Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Wilhelm Damberg/Antonius Liedhhegener (Hrsg.), Katholiken in den USA und Deutschland. Kirche, Gesellschaft und Politik, Aschendorff Verlag, Münster 2006, VII+393 S., geb., 24,80 €.
Während in den letzten Jahren vermehrt vergleichende europäische Gesichtspunkte in der neueren Religionsgeschichte diskutiert worden sind, gerät zugleich die Perspektive eines transatlantischen Vergleichs mit den USA in das Blickfeld der Forschung. Der naheliegende Grund dafür ist die seit den 1960er-Jahren erkennbare und anscheinend weiter zunehmende Divergenz zwischen den christlichen Kirchen Westeuropas, die durch zunehmende personelle, intellektuelle und nicht zuletzt finanzielle Auszehrung und ein damit einhergehendes Krisenbewusstsein gekennzeichnet sind, und dem Bild einer pluralistischen Konkurrenz von Religionsgemeinschaften in den USA, das von gemeindlichem Engagement, Aktivismus und einer hohen Beteiligungsfrequenz geprägt ist. Idealtypisch gesprochen, erscheint Westeuropa damit als Kontinent der Säkularisierung, während die USA das Land des religiösen `Awakening' zu sein scheinen. Auch wenn hinter diese allzu schematische Kontrastierung durchaus Fragezeichen zu setzen sind (1), ist diese Entgegensetzung doch einer der Ausgangspunkte des vorliegenden Bandes, dessen Beiträge auf eine 2004 abgehaltene Tagung zurückgehen. Das Ziel des Bandes ist jedoch bescheidener: nicht um eine vergleichende Betrachtung der Ursachen für religiösen Niedergang oder Aufschwung geht es. (2)
Angestrebt wird eine thematisch breit angelegte, komparative Bestandsaufnahme der neueren, zeitgeschichtlichen Entwicklungen und der Gegenwartssituation in der katholischen Kirche der Bundesrepublik und der USA. Damit wird zugleich eine aus geschichtswissenschaftlicher Sicht wichtige Eigenschaft des Bandes aufgeworfen: Es handelt sich nicht um einen rein historischen Band, dem es vornehmlich um Historisierung und Perspektivierung geht. Angesprochen sind, gerade aus Sicht der deutschen Herausgeber und Beiträger des Bandes, die erwähnten Krisenwahrnehmungen in der deutschen katholischen Kirche in ihrer pastoralen, politischen und organisationspraktischen Dimension in vergleichender Perspektive. Dies ist aber durchaus kein Manko. Die Herausgeber haben nicht nur namhafte Historiker, Theologen und Religionssoziologen für dieses Vorhaben gewonnen, die als echte Sachkenner gelten können und die auch dort, wo es um aktuelle Problemlagen geht, ihre Urteile mit Augenmaß treffen. Zugleich haben alle Beiträge auch eine historische Perspektive, und zwei einleitende Beiträge von Christopher J. Kauffman und Mark Edward Ruff umreißen den historischen Kontext, in dem die Veränderungen von Kirche und Katholizismus in beiden Ländern seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu situieren sind. Im deutschen Fall ist dies die sukzessive Auflösung der Subgesellschaft des katholischen Milieus, während es in den USA um die etwas anders gelagerte Eingliederung einer konfessionellen (und, dies kommt nicht nur bei Kauffman zu kurz, ethnischen!) Minderheit - die in den letzten Jahren allerdings zur größten Religionsgemeinschaft in den USA avanciert ist - in die amerikanische mainstream culture geht, wie dies Will Herberg bereits 1955 in seinem religionssoziologischen Klassiker "Protestant, Catholic and Jew" beschrieben hat.
Die Beiträge des Bandes stellen im Einzelnen eine recht breite Palette von kirchlichen Phänomenen dar. Neben den liturgischen Veränderungen seit dem Zweiten Vatikanum (Franz-Peter Terbartz-van Elst und Benedikt Kranemann) beschreiben Bryan T. Froehle und Norbert Mette auf anregende Weise die verschiedenen, periodisch wiederkehrenden Anläufe zu einer pastoralen Planung, mit der die Kirche nicht nur auf eine veränderte gesellschaftliche Umgebung, sondern gerade in den letzten beiden Dekaden auch auf die dramatisch gewachsenen Probleme bei der Rekrutierung von Priestern reagiert hat. Leo J. O'Donovan beschreibt das katholische Schul- und Universitätssystem in den USA, das einer der entscheidenden Faktoren für die Erneuerungsfähigkeit und Vitalität der dortigen Kirche gewesen ist, obwohl es immer nur einen geringen Prozentsatz aller katholischen Kinder und Jugendlichen unterrichtet. Zugleich weist er auf die Grenzen der Finanzierungsfähigkeit hin, die in letzter Zeit durch die unvermeidliche Dominanz teurer Laien im Lehrpersonal entstanden sind. Frank Adloff und Karl Gabriel zeigen in zwei perspektivenreichen Beiträgen die Tendenzen zu einer Konvergenz der katholischen Wohlfahrtspflege auf, die in den USA seit langem enger mit staatlichen Institutionen verflochten ist als dies gemeinhin bekannt ist, während die Arbeit der Caritas mit einer Tendenz zur Entstaatlichung des dualen Systems des Wohlfahrtsstaates konfrontiert ist. In beiden Ländern ist zudem ein säkularer Trend zur Professionalisierung der katholischen Wohlfahrtspflege zu beobachten.
David C. Leege und Antonius Liedhegener thematisieren die politische Dimension des Katholizismus. In den USA hat sich die traditionell enge Verbindung zwischen Katholiken und Democratic Party gelockert, und den Republikanern gelingt es gerade der zunehmend im Zeichen von moral values geführten Wahlkämpfe, katholische Länder an sich zu binden. Dem Bedeutungs- und mehr noch Einflussverlust des politischen Katholizismus alter Prägung korrespondiert zwar eine weiterhin hohe Affinität der Katholiken zur CDU, die aber, so Liedhegener, mit der Fähigkeit der organisatorisch nach dem Zweiten Vatikanum neu formierten Spitze von Kirche (Deutscher Bischofskonferenz) und Verbänden (unter der Federführung des ZdK) einhergeht, in als wichtig definierten Fragen zu koordinierten Formen der politischen Einflussnahme zu finden. Zwei weniger substanzielle Beiträge von Peter Steinfels und Heinz-Gerhard Justenhoven diskutieren die friedensethischen Positionen der Kirche in beiden Ländern, während Margaret O'Brien Steinfels und Michael N. Ebertz in zwei luziden Kapiteln die wachsende Diskrepanz zwischen der faktischen starken Präsenz von Frauen unter den aktiven, ehrenamtlich tätigen Laien und den Hauptamtlichen in kirchlichen Berufen sowie der anhaltenden Konzeptualisierung und Bewertung dieser Tätigkeit als einer rein `dienenden' analysieren, auch mit Blick auf die dadurch bewirkte kognitive Dissonanz. In den beiden abschließenden Kapiteln fassen Andrew M. Greeley und Rüdiger Schulz die statistischen Daten zur Entwicklung von Kirchlichkeit und Religiosität zusammen.
Eine umfassende Bilanz ist an dieser Stelle nicht zu ziehen, zu disparat und vorläufig sind, wie die Herausgeber selbst betonen, die vorhandenen Daten für den Vergleich. Auffällig ist zum einen die auch von den Herausgebern herausgestellte Bedeutung der kirchlichen Finanzierung. Nun wissen Kenner schon seit langem, dass die Kirchensteuer eines der wichtigsten Gebiete der neueren Kirchengeschichte ist, da Kirchen erst über ihre Einnahmen Handlungsspielräume gewinnen, Stellenpläne schaffen können und Innovationen planen können bzw. - bei ausbleibenden Einnahmen - den Rückbau organisieren müssen. Während das in der Bundesrepublik seit den Fünfzigerjahren überall eingeführte diözesane Kirchensteuersystem bei konstanten Einnahmen großzügige Planungen und Baumaßnahmen erlaubte, hat es offenkundig zu einer Aushöhlung des Engagements vor Ort geführt. Katholische Gemeinden in den USA können dagegen nicht auf überdiözesane Reserven zurückgreifen, und dieser Zwang zum lokalen Engagement hat offenkundig nachhaltige Energien freigesetzt. Zugleich zeigt die in beiden Ländern beobachtbare Rekrutierungskrise für geistliche Berufe, das eine Kontrastierung von Säkularisierung (BRD) mit Aufschwung (USA) verfehlt ist, zumal die Krise der geistlichen Berufe in der Bundesrepublik seit den fünfziger Jahren eine der wichtigsten Indikatoren und Faktoren der generellen Kirchenkrise war. Vermehrte Beachtung sollte schließlich die Einbettung der katholischen Gemeinden in den USA in das Umfeld einer lokalen community finden, aus dem personelle und motivationelle Ressourcen geschöpft werden konnten und können. Dass die spezifischen, im Zeitverlauf nachhaltiger Veränderung unterliegenden ethnisch-kulturellen Grundlagen dieser Form der katholischen Vergemeinschaftung in den USA nicht genauer thematisiert werden, bezeichnet ein wichtiges Defizit dieses ansonsten sehr informativen Bandes. (3)
Benjamin Ziemann, Sheffield
Fußnoten:
1 Vgl. in diesem Sinne etwa unlängst Hugh McLeod, The Religious Crisis of the 1960s, Oxford 2007.
2 Solche vergleichenden Perspektiven verfolgt Wilhelm Damberg, Wer ist die Ausnahme? Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten. Komparative Religionsgeschichte im 20. Jahrhundert, in: Friedrich Wilhelm Graf/Klaus Große Kracht (Hrsg.), Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert, Köln 2007, S. 105-123.
3 Für einen analogen Fall in der deutschen Katholizismusgeschichte vgl. James Bjork, Industrial Piety. The Puzzling Resilience of Religious Practice in Upper Silesia, in: Michael Geyer/Lucian Hölscher (Hrsg.), Die Gegenwart Gottes in der modernen Gesellschaft. Religiöse Vergemeinschaftung und Transzendenz in Deutschland, Göttingen 2006, S. 144-176.