ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Götz Aly/Michael Sontheimer, Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel, S. Fischer Verlag, Franfurt/Main 2007, 218 S., geb., 19,90 €.

,,Großzügige Reklame, der mit meisterhaftem Organisationstalent ausgebaute Dienst am Kunden und vor allem die stets gleichbleibende Qualität verschafften der Marke ,,Fromms Act" das volle Vertrauen der Abnehmer und ihre größte Zufriedenheit", ist in einer Würdigung zum 50. Geburtstag von Julius Fromm im Drogisten-Fachblatt ,,Der Drogenhändler" vom 20.3.1933 zu lesen, erschienen in den ersten Wochen der NS-Herrschaft.

Bis zu diesem Zeitpunkt lässt sich die Geschichte Julius Fromms als nahezu unglaubliche Erfolgsgeschichte lesen: Geboren wurde er im März 1883 im jüdischen Ghetto der damals russischen Kleinstadt Konin als Sohn des jüdischen Ehepaares Boruch und Sura Rifka Fromm. In Konin mit Antisemitismus und mangelnder Zukunftsperspektive konfrontiert, emigrierte die Familie 1893 in die Großstadt Berlin. Der Familie Fromm gelang die Integration in die Gemeinschaft ostjüdischer Einwanderer, sie verdienten ihren Lebensunterhalt mittels der Herstellung selbstgedrehter Zigaretten in Heimarbeit und direktem Verkauf. Nach dem frühen Tod der Eltern, Boruch starb bereits 1898und Sura Rifka 1911, waren Julius und Salomon für die vielen Geschwister verantwortlich. Julius Fromm gründete zudem 1907 seine eigene Familie. Nebenbei studierte der ehrgeizige Autodidakt an der Abendschule Chemie, das brachte ihn 1914 auf eine gewinnträchtige Geschäftsidee, die Kondomherstellung. Fromm vermarktete sein Produkt auf dem Markt unter dem Namen ,,Fromms Act" - eine ungewöhnlich moderne Firmenbezeichnung. Sie klang leicht anzüglich, gleichzeitig international und dennoch seriös, denn die Verwendung des eigenen Namens garantiert Qualität. Ein Werbeslogan des Jahres 1917 lautete: ,,Leiste Garantie - Umtauch jederzeit gestattet". Offiziell durfte nicht für Empfängnisverhütung geworben, sondern lediglich auf den Schutz vor Geschlechtskrankheiten hingewiesen werden. Auch wenn die konservative offizielle Politik die Anhebung der Geburtenrate propagierte, war das Produkt äußerst erfolgreich, sicherlich auch durch den Ersten Weltkrieg. Soldaten waren angehalten, Wehrmachtbordelle z.B. nur mit Kondom aufzusuchen.

1919 kaufte Julius Fromm für 95.000 Reichsmark eine Villa, ein Jahr später wurde er zusammen mit seinen Geschwistern offiziell eingebürgert, 1924 stellte ,,Fromms Act" 24 Millionen Präservative her, 1931, nach der Öffnung verschiedener Vertretungen und Exporten ins benachbarte Ausland, mehr als 50 Millionen Kondome. In der Zwischenzeit ließ Fromm 1929 eine Fabrik im Stil der neuen Sachlichkeit bauen: Mit den Baustoffen Stahl, Beton und Glas entstand ein Prototyp der modernen Fabrik in ästhetisch anspruchsvoller Funktionalität, entworfen von den Architekten Arthur Korn und Siegfried Weitzmann, die in den 1920er-Jahren zur Stil prägenden Avantgarde gehörten.

Diese Erfolgsgeschichte - aus dem Getto zum Millionär - kam im Nationalsozialismus schnell an ein Ende, denn der eskalierende Antisemitismus verschonte auch Julius Fromm und seine Angehörigen nicht. Noch 1933 ging Julius Fromm nur von einem kurzen nationalsozialistischem Intermezzo aus (,,Die Hitlers kommen und gehen" (S. 82), doch nach der Olympiade 1936 wurde ihm die zunehmende Bedrohung bewusst. Ende 1937 beauftragte er seine Hausbank und seinen Rechtsanwalt mit dem Verkauf der Firma. Da per Gesetz seit 1938 die Veräußerung jüdischen Besitzes der Genehmigung des Reichwirtschaftsministeriums unterlag, gestaltete sich der Verkauf anders als geplant. Noch 1937 war Ausgangspunkt ein Verkehrswert von 5 Millionen Reichsmark, doch Julius Fromm war bereits im Sommer 1938 bereit, das Unternehmen für gebotene 50.000 britische Pfund zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt hatte allerdings bereits Hermann Göring die florierende Firma ins Auge gefasst. Er sorgte dafür, dass seine Patentante Elisabeth von Epenstein für einen Spottpreis neue Besitzerin wurde. Sie revanchierte sich mit der Schenkung von zwei Burgen an ihren Patensohn.

Julius Fromm konnte sich und die meisten Familienangehörigen nach London ins Exil retten, denn er verfügte im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen zumindest über gewisse finanzielle Mittel. Allerdings zwang ihn der Zweite Weltkrieg zur Untätigkeit: Als feindlich eingestufter Ausländer konnte Julius Fromm nicht wie geplant in England in die Kondomproduktion einsteigen. Währenddessen wurde in Nazideutschland sein Vermögen weiter arisiert. Die Bankguthaben wurden zu Zwangsanleihen für die Kriegskasse ungewandelt. Bankangestellte meldeten seine noch ungeplünderten Schließfächer wiederholt den Behörden, bis auch diese gewaltsam geöffnet und geplündert wurden. Die Villa wurde per Gesetz 1943 Eigentum des Deutschen Reiches und nach aufwendigen Umbauten an einen Berufssoldaten und Ritterkreuzträger vermietet. Einen Teil des Inventars erwarb ein Oberst als Grundausstattung für einen Zweipersonenhaushalt, der Rest des Fromm'schen Eigentums wurde im Mai 1943 öffentlich versteigert. Götz Aly und Michael Sontheimer gelingt es sehr detailgenau aufzuzeigen, ,,wie der jüdische Kondomfabrikant Julius Fromm unter die deutschen Räuber fiel", an der Arisierung bereicherten sich die unterschiedlichsten Einrichtungen und Schichten, vom Staat bis zum kleinen Volksgenossen. Insbesondere die akribische Recherche macht dieses flüssig geschriebene Buch äußerst interessant und spannend.

Drei Tage nach Ende des Zweiten Weltkrieges starb Julius Fromm in London. Sein Herz versagte, so die Familie, ,,weil er sich über den Untergang der Nazis und die Rückkehr nach Deutschland so sehr gefreut hatte."(S. 191). Zumindest musste Fromm so nicht mehr erleben, wie seine Firma in der DDR in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt wurde, perfiderweise aufgrund eines Gesetzes vom Februar 1949, das die entschädigungslose Einziehung der Vermögenswerte von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten anordnete.

Raphaela Kula, Bielefeld


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