ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Peter Van Kemseke, Towards an Era of Development. The Globalization of Socialism and Christian Democracy 1945-1965 (KADOC Studies on Religion, Culture and Society, Bd. 5), Leuven University Press, Leuven 2006, 324 S., kart., 32,00 €/$ 75.00.

Politische Parteien haben eine zentrale Rolle in nationalen Integrationsprozessen gespielt. Trotz der Pluralisierung politischer Akteure, vor allem der größeren Rolle von Nicht-Regierungsorganisationen, bestimmen sie nach wie vor politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse in parlamentarischen Demokratien. Die Geschichte politischer Parteien ist bisher überwiegend aus einer nationalen oder national vergleichenden Perspektive geschrieben worden. Im Zeichen gesellschaftlicher Transnationalisierung und supranationaler regionaler Integration haben sich in jüngster Zeit Historiker allerdings wieder verstärkt der grenzüberschreitenden Kooperation politischer Parteien gewidmet. Anders als frühere Forschungen sind diese neueren Studien weniger einseitig auf die Rekonstruktion institutioneller Bedingungen und Formen transnationaler Zusammenarbeit ausgerichtet. Sie berücksichtigen vielmehr - angeregt durch neuere soziologische und politikwissenschaftliche Forschungen - eine stärker informelle Kooperation mit Netzwerkcharakter und deren Rolle für transnationalen Politiktransfer und supranationale Entscheidungsprozesse.

Allerdings konzentrieren sich diese Arbeiten ausschließlich oder überwiegend auf Europa. In seiner ins Englische übersetzten Dissertation beschäftigt sich Peter Van Kemseke dagegen mit der ,,Globalisierung" der transnationalen Kooperation sozialistischer und christdemokratischer Parteien in den ersten beiden Dekaden nach 1945. Die Studie behandelt diese vergleichend in drei Abschnitten. In einem ersten Kapitel werden knapp die Anfänge nach 1945 beschrieben, die 1947 zur Gründung der ,,Nouvelles Equipes Internationales" (NEI), europäischer christdemokratischer Parteien und 1951 zur formalen Neugründung der Sozialistischen Internationale (SI) führten, die nach 1945 zunächst von der britischen Labour Party kontrolliert wurde. Danach befasst sich der Autor im Hauptteil der Studie auf knapp 200 Seiten mit den Fünfzigerjahren, bevor er im dritten Teil einen Ausblick auf die erste Hälfte der Sechzigerjahre gibt.

Van Kemseke identifiziert drei strukturelle Motive für die verstärkt internationale Ausrichtung der Parteienkooperation. Dies waren erstens der Kalte Krieg, der es nötig erscheinen ließ, weltweit nicht-kommunistische Schwesterparteien aufzubauen, die helfen konnten, Drittländer außerhalb der sowjetischen Einflusssphäre zu halten. Zweitens spielte zunächst eine wichtige Rolle, was Van Kemseke als ,,colonialist framework" bezeichnet, d. h. die Genese entwicklungspolitischer Konzepte im Rahmen einer neuen Kolonialpolitik, die zunächst allenfalls ,,self-government", nicht ,,self-determination" für europäische Kolonien propagierte. Selbst die SI übernahm erst 1955 das Prinzip der ,,Selbstbestimmung" aus der Charta der Vereinten Nationen in ihre politischen Stellungnahmen zu Fragen der internationalen Politik. Drittens prägte das Modernisierungsparadigma die internationale Parteienkooperation und die frühe Entwicklung entwicklungspolitischer Konzepte, die ganz auf Finanztransfers und den Ausbau von Bildungssystemen ausgerichtet war. Dagegen spielten andere Politikinstrumente, wie die vom niederländischen Ökonomen Jan Tinbergen in der SI propagierte Marktöffnung der EWG und anderer hoch industrialisierter Staaten keine signifikante Rolle in den Diskussionen bis zur Mitte der Sechzigerjahre.

Wenngleich diese strukturellen Bedingungen der Internationalisierung der Parteienkooperation ähnlich wirkten, arbeitet der Autor wichtige Unterschiede zwischen der SI und der Weltorganisation der Christdemokraten heraus. Diese lagen zunächst in unterschiedlichen geografischen Schwerpunkten. Während die Sozialisten vor allem ihre Kontakte in Asien zu Parteien in Indien, Japan und anderswo ausbauten, konzentrierten sich die Christdemokraten aus konfessionellen Gründen auf Lateinamerika. Unter dem Einfluss asiatischer Parteien und europäischer ,,Détente"-Debatten entwickelten die Sozialisten früher eine gemäßigt positive Sicht der Neutralität eines Blocks vornehmlich nicht-kommunistischer Staaten der sogenannten Dritten Welt als ,,dritte Kraft" in der Weltpolitik, wie dies vor allem von Indien propagiert wurde. Außerdem wurde die SI zu einer zentralisierten internationalen Organisation, während die Christdemokraten in ihrer weltweiten Kooperation die Autonomie regionaler Parteienorganisationen wie der NEI, der heutigen Europäischen Volkspartei, betonten.

Bedauerlicherweise macht Van Kemseke mit seiner Studie nur einen halben Schritt zur Überwindung einer eurozentrischen Analyse internationaler Parteienkooperation. Wenngleich die europäischen Parteien in der Regel über eine bessere Organisation und viel größere finanzielle Ressourcen verfügten, die im deutschen Fall auch die parteinahen Stiftungen international einzusetzen begannen, gibt Van Kemseke selbst zahlreiche Beispiele für rasch wachsenden Einfluss außereuropäischer Parteien vor allem in der SI. So wurden die europäischen Kontakte (selbst) der Labour Party nach Asien vor allem von den indischen Sozialisten moderiert, die bis zur Parteigründung im März 1948 Bestandteil der heterogenen National Congress Party waren. Anfang der Fünfzigerjahre stellten britische Labour-Politiker auf Reisen nach Asien erstaunt fest, dass asiatische Parteien, vor allem die indische, schon längst mit potenziellen Partnern in afrikanischen Ländern Beziehungen aufgenommen hatten. Das geschah zu der Zeit, als direkte europäisch-afrikanische Kontakte wegen der auch von den französischen und belgischen Sozialisten anfangs noch unterstützten Kolonialpolitik noch kaum möglich waren. Von daher wäre eine breitere Quellengrundlage wünschenswert, die - trotz forschungspraktischer Probleme der Überlieferung - auch Quellen außereuropäischer Parteien wie derjenigen Indiens einbezöge. Stattdessen basiert diese Studie für die SI vor allem auf dem Material der SI sowie der Labour Party und für die Christdemokraten in erster Linie auf demjenigen der NEI und einigen Nachlässen vor allem belgischer Politiker. Leider weist die Arbeit andere, in jedem Fall vermeidbare Schwächen auf. So ist keine seit der ursprünglichen Dissertation von 2001 veröffentlichte Literatur berücksichtigt. Das Abkürzungsverzeichnis enthält lediglich die Bezeichnungen der benutzten Archive, aber nicht die der politischen Parteien. Teilweise sind die Abkürzungen der Parteien direkt aus dem Flämischen ins Englische übertragen worden, was zu erheblichen Missverständnissen einlädt. Außerdem ist der Text stellenweise äußerst nachlässig übersetzt worden und somit holprig zu lesen. Trotz dieser Einschränkungen leistet das Buch einen hilfreichen Beitrag zur Überwindung einer allzu eurozentrischen Perspektive auch in der neuen Parteiengeschichte.

Wolfram Kaiser, Portsmouth


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