ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michael Werner, Die ,,Ohne mich"-Bewegung. Die bundesdeutsche Friedensbewegung im deutsch-deutschen Kalten Krieg (1949-1955), Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, Münster 2006, 742 S., brosch., 29,50 €.

Die Dissertation verspricht eine Lücke zu schließen zwischen der Erforschung der Weimarer Friedensbewegung und der Anti-Atomtod- (1957-1959), der Ostermarsch- (1960-1970) und der Anti-Nachrüstungs-Bewegung (1979-1984), über die hinreichende fachwissenschaftlich solide Untersuchungen vorliegen. Über die Periode, auf die sich Michael Werner konzentriert - zwischen Adenauers Sicherheitsmemorandum und der Paulskirchenbewegung - liegen bereits Detailstudien zur Organisations- und Ideengeschichte antimilitaristischer Strömungen vor. (1)

Auf der Basis eines breiten Quellenfundus und einer angemessenen Literaturrecherche geht es dem Autor nur sekundär um die Rekonstruktion der netzwerkartigen Organisationsstruktur, der Ideen der ,,Ohne mich"-Bewegung als Bürgerrechtsbewegung und der staatlichen Repression gegen sie. Im Vordergrund steht der Nachweis der direkten und indirekten Steuerung maßgeblicher Teile durch die DDR. Die Bewegung gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, in erster Linie von den Befürwortern einer Wiederaufrüstung mit pejorativem Beigeschmack als ,,Ohne mich"-Bewegung tituliert, war eine zersplitterte, politisch und ideologisch weit gefächerte Volksbewegung mit verschiedenartigem sozialen Hintergrund und divergierenden parteipolitischen Präferenzen. Lediglich im Protest gegen die Remilitarisierung fand sie einen gemeinsamen Nenner; über ein ,,Nein" hinausgehende identitätsstiftende Zielvorstellungen konnte sie nicht entwickeln.

Der Autor unterscheidet die sogenannte ,,neue", stark kommunistisch beeinflusste Friedensbewegung, die die im Kalten Krieg wurzelnden Kriegsgefahren bändigen wollte, von sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Strömungen, von den traditionellen pazifistischen Organisationen, den christlichen Wehrgegnern und den Neutralisten - eine recht konstruierte Differenzierung, so scheint es, die die personellen wie organisatorischen Überlappungen zwischen den Strömungen nur in geringem Maße berücksichtigt, und deshalb bestenfalls als Orientierungskonstrukt für den Leser zu überzeugen vermag.

Werner liefert Einblicke in eine teils verwirrende, aber durchaus gut recherchierte Entwicklung der ,,Ohne mich"-Bewegung. Klar gegliedert und durch ein Personen- wie Sachregister erschlossen, geht, trotz des organisatorischen Wirrwarrs der Protestbewegung selbst, der Überblick für den Leser nicht verloren. Allerdings tritt hinter den Nachweis einer kommunistischen Steuerung einzelner Verbände dieser Bewegung die Organisations- und Ideengeschichte zurück.

Der Autor konstatiert eine in der Bevölkerung stark verankerte Wehrfeindlichkeit nach 1945, aber zugleich eine eher schmale Widerstandsfront gegen die Wiederbewaffnung. Schwerpunktartig beschäftigt er sich mit der Unterwanderung der ,,neuen Friedensbewegung" durch die SED, stützt sich dabei auf die Absichten und zeitgenössischen Analysen der SED-Parteigliederungen selbst, ohne dabei in jedem Fall kritisch zu hinterfragen, ob die Absichten und Prognosen der SED überhaupt durchgesetzt werden konnten und wurden. Aus den Parteiakten der SED lässt sich nämlich oft nur das schiefe Bild über die politischen Trends in der Bundesrepublik und die subjektive Einschätzung des unter Rechtfertigungsdrucks stehenden Informanten anstatt eine an Tatsachen ausgerichtete Zustandsbeschreibung ablesen. Ohne Zweifel war die ,,neue Friedensbewegung" Objekt der Unterwanderung und führte zu scharfen Abgrenzungen, ja Parteiausschlüssen durch die SPD. Es besteht auch kein Zweifel, dass die SED vor allem die ,,Deutsche Sammlung" und den ,,Bund der Deutschen" (BdD) in ihre Bündnispolitik mit bürgerlichen Vertretern einzubinden versuchte und das Friedensthema agitatorisch durch die DDR ausgeschlachtet wurde. Erhellend hätte es sein können, die Wechselwirkung zwischen einer Politik der strikten Westorientierung durch Adenauer und das Einschwenken der ,,Ohne mich"-Bewegung auf eine zumindest verbal propagierte Wiedervereinigungspolitik der Sowjetunion und der DDR zu analysieren. Zwar gesteht Werner der bundesdeutschen Friedensbewegung eine gewisse Eigenständigkeit zu, zugleich behauptet er eine allmählich erfolgreiche Unterwanderung der ,,neuen Friedensbewegung"; so z.B. sein Befund, es sei Ziel der KPD gewesen, die Volksbefragungsaktion gegen eine Wiederaufrüstung zu instrumentalisieren, um sozialdemokratisch eingestellte Arbeiter von der Notwendigkeit einer sozialistischen Einheitsfront gegen Adenauer zu überzeugen und sie ihrer Partei zu entfremden.

Werner geht davon aus, dass die staatliche Überwachung der ,,Ohne mich"-Bewegung grundsätzlich zu rechtfertigen war. Er bringt weitgehend Verständnis für die Eindämmungsbemühungen der Bundesregierung auf sowie eine grundsätzliche Akzeptanz für strafrechtliche, dienstrechtliche und polizeiliche Verfolgungen von Vertretern der Friedensbewegung. Die Funktion und Instrumentalisierung des Antikommunismus im Kalten Krieg wird an keiner Stelle gedeutet. Werner begnügt sich mit Feststellungen wie diesen:

,,Das nunmehr der Forschung zugängliche Zentrale Parteiarchiv der SED erlaubt [...] die eindeutige Feststellung, dass es sich bei der Deutschen Sammlung wie auch beim Bund der Deutschen um strategisch begründete Schöpfungen der SED mit bündnispolitischer Zielsetzung handelte. Die vorgesehene strikte Trennung von BdD und KPD weist deutlich darauf hin, dass sich die SED auf ein mögliches Verbot der KPD einstellte und im BdD eine Ersatzorganisation schaffen wollte." (S. 377) ,,Die These, das Wahlbündnis von GVP und BdD habe der SED zur Beschädigung des Kontrahenten Heinemann gedient, findet reichlich Nahrung in den Abläufen des gemeinsamen Wahlkampfes." (S. 437) Damit liefert er ähnliche Interpretationsmuster wie der konservative Hallenser Historiker Michael Lemke, der zehn Jahre vor Michael Werner auf der Basis derselben SED-Parteiakten die Infiltration der Nationalneutralisten untersucht, aber zugleich betont hat, dass für die SED keines ihrer deutschlandpolitischen Ziele zu erreichen war. (2)

Es wird stimmen, dass in der Friedensbewegung nach 1945 die Neigung vorherrschte, die Aufrüstung des eigenen Staates für überzogen und unbegründet zu halten und zugleich die Bedrohungen durch den ideologischen Gegner zu unterschätzen. Zugleich ist aber richtig, dass die Bundesregierung pauschal die Destabilisierung der Sicherheit der BRD denjenigen unterstellte, die fundamental der Sicherheitsdoktrin Adenauers widersprachen.

Dürftig fällt die Kritik an den Desinformationskampagnen der Bundesregierung gegen die Wiederbewaffnungsgegner aus. Zwar wird erwähnt, dass der Beauftragte in Sachen Propaganda gegen die ,,Ohne mich"-Bewegung Eberhard Taubert vor 1945 Mitarbeiter des Reichspropagandaministeriums war und sein von der Bundesregierung finanzierter ,,Volksbund für Frieden und Freiheit" maßgeblich die Pressebeeinflussung lenkte; aber eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesem Vorgehen der Regierung Adenauer wäre in jedem Fall erforderlich gewesen.

So bleibt bei der Lektüre der umfangreichen Arbeit ein zwiespältiger Eindruck zurück. In zu geringem Maße werden die durchaus ideellen Beweggründe der Wehrgegner gewürdigt, hingegen liegt der Fokus stark auf dem Nachweis kommunistischer Beeinflussung, gar Steuerung. Enttäuschend, ärgerlich gar ist die völlig unzureichende, da platte Analyse der Wirkmechanismen antikommunistischer Ressentiments im Kalten Krieg. Und auch der Umgang der Führung von SPD und DGB mit ihren Dissidenten in der Wehrfrage wird nur en passant beleuchtet. Diese Analyse hätte die strukturellen Defizite innerparteilicher Demokratie, die antidemokratischen Relikte der jungen Bundesrepublik aufdecken können. Der Studie von Michael Werner kommt soweit ein beachtlicher empirischer Wert zu, wenn sie auch konzeptionell und vielfach inhaltlich nicht überzeugt.

Reinhold Lütgemeier-Davin, Kassel

Fußnoten:


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