ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Jens Ivo Engels, Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950-1980, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 480 S., geb., 58,00 €.

Nachdem in den 1980/90er-Jahren in der Bundesrepublik eine wachsende Zahl historischer Arbeiten zum Naturschutz erschienen waren, nimmt seit der Jahrtausendwende die Zahl der Arbeiten zum Umweltschutz zu. Die Freiburger Habilitationsschrift von Jens Ivo Engels vereinigt beide Themen. Engels untersucht in einem ersten Teil die Geschichte des Naturschutzes von den 1950er- bis in die 1970er-Jahre, in einem zweiten Teil die Entstehung des Umweltschutzes in den 1970er-Jahren. Die naheliegende Fragestellung, warum angesichts einer fortdauernden Naturschutzbewegung eine Umweltschutzbewegung entstand, will Engels nicht behandeln, sondern sich auf die Untersuchung der Frage beschränken, ,,wie das Problem der bedrohten Natur in der Bundesrepublik Deutschland im politischen Raum bearbeitet wurde" (S. 20). Diese Selbstbeschränkung hält die Arbeit jedoch nicht vollständig durch. So weist Engels bereits einleitend die Erklärung zurück, dass die Umweltschutzbewegung Folge eines gestiegenen Problemdrucks sei, und betrachtet auch die Erklärungen von Ulrich Beck und Ronald Inglehart skeptisch, wonach sie eine Folge der Modernisierung bzw. eines säkularen Prozesses des Wertewandels hin zu postmaterialistischen Grundwerten sei. Stattdessen sieht Engels grundsätzliche Erklärungsmöglichkeiten in dem Ansatz von Ulrich Herbert, der für die Interpretation der Nachkriegszeit die Bedeutung von Liberalisierung, Enthierarchisierung und Generationenwechsel hervorhebt, und in dem Ansatz von Anselm Doering-Manteuffel, der speziell in der Verwestlichung ein Charakteristikum dieser Zeit sieht. In der Tat fragt Engels ganz im Sinne des Ansatzes vom Generationenwechsel, warum der Schutz von Natur und Umwelt zuerst von elitär-konservativen, dann von einer linken, rebellischen Kreisen verfolgt wurde. Dazu konzentriert er sich vor allem auf die Untersuchung informeller sozialer Gruppen, Verbände, Proteste und auf die Haltung der Medien; deren politischer Verhaltensstil, d. h. nach Engels: deren Ziele und Interessen, Handlungsformen und Bedeutungstransfers, interessieren ihn. Dagegen stehen die reale Umweltentwicklung und die staatliche Politik weniger im Mittelpunkt seines Interesses.

Im ersten Hauptteil konstatiert Engels nach einem Abriss der Geschichte der Naturschutzbewegung eine starke Kontinuität ihrer Ideen, Personen und Organisationen in der Frühphase der Bundesrepublik. Die Arbeit des Naturschutzes habe sich weiterhin auf Ausgrenzungen von Gebieten aus der Nutzung und zunehmend auch auf den Landschaftsschutz konzentriert; der Geist der Zivilisationskritik sei ebenso wie der Chorgeist der bürgerlichen Mitglieder und Leiter der Organisationen geblieben. Eine Distanzierung vom Dritten Reich sei nicht erfolgt; vielmehr sei diese Phase als Hochzeit des Naturschutzes betrachtet worden. Engels wendet sich gegen die Selbstdarstellung der Naturschützer, dass ihre Arbeit in den 1950/60er-Jahren marginalisiert worden sei und verweist vielmehr auf das hohe Maß an öffentlicher Förderung. Neu gegenüber der Jahrhundertwende sei vor allem die im Jahre 1950 erfolgte Zusammenfassung der Naturschutzverbände in der Dachorganisation Deutscher Naturschutzring (DNR) gewesen.

Zur Illustration der Ideologie und Praxis des Naturschutzes in den 1950/60er-Jahren bietet Engels dann mit der Geschichte des ,,Vereins Naturschutzpark" und des ,,Deutschen Rats für Landespflege" zwei Fallstudien. Der Verein Naturschutzpark, im Jahre 1909 gegründet, habe seit dem Jahre 1956 unter Führung des Hamburger Großkaufmanns Alfred Töpfer die Erhaltung von Naturparken als ,,Oasen der Ruhe" angeregt. Sie sollten Rückzugs- und Regenerationsmöglichkeiten von dem Getriebe des Alltags, der Massenkonsums und der Massenkultur in naturnaher Umgebung sein. Hinter dieser Zielsetzung, für die Töpfer Naturschutzorganisationen und Landwirtschaftsministerien gewinnen konnte, habe letztlich der bildungsbürgerliche, zivilisationskritische Wandervogelgeist der Jahrhundertwende gestanden. Der im Jahre 1962 gegründete Deutsche Rat für Landschaftspflege, dessen Programmatik auf der ein Jahr zuvor beschlossenen Grünen Charta von der Mainau basierte, sei aus Kreisen der Landschafts- und Gartenbauarchitekten hervorgegangen. Er habe sich u. a. gegen die Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser gewandt und mehr Landschaftsplanung gefordert. Dieses Expertengremium habe wissenschaftliche Stellungnahmen und Gutachten zu konkreten Natur- und Landschaftsschutzproblemen vorgelegt und damit Aufmerksamkeit bei höchsten politischen Stellen gesucht und erhalten. Beide Organisationen hätten öffentlichkeitswirksam gearbeitet, konkrete Missstände benannt, das Prestige von Experten in die Waagschale geworfen, die Zusammenarbeit und den Konsens mit Politik und Verwaltung gesucht und einen Gemeinwohlanspruch vertreten.

Engels verweist dann anhand mehrerer Beispiele darauf, dass es bereits in den 1950/60er-Jahren auch andere Formen der Interessenvertretung des Naturschutzes gegeben habe. Sie hätten in Unterschriftensammlungen, Androhungen von Steuerverweigerungen und Presssekampagnen bestanden sowie unterschiedliche soziale Gruppen unter führender Beteiligung von Eliten mit gesundheitlichen, z. T. auch ökonomischen und auf die lokale oder regionale Selbstbehauptung zielenden Motiven und Zielsetzungen vereinigt. In der Regel hätten sie sich jedoch als unpolitisch, dem Gemeinwohl dienend verstanden und ihren jeweiligen Einzelfall nicht zu grundsätzlichen Forderungen verallgemeinert.

Den Beginn der Umweltschutzbewegung, deren Behandlung den zweiten Hauptteil ausmacht, datiert Engels auf das Jahr 1970. Abgesehen von den Naturschutzkonflikten hätten sich die Vorboten dieser Bewegung in den 1960er-Jahren in Befürchtungen über die Gefahren der Atombombentests, der industriellen Luftverschmutzung und der Tankerunfälle gezeigt, ferner in der Entstehung einer Jugendkultur, insbesondere des Studentenprotests des Jahres 1968, und in der Berichterstattung der Medien, insbesondere des Fernsehens. Die populären Natursendungen des Dokumentarfilmers Heinz Sielmann, vor allem aber des Frankfurter Zoodirektors Bernhard Grzimek und des Journalisten Horst Stern hätten die Bevölkerung für Naturthemen - vor allem in Form von Tiersendungen - sensibilisiert und mit deutlicher Kritik vertraut gemacht.

Die im Jahre 1969 angetretene sozialliberale Koalition habe frühzeitig den Umweltschutz zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht und sich besonders auf den sog. technischen Umweltschutz, den Kampf gegen die Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser durch die Industrie konzentriert. Der Schadstoffausstoß sollte nicht nur verringert, sondern möglichst ganz verhindert werden. Diese Zielsetzung habe anfangs einen partei-, ja gesellschaftsübergreifenden Konsens gefunden. Letztlich hätten die Programmatik und die Aktivitäten der Bundesregierung auf dem Feld des Umweltschutzes jedoch mehr die Unzufriedenheit über die bestehende Umweltverschmutzung geschürt und wenig Anerkennung gefunden. Die Umweltschutzbewegung habe vor allem nach dem 1976 verfügten Stopp der Umweltgesetzgebung, die zunehmend als Bremse des wirtschaftlichen Wachstums empfunden wurde, die Politik der sozialliberalen Koalition überholt.

Unterschiedliche Bürgerinitiativen hätten sich zunächst auf einzelne konkrete Ziele, dann auch auf eine weitergehende Programmatik konzentriert, z.B. auf den Kampf gegen Atomkraftwerke, dann auch für den Frieden, d.h. gegen die ,,Nachrüstung". Einige dieser Initiativen seien in der Partei Die Grünen aufgegangen, die diese Vorstellungen durch Forderungen nach Abrüstung, Gleichberechtigung und Basisdemokratie ergänzt habe. Besondere Aufmerksamkeit widmet Engels den Protesten gegen die Atomkraftnutzung, so vor allem den Initiativen gegen das AKW in Wyhl. Ein Teil der Naturschützer habe das wachsende Umweltinteresse genutzt und mit dem Gedanken, dass das ökologische Gleichgewicht nicht verletzt bzw. wieder hergestellt werden solle, ein Ziel bzw. einen Rahmen für die einzelnen Maßnahmen geboten. Zudem hätten sie auf Medienresonanz und Konflikte gesetzt, sich für die Jugend geöffnet und mit den zeitgenössischen Szenarien der Ressourcenerschöpfung argumentiert, so dass sie sich faktisch neben der traditionellen Richtung unter Führung des DNR als eine neue Richtung, die sich im Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) zusammenfand, etabliert hätten. Die Naturschutzbewegung sei damit Teil der Umweltschutzbewegung geworden.

Engels sieht letztlich in der Umweltschutzbewegung und den Grünen eine zeitgemäße, wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung der Naturschutzbewegung, weil sie die gesamte Natur und ihre Elemente in den Blick genommen, sich für das ökologische Gleichgewicht eingesetzt, eine größere Protestbereitschaft gezeigt, enger mit den Medien zusammen gearbeitet und ,,wissenschaftlich" argumentiert hätten: Damit hätten sie die traditionelle Zivilisationskritik überholt. Zudem sei diese Programmatik sowohl in der Lage gewesen, die Bevölkerung emotional anzusprechen als auch anschlussfähig für Gruppen zu sein, die Kapitalismus-, Konsum- und Politikkritik übten; Natur und Umwelt seien geradezu Projektionsflächen für gesellschaftliche Probleme gewesen. Damit hätten sie eine hohe Medienresonanz gefunden.

Entgegen seiner deskriptiv-peripheren Fragestellung bietet Engels also durchaus wesentliche Ansätze zu einer Gesamtdeutung, wie und warum sich der Umgang mit der Natur von den 1950/60er- zu den 1970er-Jahren wandelte. Er weist auf die traditionellen Beschränkungen des Naturschutzes und die überholte zivilisationskritische Ideologie seiner Protagonisten einerseits, den Blickwechsel hin zur Wahrnehmung raumübergreifender Umweltprobleme, Politisierungen der Gesellschaft und die aktive Rolle der Medien andererseits hin, die zusammengenommen die Entstehung der Umweltschutzbewegung begründeten. Neu sind seine anschauliche Illustrierung der Rolle des Fernsehens als Sensibilisierungsmedium für den Naturschutz sowie seine Fallbeispiele, die den jeweiligen Charakter der Natur- und Umweltschutzbewegungen verdeutlichen. Dagegen werden m. E. die innovative Umweltpolitik des Staates, die der Umweltschutzbewegung Legitimation, Erfolge und Vorlagen für ihre Weiterentwicklung gaben, und die Rolle des Vorbilds der USA für die inhaltlichen Forderungen und die Methoden der Interessenvertretung zu wenig berücksichtigt. Insgesamt gesehen hat Engels jedoch zu diesem großen Thema eine differenzierte Nationalstudie vorgelegt, die vor allem mit der Behandlung der Rolle der Medien und den vorbereitenden Funktionen der Natur- für die Umweltschutzbewegung neue Aspekte bringt.

Karl Ditt, Münster


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