ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Rudolf Jaworski, Deutsche und tschechische Ansichten. Kollektive Identifikationsangebote auf Bildpostkarten in der späten Habsburgermonarchie, Studien Verlag, Innsbruck 2006, 194 S., geb., 26,90 €.

In den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie entwickelte sich die Ansichtskarte zu einem beliebten Massenkommunikationsmittel. Sie wurde zu eben jener Zeit populär, als die Nationalitätenkonflikte in den böhmischen Ländern ihrem Höhepunkt zusteuerten. Folglich scheint es nicht überraschend, dass dieses Medium auch in nationale Symboliken eingebunden wurde. Dem trägt die neue Studie von Rudolf Jaworski Rechnung, die anhand von Ansichtskarten nach den jeweils tschechischen und deutschen ,,Ansichten" fragt und sie mentalitäts- und kulturgeschichtlich untersucht (S. 9). Einen solchen Ansatz haben sich bisher trotz der Bedeutung von Postkarten als Massenmedium kaum Studien zueigen gemacht. (1)Dennoch ist Jaworskis Einschätzung dazu ambivalent, welche Antworten und welche Fragen Postkarten als Quellenart überhaupt zu bieten haben. Zum einen sieht er in dem ,,Massenmedium" Postkarte eine Möglichkeit nach Motiven zu suchen, die ,,das Milieu national gesinnter Eliten" verlassen und die Massen erreicht hätten (S. 13). Gleichzeitig aber betont er sowohl in der Einleitung als auch im Fazit, dass es sich hier keineswegs um neue Identitätsmuster handle, sondern lediglich um eine neue Art sie zu vermitteln (S. 9, 153).

Die Studie basiert auf einer etwa 2.000 Stück umfassenden, in langjähriger Arbeit vom Autor selbst zusammengetragenen Postkartensammlung. Im Vergleich der tschechischen und deutschen Motive sollen nicht die Gegensätze, sondern gerade die Ähnlichkeiten und Parallelen in den Vordergrund gestellt werden. Dabei konzentriert er sich in erster Linie auf die ikonografische Analyse der gedruckten Vorderseite. Die ersten drei Kapitel sind nach Motiven geordnet und - stark national kategorisiert - in 1. ,,Mythen und Symbole", 2. ,,Wegzeichen der Geschichte", 3. ,,Alte und neue Leitfiguren" unterteilt. Die Untersuchung der Symbolik bestätigt schon Bekanntes: Dass die deutsche Nation mit einer Eiche, die tschechische mit einer Linde symbolisiert wurde, überrascht nicht weiter, ebenso wenig die mythischen oder historischen Bezüge auf tschechische Identifikationsfiguren wie Libuše (S. 49), Jan Hus (S. 52) oder František Palacký (S. 54). Bei den deutschen Postkarten sind die auf Böhmen bezogenen Motive eher selten: Nur wenige zeitgenössische Personen aus dem deutsch-böhmischen Umkreis, wie der liberale Abgeordnete Franz Schmeykal oder der (all)deutsche Politiker Karl Hermann Wolf, wurden in den Kanon aufgenommen. Auf den deutschen Postkarten werden dagegen vor allem Personen mit gesamtdeutschem Bezug dargestellt, wie die Porträtkarten mit Otto von Bismarck (S. 59) oder Friedrich Schiller (S. 58) zeigen.

Zugleich finden sich Überlegungen zum Wandel nationaler Vereinnahmung von Personen oder Ereignissen. So wurde der Habsburger Kaiser Joseph II. erst spät von den Deutschen als Leitfigur für das ,,bedrängte Deutschtum" auf Postkarten in Umlauf gebracht (S. 58). Andere Figuren, so Karl IV., wurden dagegen von beiden nationalen Lagern in ihre jeweilige Geschichte zu integrieren versucht (S. 36).

Ein etwas anders gelagertes Kriterium hat Jaworski für die folgenden drei Kapitel gewählt, die nach Anlässen oder Institutionen gegliedert sind: 4. ,,Vereine - die Filialen der Nation", 5. ,,Ausstellungen - die Schaufenster der Nation", 6. ,,Ereignisse von nationaler Bedeutung". Gerade die Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig stattfindenden Landesausstellungen traten als nationale Ausstellungen auf, die in erster Linie national definierte Produkte bewarben.

Wesentlich ergiebiger ist das siebte Kapitel über ,,Kaiserkult und Militär", in dem der Autor weitgehend außerhalb nationaler Strömungen andere Identifikationsmuster ausmacht, die teilweise auf den deutschen und tschechischen Postkarten deckungsgleich sind. Eine ,,volkstümliche Verehrung" von Kaiser Franz Joseph funktionierte in beiden Lagern parallel zur jeweiligen nationalen Gesinnung, was teilweise sogar auf ein und derselben Postkarte demonstriert wurde. So findet sich auf einigen Postkarten, die den Kaiser ehren, zugleich eine starke tschechische Nationalsymbolik: auf einer Postkarte wird das Abbild des Kaisers gar mit einem Kranz aus ,,slawischen" Lindenblättern geschmückt (S. 117f.). Auch der Erste Weltkrieg (8. Kapitel) ließ noch einmal für kurze Zeit eine gemeinsame Symbolik entstehen. Karten wurden nun teilweise in tschechisch und deutsch beschriftet und der böhmische Landespatriotismus beschworen (S. 128). Allerdings wurde den deutschen Postkarten, inklusive denen mit gesamtdeutschen Motiven, ein immer größerer Spielraum gegeben, während sich einige tschechische Ansichtskarten im Verlauf des Krieges als nicht kompatibel zur Gesamtstaatsideologie erwiesen und verstärkt der nun härter eingreifenden Zensurbehörde zum Opfer fielen (S. 133).

Obwohl keine der hier untersuchten Bildpostkarten ohne das gedruckte Wort auskommt, wie in der Studie betont wird (S. 145), werden erst in einem letzten Kapitel explizit die direkten Verbindungen zwischen Visualisierung und Verbalisierung thematisiert. Die gedruckten Untertitel oder schriftlichen Ergänzungen scheinen in der Regel aus einem ebenso kanonisierten Fundus zu stammen wie die Bildmotive und unterstreichen die nationale Gesinnung. Handschriftlich wurden solche Aussprüche vom Absender teilweise ergänzt und somit der nationale Auftrag bestätigt. Ebenso finden sich aber auch Nachrichten auf Deutsch auf Postkarten mit explizit tschechischen Motiven und andersherum (S. 147) oder private Mitteilungen, die vollkommen abseits von nationaler Rhetorik standen: Das nationale Identifikationsangebot der Postkarte wurde von den Absendern nicht immer angenommen.

Die Eigenschaften von Postkarten als historische Quelle sind vielfältig. Im Gegensatz zu anderen, ikonografisch aufgeladenen Quellenarten, die zur nationalen Identitätsstiftung und -darstellung herangezogen werden, wie z.B. Gemälde, Statuen oder Plakate, sind Postkarten klein und handlich, in Massen produzierbar und alltagstauglich. Darüber hinaus sind sie für breite Schichten erschwinglich, wenden sich - sofern sie abgeschickt wurden - gezielt an einen bestimmten Adressaten und sind durch einen persönlichen Gruß individualisierbar. In diesen Details bedienen sie andere Kontexte als größere ,,nationale Projekte" und können Aufschluss darüber geben, inwieweit die alltägliche Nationalisierung jenseits von öffentlichen Bekenntnissen gegriffen hat. Solche Möglichkeiten hätten in dieser Studie stärker verfolgt werden können. Rudolf Jaworski hat mit seinem mit schönen Farbdrucken versehenen Buch ein Feld abgesteckt, das nicht nur zu weiterem Nachdenken, sondern auch zu Folgeprojekten anregt.

Sarah Lemmen, Leipzig

Fußnoten:


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE 28. Januar 2008