ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Hans-Peter Bayerdörfer/Bettina Dietz/Frank Heidemann/Paul Hempel (Hrsg.), Bilder des Fremden. Mediale Inszenierung von Alterität im 19. Jahrhundert (Kulturgeschichtliche Perspektiven, Bd. 5), LIT Verlag, Berlin 2007, 424 S., kart., 39,90 €.

Von der Wortbedeutung her bezeichnet 'fremd' immer dasjenige, das nicht zum Eigenen gehört. Es gibt Abstufungen des Fremden - von völlig unbekannt und in jeder Beziehung gegensätzlich bis hin zu einem momentanen Zustand, in dem das Vertraute aus bestimmten Gründen diese Eigenschaft kurzfristig verlieren kann. Aufgrund dieser Breite möglicher Bedeutungen ist das Fremde immer ein wenig trennscharfer Begriff, andererseits aber auch stets eine brauchbare Dachbezeichnung. Spannend wird es, wenn das Fremde instrumentalisiert wird, um Einzelne, Gruppen oder ganze Ethnien zu marginalisieren, oder wenn es als (notwendiger) Gegensatz zum Eigenen konstruiert wird. Letzteres wird häufig mit dem Begriff Alterität gekennzeichnet.

In kulturwissenschaftlichen Forschungen sind das Fremde und Alterität zu Leitbegriffen aufgestiegen, die als zwingend notwendige Kategorien gelten. Ohne ihre Komplementärbegriffe 'bekannt'/'vertraut' sowie 'Identität' sind sie eigentlich nicht denkbar. Seit einiger Zeit konzentrieren sich zahlreiche Untersuchungen vor allem auf die Konstruktion von Fremdheit und Alterität, wobei sie meist implizit die Vertrautheit der Leserschaft mit den entsprechenden Prozessen der Inszenierung von Identität und dem Eigenen voraussetzen. Letzteres gilt auch für den Sammelband ,,Bilder des Fremden", der im Zusammenhang mit der DFG-Forschergruppe ,,Kulturelle Inszenierung von Fremdheit im 19. Jahrhundert" entstanden ist, die von 2000 bis 2006 an der Ludwig-Maximilian-Universität München bestand.

Der vorliegende Band vereint neben einer kurzen Einleitung 17 Beiträge zur medialen Repräsentation und Konstruktion des Fremden. Neben gesamteuropäischen Phänomenen sind vor allem deutsche und britische Einzelthemen im Blick. Die Beiträge gliedern sich in insgesamt drei Sektionen: Sehordnungen - Blickrichtungen, Exploration - Erfassung und Bühnen - Spektakel. Diese Gliederung lässt erwarten, dass das Zusammenspiel zwischen medialer Repräsentation, Rezeptionskontexten, historischer Entwicklung und dem Verhältnis Objekt-Abbild-Medium-Betrachter nach vielen Seiten hin untersucht wird. Der Schwerpunkt liegt auf Visualisierungen des Fremden in Bildmedien, was einen willkommenen Überblick zu einem sich ausdehnenden Forschungsfeld bietet. Es werden sowohl exemplarisch einzelne Medien betrachtet (z.B. Fotografie, Theater, illustrierte Sozialreportagen, Bühne) als auch das mediale Zusammenwirken (z.B. anhand der kulturellen Repräsentation des indischen Aufstandes von 1857/58 oder bei der Konstruktion ethnografischer Bilder).

Die von den Herausgebern verfasste Einleitung markiert den theoretischen Hintergrund, der sowohl auf Hans Beltings Überlegungen zu einer Bild-Anthropologie als auch der kulturwissenschaftlichen Annäherung an das Bild (Martin Jay, W.J.T. Mitchell, Jonathan Crary u.a.) fußt. Der Mensch wird begriffen als Ort der Bilder und die Bilder als zentrale Objekte, durch die Wissen geschaffen und verändert wird. Leider bleibt unscharf, was mit medialer Inszenierung von Alterität genauer gemeint ist und welcher Begriff von Fremdheit als Ausgangspunkt der Beiträge diente. Natürlich sind dies zwei Problemfelder, die sich nur schwerlich in einer kurzen Einleitung differenziert darlegen lassen. Dennoch wäre eine grobe Bestimmung hilfreich gewesen. Man könnte zudem den Eindruck gewinnen, dass Bilder - gleich welcher Art - grundsätzlich als Inszenierungen des Fremden und Anderen gelten müssen. Die Produktion von Bildern würde somit automatisch die Inszenierung von Fremdheit als Effekt mit sich bringen. Dann aber bleibt das Motiv des Bildes wieder das eigentlich Andere.

Allen Beiträgen unterliegt mehr oder weniger die implizite Annahme, dass die Norm, von der das Fremde abgesetzt wird, den Lesern und Leserinnen klar ist. Nur gelegentlich wird dies explizit gemacht. Das geschieht beispielsweise in der guten Studie von Ansgar Nünning über die kulturelle Verarbeitung des indischen Aufstandes von 1857/58, der sogenannten ,,Mutiny". Dort werden die Briten als Norm benannt (S. 151), auf deren Folie eine spezifische Alterität der (aufständischen) Inder konstruiert wurde. Dieses Grundproblem, dass mit dem Anderen gleichzeitig auch stets das Eigene mitverhandelt wird und dass das eine vom anderen abhängt, ist aber kein Problem des vorliegenden Bandes, sondern häufig in der kolonialhistorischen und postkolonialen Forschungsliteratur anzutreffen.

Eine wohlwollend kritische Auseinandersetzung mit Positionen postkolonialer Studien, in Bezug auf Visualisierungen, leisten im ersten Abschnitt vor allem Christopher Pinney und Elizabeth Edwards. Sie bestimmen die Fragen nach den medialen Konstruktionsprozessen von Fremdheit genauer. Beide entwickeln ihre Position anhand der fotografischen Praxis in Kolonien bzw. ehemaligen Kolonien. Sie betonen, dass die Produktions- und Rezeptionsbedingungen stärker in den Analysen zu berücksichtigen sind, als dies in der aktuellen Forschung getan wird. Pinney plädiert für eine Hinwendung zu einer Phänomenologie der Bilder, während Edwards sich für mikroanalytische Analysen der Objekte und ihrer 'Biografien' stark macht. Beide Texte sind in ihrer Zielrichtung erfrischend und anregend, indem sie betonen, die kolonialen Fotografien nicht allein als Werkzeug einer (rein) europäischen Sinnproduktion zu betrachten.

Auch der Beitrag von Christopher Balme über die Diskussion um die 'Völkerschauen' in Deutschland erhellt die problematische Beziehung zwischen Kaiserreich und den Kolonien. Ansgar Nünnings Analyse der Formen und Funktionen der Repräsentation der ,,Indian Mutiny" zeigt gut das Zusammenspiel verschiedener britischer Medien und zeigt, wie wichtig es ist, sich der jeweiligen Bedingungen historischer Medienverbünde klar zu werden.

Der zweite Abschnitt zeigt in einer Reihe von Einzelstudien die Geschichte verschiedener Formen visueller Repräsentation vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Instruktiv ist hierbei Paul Hempels Studie zur Entwicklung der sogenannten Typenfotografie, die man nicht als homogene Praxis missverstehen darf. Die Aufsätze von Bettina Dietz über Phrenologie, Joachim Rees zu Zeichnungen von Indigenen und die von Tobias Wolffhardt zu Aquarellen machen deutlich, mit welchem medialen Arsenal europäische Forscher und Kolonisatoren versuchten, sich die Welt anzueignen. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang der Beitrag von Bernd Hirsch, der zeigen kann, dass auch innerhalb Europas die hierarchisierende - gleichsam kolonisierende Sichtweise - wirksam war. Hirsch zeigt, dass die Londoner Unterschicht des East End mit ähnlichen Mitteln und Formen medialer Repräsentation als fremd und unzivilisiert markiert wurde, so wie häufig die einheimische Bevölkerung in den Kolonien.

Dass das Fremde auch auf der Bühne inszeniert und kommuniziert wurde, wird in den Beiträgen des dritten Abschnitts analysiert. Hans-Peter Bayerdörfer führt in den Abschnitt mit einem Überblick zur Ästhetik von Bühne und medialer Repräsentation von Aufführungen ein. Er betont dabei, dass Inszenierung von Fremdheit hierbei stets von Bedeutung gewesen ist.

Die spezifische mediale Konstruktion von Juden haben die Arbeiten von Annemarie Fischer, Frank Halbach, Sabrina Cherubini/Sebastian Stauss im Blick. Die (Selbst-)Inszenierung der Schauspielerin Sarah Bernhardt wird von Kati Röttger als eine Art Orientalisierung angesehen, die das öffentliche Bild der Schauspielerin erheblich prägte und mithalf, sie als Person zu einer Ikone werden zu lassen. Damit versucht sie das Diva-Konzept von Elisabeth Bronfen und Barbara Strautmann zu erweitern.

Abschließend referiert Maria C. Schmitt über einen Faschingsumzug der Münchner Hofgesellschaft 1835, auf dem Erdteile und zahlreiche Nationen repräsentiert wurden. Sie vertritt die Ansicht, dass es hierbei vor allem auch um eine Apotheose des bayerischen Königs gegangen sei.

Der Band bietet insgesamt einen breiten Einblick in die Ergebnisse der Forschergruppe. Es wird eine außerordentliche Vielfalt der ,,Bilder des Fremden" vorgestellt, die in den unterschiedlichsten Medien inszeniert wurden. Sehr fruchtbar erscheint die Fortentwicklung der von Edwards und Pinney vorgestellten theoretischen Überlegungen. Der Band bietet ferner gute Einzelstudien, vor allem zur ethnografischen Fotografie des 19. Jahrhunderts und des medialen Zusammenspiels bei der Inszenierung des Fremden. Auch die Einführung zu den Visualisierungen der Bühne im 18. und 19. Jahrhundert verschafft einen guten einführenden Überblick. Klar tritt zu Tage, dass nicht erst das ausgehende 20. Jahrhundert eine multimediale und vernetzte Periode ist, sondern dass das 19. Jahrhundert ihm in seiner Komplexität in nichts nachsteht. So bietet der Band insgesamt eine Reihe guter Einzelbeiträge, die eine ausführlichere Einleitung verdient hätten.

Jens Jäger, Köln


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