ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Iris Wigger, Die ,,Schwarze Schmach am Rhein". Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2007, 348 S., 41 Abb., kart., 29,80 €.

Bei dem Versuch, Deutschlands koloniale Vergangenheit und deren Folgen stärker in den Vordergrund historischer Interpretationen zu stellen, ist der Kampagne gegen die Stationierung afrikanischer Kolonialsoldaten im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit zugekommen. Nachdem Gisela Lebzelter Mitte der 1980er-Jahre einen bis heute lesenswerten Aufsatz über die sogenannte Schwarze Schmach vorgelegt hatte, war es jedoch insbesondere in der deutschen Geschichtswissenschaft lange ruhig um das Thema geblieben. In den letzten Jahren allerdings erscheinen sukzessive Monografien zum Thema. (1) In der Regel handelt es sich dabei um Qualifikationsarbeiten. Die aktuellste Studie zu dieser rassistischen Kampagne der Weimarer Republik stellt die soziologische Dissertation von Iris Wigger dar.

Wie grenzt sich die Autorin von den bisherigen Untersuchungen ab? In einem ausführlichen Forschungsüberblick zeichnet sie die Schwerpunkte der bisherigen Forschungen nach und verortet deren Defizite in den bislang nicht genau untersuchten Zusammenhängen der Kategorien Geschlecht, Rasse, Nation und Klasse. Einzelne Aspekte seien zwar, so Wigger, in die bisherigen Untersuchungen eingeflossen, allerdings fehle es an einer systematischen Zusammenschau der hier angesprochenen ,,Einschluß- und Ausschlusskategorien" (S. 27). Die historische und soziale Varianz in den jeweiligen Beziehungen der Kategorien zueinander zeige sich insbesondere in der Kampagne gegen die afrikanischen Soldaten und bilde ein ,,rassistisches Konglomerat" (S. 31). Die Autorin geht diesen Interrelationen mit Hilfe der Diskursanalyse nach.

Die Untersuchung besteht aus zwei großen Teilen, die sich in der Herangehensweise stark unterscheiden. Der erste Teil führt in die Politik der Propaganda über das Brennglas von drei internationalen AkteurInnen und Multiplikatoren ein - Edmund D. Morel, Francesco S. Nitti, Ray Beveridge - und stellt dann noch einen Roman von Guido Kreutzer in den Mittelpunkt der Analyse. Der zweite Teil, der vielleicht als Kernstück des Buches bezeichnet werden kann, widmet sich der Analyse der vielfältigen Quellen: Propagandamaterial und andere kulturelle Zeugnisse, wie Trivialliteratur, Karikaturen, Theaterstücke (die von der Autorin missverständlich als ,,Alltagsmaterialien" bezeichnet werden). Den vier gewählten Kategorien gilt jeweils ein Kapitel.

Die drei im ersten Teil eingeführten Protagonisten sind gut ausgewählt; sie repräsentieren zum einen die Internationalität der Kampagne und zum anderen das politische Spektrum der Teilnehmer von der linken Labour Party Englands über den Liberalen Nitti zum Rechtsradikalen Beveridge. Deutlich wird, dass die Gemeinsamkeiten in den Einschätzungen von ,,Kultur" und ,,Barbarei", von ,,weißer" und ,,schwarzer Rasse", die Unterschiede, die in der Drastik und dem Ausmaß der Beschreibungen lagen, bei weitem überstiegen. Guido Kreutzers ,,Die Schwarze Schmach. Der Roman des geschändeten Deutschlands" (1921), das immerhin in einer ersten Auflage von 65.000 Exemplaren erschien, sowie zahlreiche andere Romane, Theaterstücke, Filme, Gedichte, Lieder, usw. zeugen von der ungeheuren Produktivität des Rassismus und der kolonialen Imaginationen. Hier, wie in anderen Texten auch, werden die Klassengegensätze in nationale Einheit verwandelt und ein weißer Mann kann die Schande der Vergewaltigung durch einen Kolonialsoldaten von einer weißen Frau abwenden. Dieser Roman scheint alle Topoi zu enthalten, die im folgenden Teil noch einmal en detail dargestellt und analysiert werden: der Angriff Frankreichs vermittels der Kolonialsoldaten auf das ,,deutsche Volk", auf die ,,weiße Rasse" und die ,,weiße Frau". Dieses Zwischenergebnis vollzieht Iris Wigger im Weiteren auch am Beispiel anderer Quellen nach und zeigt damit, dass es sich bei der ,,Schwarzen Schmach"-Kampagne keineswegs nur um eine staatlich forcierte Propagandakampagne handelt.

Aus der Fülle der interessanten Einzeldetails des zweiten Teiles seien einige wenige Hauptstränge des Diskurses hervorgehoben. Die ,,Schwarze Schmach"-Kampagne basierte zu weiten Teilen auf der Vorstellung, dass die Kolonialsoldaten aufgrund ihrer ,,rassischen" Veranlagung zur Vergewaltigung tendieren würden. Die deutschen Frauen galten als auserwählte Opfer der afrikanischen Männer. Der als verletzt beschriebene Körper der Frauen hatte eine doppelte Funktion als individuell geschändeter zum einen und als Abbildung der ,,deutschen Nation"/der ,,weißen Rasse"/etc. zum anderen. Der allegorische Charakter des Frauenkörpers im Hinblick auf die Nation, die Kultur und die Rasse markierte eine Grenze und war gleichfalls - darauf weist Wigger hin - Einfallstor für Überschreitung, war ,,Problemzone", war ein potenzieller Ort der Vermischung. Der pornografisch präsentierte nackte Körper der Frau trug immer auch die ängstlich erwarteten Insignien der Grenzüberschreitung in sich. Gleichzeitig wurde über den Frauenkörper die Zugehörigkeit zur Nation/Rasse verhandelt. Freiwillige Sexualität oder Vergewaltigung galten dem gegenüber als legitimer Grund der diskursiven Exklusion deutscher Frauen aus dem vorgestellten Kollektiv. Iris Wigger macht jedoch zu Recht deutlich, dass sich in diese rassistische Abscheu vor dem Fremden auch exotistische Neugier und Anziehung mischte. Diese Dimension zu bekämpfen, war für die Propagandisten nicht immer ganz einfach, begegneten deutsche Frauen den ,,von Sinnlichkeit erfüllten Söhne heißer Länder" (zit. nach Wigger, S. 126), so die Einschätzung von Maximilian Harden, durchaus mit Wohlwollen und Entgegenkommen.

Die unabhängig von ihrer Herkunft durchgängig als ,,schwarz" bezeichneten Soldaten aus Afrika wurden in den Texten der Kampagne zum Gegenbild der ,,abendländischen Zivilisation", der ,,europäischen Kultur" oder der ,,weißen Rasse". Die Gefahren, die von ihrer Anwesenheit auf europäischem Boden ausginge, wurden nicht nur mit den sexuellen Bedrohungen deutscher Frauen (und einiger junger Männer) verknüpft, sondern beinhalteten auch medizinisch-eugenisches Kampfvokabular, wie beispielsweise ,,Syphilitisierung" und ,,Mulattisierung" des ,,Volkskörpers". Angesichts dieser Gefahren und der deutschen Gegnerschaft zu Frankreich würden in diesem vorgestellten ,,Volkskörper" die Klassengegensätze der deutschen Nachkriegsgesellschaft überwunden, so die Propaganda. Iris Wigger zeigt diese Erfindung von nationaler, rassischer und kultureller Gemeinschaft detailliert und überzeugend in den Einzelanalysen ihrer Arbeit.

Am Schluss seien zwei Kritikpunkte genannt. Der erste Punkt betrifft die Form der Darstellung. Das Buch ist geprägt von seitenlangen Beschreibungen und Wiedergaben der rassistischen Texte. Diese oft schmerzhafte Lektüre sich wiederholender Topoi (z.B. 108-113) führt zwar zu der auch sinnlichen Erkenntnis, dass der Rassismus und Sexismus massiv und allgegenwärtig war, scheint aber für den weiteren Erkenntnisgewinn nicht unbedingt förderlich zu sein. Es wäre für zukünftige Untersuchungen zu überlegen, wie man diesen verletzenden Festschreibungen entgehen kann, ohne die Quellensprache als Untersuchungsgegenstand zu verlieren. Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die methodische Anlage der Untersuchung. Iris Wigger fragt eher nach dem ,,Wie" des Sprechens als nach dem ,,Warum". Aus der Perspektive der Diskursanalyse, der Ideologiekritik und möglicherweise auch der Soziologie ist dies akzeptabel. Aus der Perspektive der Historikerin allerdings hätte ich mir weitere Überlegungen zur Funktion und zum Wandel dieser rassistischen Kampagne zu Beginn der ersten deutschen Demokratie in Deutschland gewünscht.

Der besondere Wert von Wiggers Untersuchung besteht darin, dass sie die Kampagne gegen die afrikanischen Soldaten aus dem Korsett einer allzu engen Propagandadefinition befreit und zeigen kann, dass sich vielfältige kulturelle Zeugnisse finden lassen, die die Allgegenwart des Rassismus in den ersten Nachkriegsjahren bezeugen. Diese verweisen darauf, dass es in der frühen Weimarer Republik nicht unbedingt der staatlichen Intervention bedurfte, um gegen afrikanische Männer und ,,unehrenhafte" deutsche Frauen zu hetzen. Die Kampagne und ihre Bilder waren deshalb so erfolgreich, weil sie, das zeigt das Buch sehr deutlich, die Verknüpfung der Kategorien Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse jeweils neu inszenierte, verschob, anpasste und zementierte, so dass sich eine Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen unterschiedlichster politischer und nationaler Herkunft unter ihrem Dach wieder finden konnten. Abscheu, Ekel, Sexualität, Pornografie und Begehren trugen wohl das ihrige dazu bei.

Sandra Maß, Universität Bielefeld

Fußnoten:


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