaversion referiert.

In der Erörterung, welche Rolle Deutschland im und für den Kalten Krieg gespielt hat, weichen beide Autoren erheblich voneinander ab. Das liegt nicht nur an den sich deutlich unterscheidenden amerikanischen und europäischen Blickwinkeln, sondern auch daran, dass Gaddis vieles eher ergebnisoffen darstellt, während Stöver nahezu alles einem vorgeprägten Deutungsraster zuordnet. Gaddis handelt die deutsche Frage eher kursorisch ab, obwohl er diese in dem für die deutsche Ausgabe umgeschriebenen Vorwort - wohl als Referenz an dessen Leserschaft - als Mittelpunkt des Kalten Krieges ausgibt. Zugleich lässt er freilich offen, ob etwa die Teilung Deutschlands eine Konsequenz des Kalten Krieges war, oder umgekehrt dieser wegen der deutschen Teilung stattfand. Die Passage: ,,Am Ende des Zweiten Weltkriegs bestand die größte Angst der beiden Supermächte darin, dass sich ein wiedererstarktes vereinigtes Deutschland der anderen Seite ,zuneigen' könnte. Deshalb blieb Deutschland solange geteilt, wie der Konflikt andauerte. Und deshalb war der Kalte Krieg, als sich Deutschland schließlich vereinigte, zu Ende" (S. 10), klingt zwar irgendwie einleuchtend, sagt aber im Grunde nichts aus. Gaddis kann auch in einem einzigen Absatz bestimmte ,,ungerechte und gefährliche Maßnahmen" des Kalten Krieges als ,,letztlich erfolgreich" bewerten und zugleich für schwer erklärbar halten, was daran ,,gut sein sollte". Hier kündigt sich eine Schwäche seines Textes an, nämlich den anfänglich mit präzisen Analysen zum Beginn des Kalten Krieges und dessen Zuspitzung bis zur Kubakrise aufgebauten Spannungsbogen nicht durchgehend halten zu können. Dieser bricht bereits gegenüber den komplexen Zusammenhängen der Entspannungspolitik ab und verflacht schließlich zu euphemistischen Schilderungen vom Ende des Kalten Krieges. Im Haupttext werden der deutschen Frage dann zusammen noch etwa fünf Seiten gewidmet - zu wenig, um die Rolle der beiden deutschen Staaten und besonders, wie diese zeitweise ihren eigenen Kalten Krieg geführt und später ihre eigene Entspannungspolitik betrieben haben, tiefgehender zu erörtern. Gaddis weist zwar in seinem Autonomie-Kapitel auf die phasenweise quer zur großen Linie ihrer Führungsmächte laufenden Politiken der Regierungen in Bonn und Ostberlin hin, freilich ohne zu erklären, inwieweit dies die jeweiligen Konfliktszenarien beeinflusst hat. So hätte die Merkwürdigkeit, dass anfangs das konservative Lager gegen heftigen Widerstand der Sozialdemokratie eine die Teilung Deutschlands in Kauf nehmende Politik der Westintegration durchsetzte, um zwei Dekaden später genau umgekehrt den Sozialliberalen vorzuwerfen, sie verstetigten eben diese Teilung mit ihrem Bestreben, das Verhältnis zum Osten zu verbessern, mehr Beachtung verdient. Neuerdings wird ja wieder gestritten, ob die Quasi-Anerkennung der DDR diese wirklich stabilisiert - und insofern den Status quo perpetuiert - oder in der Konsequenz deren durch Abschottung gesichertes System der Erosion preisgegeben habe. Inzwischen weiß man allerdings, dass die nach den Ostverträgen zumindest in einer Richtung geöffneten Grenzen, die DDR erneut einem Systemwettbewerb ausgesetzt hatten, in dem sie nun noch weit geringere Chancen hatte als in den 1950er-Jahren. Der dann Anfang der 1980er-Jahre zur allgemeinen Überraschung von dem bekennenden Entspannungsgegner Franz Josef Strauß eingefädelte Milliardenkredit war aktuell zwar eine Überlebenshilfe für die DDR, zugleich aber ein weiterer Schritt zu deren diskreter ökonomischer Übernahme durch die Bundesrepublik. Allein dieses Beispiel zeigt, dass der Kalte Krieg nicht ganz so überraschend zuende gegangen ist, wie Gaddis das darstellt.

Wer bei dem deutschen Historiker Stöver eine eingehendere Behandlung der deutschen Frage im Kalten Krieg erwartet, wird enttäuscht. Zunächst irritieren wieder zahlreiche Ungenauigkeiten der Darstellung und fragwürdige Deutungen. So hatte die DDR bei ihrer Gründung keineswegs eine ,,sowjetische", sondern eine - von der Realität zwar längst überholte - formal demokratische, großenteils am Weimarer Text orientierte Verfassung, die erst 1967 durch eine zu den tatsächlichen Verhältnissen passende ,,sozialistische" Version ersetzt wurde. Die Etikettierung Walter Ulbrichts - der zwar der eigentliche Machthaber, aber nicht ,,Regierungschef" der DDR war - als ,,Moskautreu" mag zwar Stövers These einer Sowjetisierung der DDR illustrieren, simplifiziert jedoch das in Wirklichkeit konflikthaltige Verhältnis. Ulbricht war gewiss Stalinist, geriet als solcher nach Stalins Tod freilich bald in einen Dissens mit der neuen Moskauer Führung. Mitte der 1960er-Jahre forderte er mit der Verkündung, in der DDR sei das ,,Entwickelte System des Sozialismus" erreicht, die ideologische Führungsrolle der KPdSU heraus, und sein Sträuben gegen die von der Moskauer Führung gewünschte Entspannung hatte schließlich sein unfreiwilliges Abtreten im Jahr 1971 zur Folge. Im Übrigen war es Annemarie Doherr, die Ulbricht im Juni 1961 zu dem berühmten Satz: ,,Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen", verleitete, eine Detailgenauigkeit, die der legendären Berlin-Korrespondentin der Frankfurter Rundschau gebührt hätte (S. 130).

Ähnlich unscharf bleibt die Schilderung des dem Mauerbau folgenden Geschehens. So führt die Behauptung: ,,Der Mauerbau war [...] der Beginn eines nun für alle erkennbaren Schauplatzwechsels des Kalten Krieges, der sich jetzt deutlich in die Dritte Welt verlagerte" (S.130), schon begrifflich in die Irre, denn die dort stattfindenden Stellvertreterkonflikte waren ja heiße Kriege, während der Kalte Krieg unvermindert heftig in Europa und besonders auch in Berlin ausgetragen wurde. Es stimmt auch nicht, ,, [...] daß Westberlin unter Brandt schrittweise Verhandlungen mit Ostberlin aufnahm, dabei aber in einen offensichtlichen Gegensatz zur Bundespolitik in Bonn und ihrer zwar bröckelnden, aber immer noch gültigen Hallstein-Doktrin geriet." (S. 142) Eher trifft das Gegenteil zu, denn der Berliner Senat hielt sich strikt an das Gebot der Bundestreue und verzichtete deshalb auf etliche Optionen zur Verbesserung der Lage in Berlin. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Ende der Passierscheinregelung. Bevor diese überhaupt zustande kam, mussten, weil man sich auf Westberliner Seite an die Hallstein-Doktrin gebunden fühlte, in monatelangen Sondierungen bizarre Hilfskonstruktionen gefunden werden. Da es ,,Verhandlungen" sowenig geben durfte wie offizielle Verhandlungspartner, wurden von einem ,,Beauftragten der Senatskanzlei" und einem Staatssekretär beim Ministerrat der DDR insgesamt vier Vereinbarungen getroffen, denen die salvatorische Klausel angefügt war, dass eine Einigung über Orts- und Amtsbezeichnungen nicht erzielt werden konnte. Diese kunstvollen Nichtverträge endeten 1966, weil die DDR stattdessen nun auf offiziellen Vereinbarungen bestand, und dies vom Senat in Westberlin aus den genannten Gründen abgelehnt wurde. Dagegen ist an Stövers beiläufiger Darstellung: ,,Nach der Abriegelung wurde Ostberlin mit dem Abschluss des Passierscheinabkommens 1963 zunächst wieder für Westberliner, dann mit den weiteren Vier-Mächte-Abkommen 1970/71 auch wieder für Bürger der Bundesrepublik und schließlich auch für Touristen aus anderen Staaten zugänglich" (S. 281), alles falsch. Beide letztgenannten Gruppen konnten im Gegensatz zu den Westberlinern auch nach dem Mauerbau Ostberlin besuchen, und die Passierscheinregelungen von 1963-66 waren, wie gesagt, nicht einmal offizielle Vereinbarungen, geschweige denn Vier-Mächte-Abkommen. Auch die Passage: ,,Tatsächlich fürchtete die SED das ,Schaufenster Westberlin' auch nach 1961. Selbst U-Bahn-Stationen wurden zu stillgelegten ,Geisterbahnhöfen', durch die die Ostberliner Linien ohne Halt hindurchfuhren" (S. 281), stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Tatsächlich handelte es sich um Westberliner Linien, die unter Ostberlin hindurchfuhren und die dort stillgelegten U-Bahnhöfe in der Atmosphäre von Gespensterbahnen passierten.

Verkehrte Beispiele wecken natürlich Zweifel an den damit illustrierten Aussagen, wie etwa an der, dass Westberlin nach dem Mauerbau noch als destabilisierender Faktor für die DDR betrachtet wurde. Als ein solcher hatte die aggressive Selbstdarstellung der westlichen Exklave ein Jahrzehnt lang gewirkt, sich nun jedoch zu Tode gesiegt. Es folgte der Abstieg der ehemaligen Metropole zum subventionierten Restterritorium des Kalten Krieges und nebenbei zum Wallfahrtsort für Mauertouristen. Die schöne Metapher von der Mauer als einer Bankrotterklärung des SED-Regimes verdeckt ein wenig die Realität, dass dieses sich dadurch saturiert hatte, während Westberlin den moralischen Sieg mit einer tiefgreifenden Depression bezahlte.

In dieser Situation liegt zweifellos der intellektuelle Ursprung der späteren Ostpolitik Willy Brandts, die allerdings erst mit der Bildung der Sozialliberalen Koalition im Jahr 1969 reale Wirkungsmacht entfaltet und nicht, wie Stöver meint, schon mit Egon Bahrs Tutzinger Rede. Deren Kernthese vom Wandel durch Annäherung hält er für unter den damaligen Verhältnissen revolutionär, ohne dass diese Einschätzung in der nachfolgenden Abhandlung der Ostpolitik ihren Niederschlag findet. Diese erfolgt mehr unter dem Aspekt ,,Annäherung" als dem des dazugehörigen ,,Wandels". So zitiert er zwar Otto Winzers aus Sicht der DDR treffendes Bonmot von der ,,Aggression auf Filzlatschen", geht aber nicht weiter auf den damit angedeuteten Spannungszustand zwischen dem Drängen der DDR nach Anerkennung und dem westlichen Idealziel, die als unerträglich empfundenen Verhältnisse zu ändern, ein. Merkwürdig ist allerdings, dass Stöver stattdessen ausführlich die Aktivitäten ultrakonservativer Entspannungsgegner, wie des rassistischen US-Senators Strom Thurmond und des rechtsextremen Vertriebenenfunktionärs Walter Becher schildert und deren Obstruktion mit einer Formulierung wie: ,,Der Erfolg konnte sich sehen lassen" (S. 391), kommentiert. Zu den durchaus bedenkenswerten Argumenten der CDU/CSU-Opposition gegen die sozialliberale Ostpolitik erfährt man dagegen nichts. Zu dieser selektiven Art der Darstellung passt, dass Stöver die dramatischen Anfänge dieser Politik und besonders die Reise des Bundeskanzlers Willy Brandts nach Erfurt nicht für erwähnenswert hält.

Gaddis lässt sich dieses zeitgeschichtliche Ereignis nicht entgehen und kommentiert das Unvermögen der Gastgeber, die Ovationen für den westdeutschen Kanzler zu verhindern, als ein erstes Anzeichen für die Schwächung der östlichen Systeme. Diese Diagnose stellt er explizit für die Sowjetunion ab Mitte der 1970er-Jahre: ,,[...] sehen die sowjetische Unterstützung für marxistische Revolutionäre in Afrika, die Stationierung der SS-20 und die Invasion Afghanistans weniger wie Elemente einer schlüssigen Strategie zur Veränderung des globalen Machtgleichgewichts aus, sondern eher wie Anzeichen für das Fehlen jeglicher Strategie" (S. 265). Gaddis geht nicht soweit, diesen niederschmetternden Befund auf die mit der Schlussakte von Helsinki ihren Durchbruch erlebende Entspannungspolitik zurückzuführen, beschreibt aber anschaulich den Paradigmenwechsel von einer mit stalinistischen Gewaltmitteln erzwungenen Staatsraison zu einer um Zustimmung bemühten Wirtschafts- und Sozialpolitik. In seinem lakonischen Stil bringt er dies und zugleich die finanziellen Konsequenzen auf den Punkt: ,,Man gab sich also eine für marxistisch-leninistische Regime erstaunliche Blöße, indem man die Stabilität in dieser Region nicht auf militärische Gewalt gründete, sondern auf die Bereitschaft von Kapitalisten, Kredite zu gewähren." (S. 264)

Auch die Rolle Michail Gorbatschows wird von den beiden Autoren unterschiedlich beurteilt. Während Stöver ihn im Licht der bekannten Ereignisse als gescheiterten Reformer abbildet, zählt Gorbatschow bei Gaddis zu den großen Schauspielern in seinem finalen Kalten-Kriegs-Theater. Wie er dessen historische Leistung würdigt, wird allerdings nur im Originaltext deutlich: ,,And so, in the end, he gave up an ideology, an empire, and his own country, in preference to using force. He chose love over fear, violating Machiavelli's advice for princes and thereby ensuring that he ceased to be one. It made little sense in traditional geopolitical terms. But it did make him the most deserving recipient ever of the Nobel Peace Prize" (Original S. 257). Die deutsche Übersetzung verleitet zu dem Missverständnis, Gorbatschow habe den Nobelpreis für sein ,,geopolitisches Scheitern" erhalten (S. 321). Auch die Wiedergabe von Gaddis schlicht unübersetzbarem Begriff des ,,Actor-leaders" als Schauspieler-Führer wirkt mit den am Sinn vorbei gehenden Assoziationen eher lächerlich. Richtig ärgerlich ist freilich, wenn Gaddis Pointe in der Einleitung seines ,,Actors"-Kapitels: ,,Like all good actors, they brought the play at last to an end", in der deutschen Version mit dem unsinnigen Zusatz: ,,Mit der Berliner Mauer fiel am Schluß der Vorhang", ihrer Wirkung beraubt wird (S. 246). Das deutsche Publikum hätte das eigentliche Bonmot schon verstanden, und im Übrigen ist die Metapher des fallenden Vorhangs seit Churchills Fulton-Rede inhaltlich besetzt. Wenn überhaupt, hätte es also heißen müssen, mit dem Fall der Berliner Mauer sei der Eiserne Vorhang wieder hochgegangen.

Gaddis und Stöver unterscheiden sich nicht nur im Stil, sondern generell in der Beschäftigung mit ihrem Thema. Gaddis belässt dem Kalten Krieg die Eigenart eines kaum vorhersehbaren, von manifesten Interessen und manchmal auch von irrwitzigen Zufällen bestimmten Geschehens, eingehegt durch den kategorischen Imperativ, einen nuklearen Krieg zu vermeiden. Stöver betrachtet den Kalten Krieg von Anbeginn durch das Prisma der vorangestellten These, er sei als totaler Krieg geführt worden. Gaddis offene Darstellung lässt zu, was er in einer Randbemerkung einem guten Roman abverlangt, ,, [...] daß er seine Leser etwas erkennen läßt, auch wenn es außerhalb der Vorstellungen des Autors liegt." (S. 107) Stöver breitet Unmengen an Fakten aus und reiht diese wie Indizien zur Verifizierung seiner Thesen aneinander. Das führt dann, wenn es nicht stimmig ist, oder die Absicht durchscheint, zum Missvergnügen.

Bei Gaddis fällt der amerikanische Blickwinkel nicht so sehr bei der Präsentation der Fakten, wohl aber bei deren Interpretation auf. Dabei gelingt es ihm, die einzelnen Phasen des Kalten Krieges auch im Licht des jeweiligen Zeitgeistes - und zugleich des Wandels seiner eigenen politischen Perspektiven - zu schildern. So erkennt man im ersten, von den Ursprüngen und der Entwicklung bis zur Kubakrise handelnden Teil den postrevisionistischen Standpunkt seiner früheren Schriften wieder. Im mittleren Teil entspricht die etwas ambivalente Erörterung der Entspannung der durch Vietnam und Watergate gemischten Gemütslage in Amerika. Und die Darstellung der das Ende des Kalten Krieges herbeiführenden Ereignisse wird von der spezifisch amerikanischen Reagan-Verehrung illuminiert. Weil auch letzteres mit einem ironischen Unterton geschieht, kann auch der in dieser Hinsicht weniger enthusiastische Leser damit leben.

Stöver rückt erst in den letzten Kapiteln einige Ungereimtheiten des vorangehenden Textes zurecht. Dazu gehört eine verhaltene Würdigung der zuvor infolge der Totalitäts-These unterbelichteten Entspannungspolitik, etwa mit der Anmerkung, der Wille zur Entspannung zwischen den Blöcken sei wesentlich stärker gewesen, als deren Kritiker annahmen (S. 429). Im Ganzen scheint aber für ihn selbst zu gelten, worauf er in seiner Einleitung so treffend hinweist: ,,Die wichtigsten Probleme einer Gesamtinterpretation des Kalten Krieges liegen [...] in der Tendenz, den Konflikt nach wie vor eher fragmentarisch und zum Teil noch immer ideologisiert zu betrachten." (S. 19)

Bleiben die Fragen, ob der Kalte Krieg nun wirklich zuende ist, ob es tatsächlich Gewinner und Verlierer gibt, und ob es künftig anders geartete globale Kriege geben wird. Die internationale Situation im Frühjahr 2008 weist augenfällige Ähnlichkeiten zu der in den 1970er- und 1980er-Jahren auf. Es ist ja auch nicht so, dass der dramatischen Auflösung der Sowjetunion, die für Gaddis und Stöver in schöner Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung des Westens das Ende des Kalten Krieges markiert, ein politisches Vakuum gefolgt wäre. Russland ist auch ohne die unter dem Dach der Sowjetunion unterworfenen zentralasiatischen, kaukasischen und baltischen Staaten und die osteuropäischen Satelliten eine Großmacht geblieben - im Unterschied etwa zu Großbritannien nach dem Verlust seines globalen Empires. Insofern wäre es nicht ganz abwegig, dem ,,gescheiterten" Reformer Gorbatschow das historische Verdienst zuzuerkennen, mit der schöpferischen Zerstörung des bewegungslos gewordenen Sowjetimperiums den Boden für den Wiederaufstieg Russlands zu einem heute auch über ökonomische Optionen verfügenden Global Player bereitet zu haben.

Andererseits zeigen die gegenwärtigen Streitigkeiten um die Stationierung von Komponenten des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik, dass in derartigen Streitformen nicht unbedingt eine Wiederauflage des Kalten Krieges gesehen wird. Im Umkehrschluss legt dies allerdings nahe, den Zeitraum des Kalten Krieges präziser auf die Phase prinzipieller Konfrontation zu beschränken und ihn folglich mit der Entspannung Anfang der 1970er-Jahre enden zu lassen.

Manfred Haack, Berlin


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